Der Theologe, Ex-Pastor und bekennende Atheist Paul Schulz klagt gegen seine Entlassung vor 31 Jahren

Einfach hat der Theologe Paul Schulz es sich selber und der Kirche nie gemacht. Sich nicht, als er sich in den 70er-Jahren als Atheist outete - da war er Pastor an der Hauptkirche St. Jacobi; der Kirche nicht, als er sich in einem anschließenden, spektakulären Lehrzuchtverfahren dagegen wehrte, sein Amt als Pfarrer wegen dieses "Irrglaubens" aufzugeben.

Jetzt kämpft der 72-Jährige um Rehabilitation: Er stellte zunächst mit seinem Rechtsanwalt bei der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) einen Antrag auf Wiederaufnahme seines Lehrzuchtverfahrens (das Abendblatt berichtete), jetzt fordert er in einem zweiten Schreiben Informationen über Sachstand und weitere Verfahrensschritte. "Ich will eine zügige Verfahrensaufnahme", sagt Schulz. Gerade sei in den Niederlanden einem atheistischen Pastor erlaubt worden, auf der Kanzel zu predigen. "Ich will nicht wieder Pastor werden und habe auf alle materiellen Rechte verzichtet", betont Schulz. "Doch ich fordere von der Kirche Gerechtigkeit und die Anerkennung meiner theologischen Arbeit an St. Jacobi." Zudem fordere er die Kirche zum offenen Disput auf über "Gott und die säkulare Welt"- nicht nur als kircheninterne Veranstaltung, sondern als Diskussion auf breiter Basis.

An St. Jacobi hatte Paul Schulz für damalige Verhältnisse revolutionäre Ideen. Seine "Kritischen Gottesdienste" am Mittwochabend hatten riesigen Zulauf - statt Predigten gab es Podiumsdiskussionen mit Experten über aktuelle Themen wie Paragraf 218, Drogensucht oder konsumfreies Weihnachten, dazu Jazzmusik und nur eine kurze Liturgie. Mit der Aussage, er glaube weder an Gott noch an ein Jenseits, geriet Schulz schließlich in Widerspruch zur kirchlichen Lehre. 1979 wurde der 35-jährige, zweifache Vater trotz einer Petition mit 2000 Unterschriften aus dem kirchlichen Dienst entlassen und verlor alle Gehalts- und Beamtenrechte.

"Eine bedrohliche Situation", erinnert sich Schulz, "aber ich konnte nicht gegen mein Gewissen handeln." Sein Leben nahm eine überraschende Wende, als er kurz darauf Programmleiter für den Bereich Soziales, Kultur und Gesellschaft im Veranstaltungszentrum Markthalle wurde - durchaus mit Erfolg: Er holte Schriftsteller Charles Bukowsky zu seiner einzigen Deutschland-Lesung nach Hamburg und organisierte das Drei-Tage-Projekt "Heimkarriere" mit Politikern, Heimleitern und Heimkindern, das den Anstoß gab zu Verbesserungen in den Heimen.

Bei Verhandlungen der stets in Zahlungsschwierigkeiten steckenden Markthalle lernte Schulz den Chef der Bavaria-St.-Pauli-Brauerei kennen. Der warb den Ex-Geistlichen 1981 ab und stellte ihn als Vertriebsdirektor ein. "Im ersten Teil meines Lebens war ich Theologe mit rein ideellen Vorstellungen und Zielen. Im zweiten Teil, in der freien Wirtschaft, wurden diese dann fast vollständig verbrannt: Einzig materielle Erfolgszahlen galten", beschreibt Schulz die Zeit bei Bavaria. "Der Wunsch nahm zu, in einem dritten Lebensabschnitt die bisher gemachten Erfahrungen miteinander zu verknüpfen." 1995 kehrte er dem Gastronomie-Mangement den Rücken und gründete die Seniorenakademie Alstertal, die sich mit ihrem theologischen, philosophischen und kulturellen Programm bis heute selbst finanziert. Zwar entspricht Paul Schulz dem Bild eines erfolgreichen Businessman mehr als dem eines Pastors, sein Anliegen ist aber theologischer Art. "Ich war und bin überzeugter Jesuaner", sagt er. "Ziel meines Revisionsantrags ist, eine Diskussion der Kirche über Gott zu fordern - mit Konfessionsfreien, Humanisten, Freidenkern, Agnostikern, Atheisten und mir. Mal sehen, was dabei rauskommt."