Der Hamburger Europaabgeordnete Knut Fleckenstein über die Macht der EU-Kommission und die Schwäche des Straßburger Parlaments.

Hamburg. Selten zuvor hat die Europäische Union die Menschen derart bewegt. Viele Bürger fürchten, dass überschuldete Staaten wie Griechenland und Italien die ganze Gemeinschaft ins Wanken bringen können. Eigentlich müsste jetzt die Stunde der EU-Abgeordneten schlagen. Doch man hört kaum etwas von ihnen. Das sei in der Tat frustrierend, sagt der Hamburger EU-Parlamentarier Knut Fleckenstein (SPD). Im Abendblatt-Interview macht er Vorschläge, wie das geändert werden kann.

Hamburger Abendblatt: Sie sind seit zweieinhalb Jahren EU-Abgeordneter. Was kann einer unter 754 bewegen?
Knut Fleckenstein: Wie in jedem Parlament als Einzelner nicht sehr viel. Aber man kann Anstöße geben. Man kann darauf achten, was in Vorlagen der EU-Kommission zu Port Package III steht oder dass Flächen im Hafen möglichst nicht unter die Dienstleistungskonzessionsrichtlinie fallen.

Wenn die Wähler Begriffe wie "Port Package III" oder Dienstleistungskonzessionsrichtlinie hören, schalten viele ab.
Fleckenstein: Leider ja. Dabei ist das für Hamburg ein wichtiges Thema.

Warum?
Fleckenstein: Es geht zum Beispiel darum, dass von der Stadt verpachtete Flächen, auch im Hafen, jeweils nach 25 Jahren neu ausgeschrieben werden müssen. Das könnte dazu führen, dass sich Hafenfirmen wie die HHLA oder Eurogate fragen, ob sie überhaupt noch investieren. Und es geht um Beihilfefragen, etwa: Wenn die Stadt eine Straße baut, die nur zu einem Terminal führt, ist das dann schon eine Beihilfe?

Auf die meisten Menschen wirken solche Themen abstrakt.
Fleckenstein: Sind sie aber nicht immer. Bei der Dienstleistungskonzession geht es auch ganz konkret um öffentliche Daseinsvorsorge, also zum Beispiel, ob der Rettungsdienst in Hamburg ausgeschrieben werden muss, ob also private Hilfsorganisationen beteiligt werden müssen oder ob die Feuerwehr ihr Monopol aufrechterhalten kann. Das ist den meisten Menschen gar nicht bewusst. Eine ganze Generation in Hamburg und anderswo weiß gar nicht, von wem sie regiert wird. Die glauben immer noch, dass das von Berlin aus geschieht. Schüler und junge Leute sind da anders, die sind wirklich interessiert.

Wer ist verantwortlich dafür, dass die Menschen so wenig über die EU und ihre Strukturen wissen?
Fleckenstein: Das beginnt bei den Politikern selbst. Man muss mehr informieren, auch Bürgerschafts- und Bundestagsabgeordnete müssen deutlicher machen, was wo entschieden wird. Kürzlich wurde zum Beispiel gefeiert, dass der Bundestag beschlossen hat, dass diese Warteschleifen beim Telefonieren nicht mehr kostenpflichtig sind, aber niemand hat erwähnt, dass das nur die Ausführung einer EU-Richtlinie ist, der Deutschland als letztes Land nachkommt. Und im Schulunterricht muss das Thema Europa den gleichen Stellenwert bekommen wie die Gesetzgebung in Deutschland. Auch die Medien könnten mehr tun.

Wäre die Direktwahl von EU-Abgeordneten ein Weg, mehr Interesse zu erzeugen?
Fleckenstein: Zumindest müsste es einen Spitzenkandidaten geben, der für das Amt des Kommissionspräsidenten kandidiert, also eine Art Regierungschef. Bei der Direktwahl von EU-Abgeordneten bin ich vorsichtig. Für Hamburg könnte das bedeuten, dass wir gar keinen Abgeordneten mehr haben, weil das von der Bevölkerungszahl abhängt.

Die Schuldenkrise einiger EU-Länder war das beherrschende Thema 2011. Der Blick war aber nur auf die Regierungen und die EU-Kommission gerichtet. Das EU-Parlament führte nur ein Schattendasein. Ist das frustrierend?
Fleckenstein: Ja, das ist sehr frustrierend. Ich werde ständig angemacht von Bekannten, was wir denn wieder in Sachen Euro-Rettung beschlossen hätten. Nein, sage ich dann, wir haben gar nichts beschlossen, weil die Staats- und Regierungschefs ein gewähltes Parlament dazu gar nicht brauchen und sich für diesen Mangel an Demokratie nicht schämen. Noch frustrierender wird es aber mit Blick auf den mittelfristigen Aufbau einer Wirtschafts- und Finanzunion. Das kann nur unter Mitwirkung des Parlaments geschehen. Man darf es auf jeden Fall nicht den Staatschefs überlassen. Die haben zu sehr ihre nationalen Interessen im Kopf, die wollen wiedergewählt werden.

Wie können die Abgeordneten ihre Stellung stärken?
Fleckenstein: Dieses Parlament muss einfach frecher werden. Aber ich habe keine Sorge, dass das unter dem neuen Präsidenten Martin Schulz (ein deutscher Sozialdemokrat, Anm.d. Red.) ab Februar so sein wird. Er wird das zu seinem Hauptthema machen und, falls notwendig, Streit machen, dass die Bude wackelt. Und er wird eine breite Unterstützung bekommen, weil das keine Frage von links oder rechts ist, sondern von demokratischer Gesinnung.

Kann die Wirtschafts- und Finanzunion angesichts der Heterogenität der Mitgliedsländer funktionieren?
Fleckenstein: Ich glaube schon. Wenn das Fundament stimmt, wenn sie sich auf die Spielregeln, Kontrollen und Sanktionsmöglichkeiten einigen, dann geht es ja vor allem darum festzustellen, ob sich alle an diese Spielregeln halten.

Ist die Europäische Einigung in Gefahr?
Fleckenstein: Die Europäische Einigung ist in Gefahr, wenn wir immer mehr Spielregeln einführen, die zu Parallelstrukturen führen, anstatt die vorhandenen mit den normalen demokratischen Mitteln auszustatten.

Hamburg sieht sich gern selbst als eine große Metropole in Europa. Wie wird Hamburg in Brüssel wahrgenommen?
Fleckenstein: 2011 wurde Hamburg unter anderem über das Thema Umwelthauptstadt wahrgenommen. Ansonsten ist Hamburg eine Region von vielen, die ihre Interessen dort vertritt - mittlerweile wieder gut und handfest.

Hängt das mit Bürgermeister Olaf Scholz zusammen?
Fleckenstein: Ja, auch. Scholz ist relativ häufig da und agiert sehr unauffällig, aber klar. Hamburg ist mindestens so aktiv wie die anderen großen Hafenstädte Rotterdam oder Antwerpen. Sorgen mache ich mir eher, dass es keine gemeinsame Strategie dieser Nordhäfen gibt, während die Mittelmeerhäfen alle zielstrebig, laut und gemeinsam ihre Karten ausspielen.

Was verhindert ein solches gemeinsames Vorgehen?
Fleckenstein: Vielleicht geht es uns noch zu gut. Ich stelle nur fest, dass Häfen in Italien, Griechenland oder Slowenien sehr viel mehr dafür werben, von dort aus Waren ins Land zu bringen, als die Nord- und Ostseehäfen.

Es gibt ja nicht mal eine deutsche Nordseehäfen-Strategie.
Fleckenstein: Das ist die Voraussetzung für alles. Aber es muss darüber hinausgehen. Wenn sich die Nordrange-Häfen nicht mit ihrer Situation auseinandersetzen, wird es schwierig werden, weil die Häfen im Süden Europas wild entschlossen sind aufzuholen.

Für Hamburg extrem wichtige Entscheidungen werden auf EU-Ebene getroffen. Stichwort HSH Nordbank oder Elbvertiefung. Inwiefern sind Sie an solchen Prozessen beteiligt?
Fleckenstein: Bei der HSH Nordbank war ich nicht beteiligt. Zur Elbvertiefung habe ich Gespräche geführt und mich mit dem Senat ausgetauscht - also eine Art begleitende Unterstützung.

Wie erklären Sie einem Hamburger, warum es wichtig ist, was die EU über ökologische Belange der Elbe denkt?
Fleckenstein: Die EU-Staaten haben sich auf Umweltziele geeinigt. Und dann wollen sie natürlich auch sehen, ob sich alle daran halten. Das passiert ja nicht nur bei der Elbvertiefung, sondern auch bei Projekten in anderen Teilen Europas.