Per Bürgerentscheid wurde der Bau eines Kontorhauses an der Hoheluft gekippt. Das Aus für das Projekt beschlossen aber ur 23,3 Prozent der Eimsbütteler.

Die Gefahr ist jedenfalls frühzeitig erkannt und benannt worden - das zählt immerhin auch etwas in der Politik. Zu niedrige Hürden bei Volks- und Bürgerentscheiden würden "Tür und Tor für das Risiko der Herrschaft der individuellen, sektoralen und regionalen Partikularinteressen über das Allgemeininteresse öffnen". Das sagte Altbürgermeister Henning Voscherau (SPD) - bereits im März 1998.

Damals tobte ein heftiger Streit über die Volksgesetzgebung im Rathaus. Der Verein "Mehr Demokratie" wollte die Hürden für den Erfolg bei Volksabstimmungen senken und Bürgerbegehren und -entscheide auf Bezirksebene einführen - per Volksentscheid. Die GAL war auf Seiten von "Mehr Demokratie", die SPD eher nicht, was zu erheblichen Verwerfungen im damaligen rot-grünen Bündnis führte. Auch die CDU-Opposition war gegen allzu viel direkte Demokratie.

Der alte Streit könnte bald wieder aufflammen. Den Zündfunken dazu lieferte Eimsbüttel in dieser Woche: Per Bürgerentscheid wurde der Bau eines Kontorhauses am U-Bahnhof Hoheluft gekippt. Das Aus für das Projekt selbst bringt die Stadt nicht aus den Fugen. Aber: Nur 23,3 Prozent der Eimsbütteler beteiligten sich an der Entscheidung, die erfolgreichen Gegner des Baus erhielten gerade einmal 16,1 Prozent. Das ist schon eine arge Minderheit.

"Wir haben eine Entwicklung, die für das Allgemeinwohl nicht so förderlich ist", sagt Frank Schira, CDU-Bürgerschafts-Fraktionschef und Parteivorsitzender. Wenn über jeden Straßenzug, jeden Ortsteil und jedes Quartier abgestimmt werde, könnte das große Ganze zum Wohl der Stadt schon einmal aus dem Blick geraten.

In der Union wird nun darüber nachgedacht, welche Konsequenzen aus der niedrigen Beteiligung zu ziehen sind. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere Christdemokrat noch daran, mit welcher Forderung die Union 1998 an die Öffentlichkeit getreten war. Im Juni des Jahres beschloss der CDU-Parteitag einen Antrag, der eine Zustimmung von 25 Prozent bei Bürgerentscheiden vorsah - so viel haben in Eimsbüttel nicht einmal abgestimmt. Übrigens: Den Antrag brachte Ole von Beust ein, damals CDU-Fraktionsvorsitzender in der Bürgerschaft.

Noch hat sich die Union in der aktuellen Diskussion nicht festgelegt, aber die Antwort kam gewissermaßen schon prophylaktisch. "Wer Zustimmungsquoren bei Bürgerentscheiden einführen will, legt die Axt an die direkte Demokratie", sagte Manfred Brandt, Sprecher von "Mehr Demokratie", jenes Vereins, der schon 1998 aktiv war.

Damals ging die Sache übrigens so weiter: SPD, GAL und CDU einigten sich schließlich auf einen gemeinsamen Entwurf , der vorsah, dass sich mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten an einem Bürgerentscheid beteiligen musste. Bei geringerer Beteiligung mussten mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen.

Doch die Vorlage der Bürgerschaft hatte keine Chance. Das Volk stimmte für den Vorschlag von "Mehr Demokratie", der überhaupt keine Hürden vorsah. Und das gilt heute auch noch. Die Warnungen Voscheraus hatten die Hamburger nicht erhört.

Eigentlich wollte sich "Mehr Demokratie" nach dem damaligen Volksentscheid selbst auflösen. Es ist bekanntlich anders gekommen. Nach weiteren, zum Teil auch erfolgreichen Volksentscheiden - "Mehr Demokratie" sorgte unter anderem dafür, dass Wahlkreise bei Bürgerschaftswahlen eingeführt wurden - ist der Verein zum geachteten, aber auch gefürchteten Gesprächspartner der Rathaus-Politiker geworden. Wenn sich heute die verfassungspolitischen Sprecher von CDU, SPD, GAL und Linken zusammensetzen, um über Änderungen bei Bürgerbegehren und -entscheiden zu beraten, dann sitzt ein Vertreter von "Mehr Demokratie" wie selbstverständlich mit am Tisch. Die Parlamentarier wissen: Gegen die kampagnenerprobten Lobbyisten der direkten Demokratie lässt sich in Hamburg kaum etwas durchsetzen. Da ist es besser, Manfred Brandt und seine Mitstreiter gleich einzubinden.

Seit April berät die kleine Arbeitsgruppe über Entwürfe für ein Bürgerentscheidsgesetz. Unumstritten ist dabei, dass die Zulässigkeitsprüfung für Bürgerbegehren verbessert werden soll. Möglicherweise sollen die Bezirksversammlungen das Recht erhalten, gegenläufige Bürgerbegehren in einem Verfahren zusammenzubinden.

Aber die Einführung von Quoren sind und bleiben das heiße Eisen. Nach Informationen des Abendblatts hat der CDU-Verfassungspolitiker Robert Heinemann in der Arbeitsgruppe schon einen ersten Versuch gestartet. Heinemann schlug ein Zustimmungsquorum von 20 Prozent der Wahlbeteiligten vor - genauso viel wie beim Volksentscheid. Allerdings stieß er dabei auf wenig Gegenliebe, um es vorsichtig auszudrücken. Die GAL ist im Prinzip gegen jede Schwächung der direkten Demokratie, die zu den Essentials der Partei gehört. Die SPD, die früher - siehe Voscherau - nicht allzu viel von Plebisziten hielt, will hier nicht eine offene Flanke zu einem Teil ihrer Wählerschaft entstehen lassen.

Heinemann und der CDU geht es durchaus auch um die Glaubwürdigkeit solcher Abstimmungen. Hamburg mit seinen großen Bezirken sei nicht mit den bayerischen Gemeinden vergleichbar, in denen es die direkte Demokratie seit Jahrzehnten gibt. In Rissen würden die Menschen sich nicht zwingend für Projekte in Altona interessieren und sich deswegen vielleicht nicht beteiligen. Man muss aber kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass die Einführung von Quoren bei Bürgerentscheiden keine Chance in der Bürgerschaft hat.

Das sieht offensichtlich auch Ole von Beust so. Er lässt gelegentlich durchblicken, dass man nun einmal die Volksgesetzgebung habe, die die Bürger selbst wollten. Das klingt ein bisschen so, als ob man die Geister nicht mehr loswerde, die man rief. Anfang des Jahres hatte von Beust die "immer unverhohlenere Artikulation von Partikularinteressen, die heute leider salonfähig geworden ist", heftig attackiert.

Ein besonderer Dorn im Auge war ihm dabei eine Bürgerinitiative im Bereich Elbchaussee, die sich wegen des Lärms gegen den Ausbau des Containerterminals auf der anderen Seite des Flusses wehrte. "Früher hätte man gesagt: Ihr habt ein Rad ab! Ihr wendet euch gegen den Wohlstand, von dem ihr lebt", empörte sich von Beust. Sieht man von der Emphase ab, klingt von Beust 2010 so wie Voscherau 1998.