Die Debatte um die Rote Flora geht weiter. Das geschah diese Woche im Rathaus.

Hamburg. "Engel der Muse, führ und leit' mich. Dann wird mein Weg klar sein", sang die schöne Christine im Musical "Das Phantom der Oper". Und flehte beinahe: "Engel der Muse, komm her und zeig dich." Es war im Jahr 1987, als in der Schanze ein Theater für diesen Schmachtfetzen gebaut werden sollte. Diesem Konzept fehlte offensichtlich ebenfalls Inspiration: Freunde des Klassik-Pop-Musicals sollten demnach aus ganz Deutschland anreisen und nach der Vorstellung in gediegenen Lokalen auf dem Schulterblatt speisen. Die würden, so das Kalkül der Stadtplaner, auf der damaligen Drogenmeile aus dem Boden schießen, hätte das "Phantom" dort erst mal sein Lager aufgeschlagen.

Beliebte Stadtteile entstehen nicht am Reißbrett

Die Besetzung der Flora durch linksautonome Aktivisten verhinderte diese Pläne. Dass die Rote Flora selber zur Touristenattraktion wurde und als unfreiwilliges Markenzeichen das nun entstandene Szeneviertel für Gutverdiener prägt, ist Ironie der Geschichte, verdeutlicht aber auch: Beliebte Stadtteile entstehen nicht am Reißbrett. Susanne Uhl (Regenbogen) sagte bereits im Jahr 2001, der Senat solle den Besetzern dankbar sein: "Weil sie ihn vom stadtplanerischen Blödsinn abgehalten haben, dort ein Musical-Theater zu bauen."

Ähnliche Töne sind heute, acht Jahre später, auch vom Senat zu hören, allerdings beim Thema Gängeviertel: Den Besetzern gebühre Dank, weil sie die Stadt auf ein unwiederbringliches Stück Hamburg aufmerksam gemacht haben, sagte Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos). Die laufende Debatte stellt zumindest in Aussicht, dass die Regierung künftig mehr auf die Bedürfnisse der Bürger achtet.

Nun gewinnen friedliche Künstler leichter Sympathien auf breiter Ebene als die Rotfloristen, von denen einige Gewalt als legitimes Mittel bezeichnen. Dennoch bieten beide Fälle auf den ersten Blick eine weitere Parallele: Beide Immobilien sind nicht mehr im Besitz der Stadt, die privaten Besitzer sorgen jeweils aus städtischer Sicht für Ärger. Im Fall Gängeviertel setzt die Firma Hanzevast auf eine üppige Abfindung, um sich aus dem Vertrag zu verabschieden. Im Fall der Flora gibt Investor Klausmartin Kretschmer vor, einen Machthebel in der Hand zu halten, der lang genug sei, die schwarz-grüne Koalition zu gefährden: Eine geräumte "brennende" Flora könne die Wahlen 2012 entscheiden, sagt Kretschmer, um im gleichen Atemzug zu erwähnen, ihm liege ein Angebot über 19,3 Millionen Euro für das Haus am Schulterblatt vor, was sehr üppig erscheint.

Wollte Kretschmer auf den Zug aufspringen? Im Fall des Gängeviertels scheut die Stadt, auch unter dem neuen Druck der Öffentlichkeit, keine Mühe, sich vom Investor freizukaufen. Die Flora-Drohkulisse bleibt jedoch weitgehend unbeachtet, obwohl es hier grundsätzlich ebenfalls um einen Freiraum inmitten steigender Mieten geht. Der Unterschied: Der Fall Flora ist eine Phantomdiskussion. Kretschmer erhielt 2001 vom rot-grünen Senat den Zuschlag für damals 370 000 Mark nicht, weil er das höchste Angebot machte, sondern aufgrund seines "zurückhaltenden Konzepts", wie es in einem Schreiben heißt: Die Flora sollte nicht saniert, sondern befriedet werden. Im Gegenzug wurde auf unbefristete Zeit vereinbart, dass die Flora "selbst verwaltetes Stadtteilzentrum" bleibt. Sollte Kretschmer einen Käufer dafür gewinnen, muss er die Stadt am Gewinn beteiligen, aufgrund des geringen Kaufpreises damals. Genug Motivation, den Preis in die Höhe zu treiben. Doch eine Räumung dürfte schwer durchsetzbar sein, wenn keine Straftaten in der Flora stattfinden. Der Senat wird jedenfalls nicht unter Zugzwang geraten, weil dort ein McDonald's eröffnen soll und Dauerdemo ist. Eine Ausnahme ist vorgesehen: Sollte sich das Umfeld der Flora entscheidend verändert haben, heißt es, könne die Bürgerschaft über eine Änderung der Nutzung abstimmen.

"Ich bin immer für Verkauf - wenn der Preis stimmt."

Doch davon will man nichts wissen: "Entscheidungen über die Flora stehen nicht an, es ist ja alles vertraglich geregelt", sagt Antje Möller (GAL). Und CDU-Stadtentwickler Jörg Hamann sagte: "Ob mit Kretschmer oder einem anderen Betreiber, die Nutzung bleibt."

Der Vertrag über die Flora wurde nach Zweck vergeben, nicht nach Höchstgebot. Das dürfte GAL-Fraktionschef Jens Kerstan freuen, der gegen den Koalitionspartner CDU stichelte: "Das Gängeviertel zeigt, dass das Gebot, nur im Höchstgebotverfahren zu veräußern, mehr Probleme schafft als löst."

Tatsächlich wäre ein Flora-Verkauf unter der Union wohl anders gelaufen. Der heutige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) sagte 2001 als Oppositionschef: "Ich bin immer für den Verkauf städtischer Immobilien - wenn der Preis stimmt." Für die Flora sei jedoch bis zu eine Million Mark zu wenig genommen worden. Das sei "politischer Befreiungsschlag", anstatt "Geld ins Stadtsäckel zu kriegen".

Heute dürfte der Senatschef dieser Summe nicht mehr hinterhertrauern - sondern froh sein, dass er ein Investorenproblem weniger hat.