Der Wahl-Präsident der Hamburger Uni, ließ es in der Koalition knallen. “Wir wurden über den Tisch gezogen“, soll ein Grünen-Politiker gesagt haben.

Als jeder Kandidat vorgesprochen hatte, hoben die Anwesenden im Audimax ihre Arme, Kreide rieb knirschend auf der Tafel über dem Katheder. Ein Helfer malte für jedes Handzeichen einen Strich hinter die Namen der Kandidaten, bündelte mit einem Querstrich die Fünfer, ganz so, als wählten Schüler ihren Klassensprecher. Allerdings stimmten die 70 Vertreter der Hochschule über nicht weniger ab als einen neuen Uni-Präsidenten. Die Öffentlichkeit des Verfahrens war im Jahr 1969 eine bundesweite Neuheit. Mehrmals wiedergewählt, blieb Präsident Peter Fischer-Appelt ganze 21 Jahre lang im Amt.

Diese Zeiten der Basisdemokratie an Hamburger Hochschulen sind längst vorbei, der geheim tagende Hochschulrat wählt nun einen Kandidaten aus, der von Uni-Vertretern im Akademischen Senat bestätigt wird. Wie man auch dazu steht: Öffentlich ist dieses Verfahren beim besten Willen nicht, und Nicht-Öffentlichkeit ist die passende Arena für eine Kampf um politischen Einfluss.

Entsprechend knallte es nach Abendblatt-Informationen zwischen GAL und Union, als Wissenschaftssenatorin Herlind Gundelach (CDU) vor wenigen Tagen freudig mitteilte, der polarisierende Professor Dieter Lenzen sei zum neuen Uni-Chef gewählt worden. "Wir wurden über den Tisch gezogen", soll ein hochrangiger Grünen-Politiker gesagt haben, aber mehr noch: Die GAL habe schließlich auch bei Besetzung wichtiger Ämter ebenfalls Rücksicht auf den konservativeren Koalitionspartner genommen.

Koalitionskompromiss für den Chefankläger

War da nicht was mit dem Generalstaatsanwalt? Kürzlich ernannte Justizsenator Till Steffen (GAL), bekannt für einen frischen Kurs nach eher repressiven Zeiten, einen überraschend konservativen Chefankläger: Lutz von Selle gilt mancherorts als Hardliner, woraus Senator Steffen auch kein Geheimnis machte: "Ich bin mir sicher, dass wir künftig in einigen Punkten unterschiedlicher Ansicht sein werden", sagte er in seiner Willkommensrede. Ein grüner Wunschkandidat wäre anders begrüßt worden.

Nach diesem Zugeständnis muss die Erwartung der GAL groß gewesen sein. Bereits vor einem halben Jahr, so hört man, schallte aus der Fraktion ein "Nein!" zum Kandidaten Lenzen. Das hatte vor allem einen Grund: Als Präsident der FU Berlin äußerte Lenzen im Jahr 2005 in einem Interview, dass türkische Kinder womöglich weniger intelligent seien als deutsche Altersgenossen. Dabei berief er sich auf eine Studie, wonach Sprachdefizite bei türkischen Kindern die Entwicklung der Intelligenz beeinträchtigen könnten. Das zeugt von Provokationstalenten in der Liga des Thilo Sarrazin. Was der GAL wohl ebenfalls missfällt: Der parteilose Dieter Lenzen war in Berlin bereits als CDU-Spitzenkandidat im Gespräch.

An dieser Stelle muss unterschieden werden zwischen der politischen Debatte über einen Kandidaten und dem Kandidaten selbst. Dieter Lenzen ist zu eigenwillig, als dass er in parteipolitische Muster passen würde. Die einst als "Gammel-Uni" verschriene FU Berlin machte er zum Exzellenzstandort, positioniert sich aber gleichzeitig gegen Studiengebühren. Trotzdem zitierte der Pädagoge, der nach eigenen Angaben einen IQ von 135 hat, bewusst die genannte Studie, deren Forschungsansatz unbestreitbar rassistische Kategorien aufweist. Gleichzeitig betont er in Interviews, dass Kinder aus bildungsfernen Familien schlechtere Chancen haben, weil sie oft nicht an sich glaubten. Sie zu ermutigen und zu fördern sei Aufgabe der Lehrer. Letzteres klingt nach differenziertem, und wenn man so will, eher linkem Strukturverständnis, nicht nach sozialdarwinistischer Keule.

Die GAL versuchte, das Gesicht zu wahren

Doch zurück auf die politische Bühne. GAL-Hochschulpolitikerin Eva Gümbel überraschte kurz nach Lenzens Wahl mit harscher Kritik am Hochschulrat: Dieser hätte den Kandidaten Lenzen vor der Wahl der Öffentlichkeit der Hochschule präsentieren sollen, so wie das früher üblich war. Schließlich habe man im Fall der zurückgetretenen Präsidentin Monika Auweter-Kurtz schlechte Erfahrungen mit einer verdeckten Ernennung gemacht.

Das verwundert aber nun doch: Die GAL-Fraktion hat, wie auch die CDU-Fraktion, direkten Draht in den Hochschulrat. Der Verzicht auf eine öffentliche Vorstellung der künftigen Uni-Spitze dürfte keine Überraschung gewesen sein. Zumal die GAL einen Antrag der SPD auf ein öffentliches Verfahren ablehnte. Begründung: Man werde schon selbst für Transparenz sorgen. Die zu späte Kritik der GAL ist als vergeblicher Versuch zu werten, ihr politisches Gesicht zu wahren, wenn sich die CDU schon in der Frage des Kandidaten und der Verfahrens durchgesetzt hatte. Nach Staatsanwalt und Uni-Chef dürfte klar sein: Wird das nächste öffentliche Amt besetzt, fahren die Grünen ihre Krallen aus. Offiziell schaut man nun aber mit Dieter Lenzen in eine positive Zukunft.

Den Wahl-Präsidenten selbst dürfte das Gerangel wenig beeindrucken. Über seinem Schreibtisch hängt laut Berichten der Spruch: "Wenn man lange genug am Fluss sitzt, kann man eines Tages die Leichen seiner Feinde vorbeischwimmen sehen." Seine Interpretation: Irgendwann räche sich alles.