Kaum war Bürgermeister von Beust von seiner China-Dienstreise zurückgekehrt, flatterte eine E-Mail in die elektronischen Briefkästen vieler CDU-Abgeordneter.

"Die Karawane zieht weiter", pflegte Helmut Kohl in seiner Kanzlerzeit zu sagen, wenn er sich mit Kritik und Kritikern nicht lange beschäftigen wollte. "Unrat vorbeischwimmen lassen" könnte als fernöstliche Weisheit durchgehen, die dasselbe meint.

Kaum war Bürgermeister Ole von Beust von seiner einwöchigen Dienstreise nach China, dem Land der Spruchweisen Laotse und Konfuzius, zurückgekehrt, flatterte eine E-Mail in die elektronischen Briefkästen vieler CDU-Abgeordneter. Unter dem hanseatisch-harmlos klingenden Namen "Alsterkreis" rufen Christdemokraten ihre Parteifreunde dazu auf, gegen die Primarschule beim Volksentscheid, also gegen die schwarz-grüne Politik von Ole von Beust und für die Volksinitiative "Wir wollen lernen", zu stimmen. "Führende Unionspolitiker haben sich linksideologische Positionen zu eigen gemacht", heißt es in der Diktion der Zeit des Kalten Krieges. Unter dem Verdacht der Linksabweichung steht vor allem einer, dessen Name aber nicht genannt wird: eben Ole von Beust.

Damit nicht genug: "Für einen konservativen Aufbruch in der Christlich Demokratischen Union", lautet das selbstbewusste Motto des informellen Kreises. Der Vorwurf: "Führende Parteimitglieder" betreiben eine "Politik der vorschnellen Preisgabe eigener Überzeugungen, die CDU-Mehrheiten zerstört und Bürgerliche heimatlos werden lässt". Mit Johannes Keßner, dem Landesvorsitzenden des Rings Christlich Demokratischer Akademiker (RCDA), zählt immerhin ein früheres Landesvorstandsmitglied zu den Initiatoren. Auf der Homepage der CDU wurde Keßner sogar noch bis Mitte dieser Woche als Mitglied der Parteiführung verzeichnet.

Die "Alsterkreis"-Initiative ist fraglos ein Schuss vor den Bug des Senatsschiffes. Mitten in der heißen Kampagnenphase für die in der Union ungeliebte sechsjährige Primarschule vor dem Volksentscheid am 18. Juli regt sich Widerstand in der Partei. Und es sind nicht die "üblichen Verdächtigen" der Schulpolitiker um die frühere Fraktions-Vizechefin Ingeborg Knipper, die Front gegen die Reform machen. Es sind angeblich etwa 60 CDU-Mitglieder, die namentlich allerdings nicht einmal bekannt sind. Sie verstehen sich als Netzwerk, was der Sache ein bisschen den Charakter eines Geheimbunds gibt.

CDU-Fraktionschef Frank Schira, in Kürze auch Landesvorsitzender, zog die Toleranzkarte gegenüber den Aufmüpfigen. "Wir haben eine große Bandbreite in der Partei", sagte Schira betont gelassen. Von Beust schwieg: Er ließ die Sache einfach an sich vorbeischwimmen - siehe oben.

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass der Aufruf des "Alsterkreises" die Parteispitze aktuell in ernsthafte Schwierigkeiten bringen wird. Bis zum Volksentscheid wird auf jeden Fall Disziplin geübt. Aber das konservative Ausrufezeichen drückt durchaus ein verbreitetes Unbehagen unter den CDU-Mitgliedern aus. Nicht nur in der Schulpolitik sind die klassischen Unions-Positionen bisweilen kaum mehr erkennbar. Je erfolgloser Schwarz-Grün jedoch agiert - und eine Niederlage beim Volksentscheid wäre ein immenser Misserfolg -, desto größer wird die Resonanz sein, auf die die Thesen des "Alsterkreises" treffen.

Die CDU ist in Wahrheit tief verunsichert. Da ist zum einen die Diskussion über einen möglichen Rücktritt von Beusts und die Frage der Nachfolge, die die Partei längst voll erfasst hat. Der Absturz der Union in den jüngsten Meinungsumfragen hat die Christdemokraten zusätzlich nervös werden lassen. Jetzt kommt zur Personal- noch die inhaltliche Debatte. Sie ist auch die Folge davon, dass der große Steuermann von Beust, neun Jahre lang der Erfolgsgarant, nun bisweilen den Eindruck erweckt, dass er beim Abstecken des künftigen Kurses auf der Seekarte selbst etwas irritiert ist.

Es ist schon richtig: Das längere gemeinsame Lernen verprellt konservative Stammwähler der Union. Eine programmatische Rückbesinnung auf die alten Überzeugungen der Partei - Start des Gymnasiums in Klasse fünf - könnte dazu führen, dass verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen wird. Der "Alsterkreis" hat für den von ihm propagierten "konservativen Aufbruch" auch schon weitere Politikfelder im Visier: Dazu zählen die Familien- und die Integrationspolitik.

Dennoch: Strategisch wird sich die Union ein konservatives Rollback kaum leisten können. Auch völlig unabhängig vom schwarz-grünen Bündnis: Die CDU hat nur eine Machtperspektive in Hamburg, wenn sie über die Mitte hinaus Wählerstimmen bei denen zieht, die traditionell links oder linksliberal wählen. Ole von Beust hat das bei der Bürgerschaftswahl 2004 geradezu beispielhaft vorgemacht: Mit ihm als Leitfigur ("Michel - Alster - Ole") holte die CDU die absolute Mehrheit. Von Beust persönlich stand dabei für die liberale, weltoffen-tolerante Art, die die CDU für diejenigen wählbar machte, die sonst nichts mit ihr am Hut haben.

Übrigens: Die SPD war über Jahrzehnte auch deswegen im Rathaus erfolgreich, weil sie umgekehrt konservative Wähler angesprochen hat. Das ging bis Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre gut, als die Partei das Feld der inneren Sicherheit nicht mehr intensiv genug beackert hat. Das galt zum Beispiel für den Bereich der Drogenkriminalität. Ein weiteres Stichwort ist die Hafenstraße.

Für die Union kommt erschwerend hinzu, dass es nach wie vor eine strukturelle linke Mehrheit in der Stadt gibt. SPD, GAL und Linke haben auch in der Bürgerschaft rechnerisch eine Mehrheit, sie machen nur keinen Gebrauch davon. Sich allein auf die FDP als möglichen Bündnispartner zu konzentrieren dürfte für die Union jedoch kaum erfolgversprechend sein.

Tatsächlich könnte sich für die Christdemokraten schon bald die Frage stellen, ob sie sich eine realistische Machtoption erhalten wollen oder zur alten reinen Lehre zurückkehren. Vielleicht richten sich die Hoffnungen des "Alsterkreises" in diesem Zusammenhang auf Innensenator Christoph Ahlhaus, der ein konservatives Profil hat. Offiziell mögen sich die Aktiven dazu derzeit nicht äußern. Ihnen gehe es, so Keßner, ausschließlich um Sachfragen, nicht um Personalpolitik.

Mit von Beust wäre die Rückbesinnung auf den konservativen Kern als Leitmotiv wohl ohnehin nicht zu machen. Er hat schon nach der letzten Bürgerschaftswahl erklärt, dass er mehr Christ als Konservativer sei.