150 Millionen Euro Mehrkosten bis 2012 (bisher 450 Millionen pro Jahr) für neue Kitaplätze kommen auf den Hamburger Senat zu.

Hamburg. Für Milliarden war er damals noch nicht verantwortlich, aber die kleineren Beträge hatte Dietrich Wersich (CDU) immer schon im Blick. Aus der Zeit, als der heutige Sozialsenator das Altonaer Theater leitete, kursiert folgende Geschichte: Ein Mitarbeiter hatte bei einer Abrechnung einige Cents aufgerundet und diese aus eigener Tasche bezahlt. Es soll nicht lange gedauert haben, bis Geschäftsführer Wersich nachrechnete - und dem Mitarbeiter die Münzen zurück in die Hand drückte, nicht ohne freundlichen Tadel. Mitarbeiter von privaten Theatern gehören eben eher nicht zu den Besserverdienern, über die seit der Erhöhung der Kita-Gebühren eine Diskussion entbrannt ist. Auch sonst bemüht sich Wersich in Gesprächen, gegen das ewige Image der CDU zu kämpfen: Das Soziale, bedauerte der Sozialsenator einmal, sei in der Wahrnehmung eher Markenkern der SPD und Linken. "Den bürgerlichen Parteien traut das ja keiner zu."

Doch vielleicht war es wiederum des Senators Faible für kleine Beträge, der eben dieses Klischee in den Hamburger Köpfen bestätigt hat: Nicht einmal zehn Millionen Euro sparen die unpopulären Beitragserhöhungen dieses Jahr im milliardenschweren Sozialetat. Der Preis dafür sind erzürnte Eltern pünktlich zum Volksentscheid zur Primarschule im Sommer, der für den Senat zur Überlebensfrage werden könnte. Dabei sollte alles anders laufen: Angeführt von CDU-Übermutter Ursula von der Leyen, wollte sich die Union im Jahr 2007 endgültig zur familienfreundlichen Partei erklären. Die Zahl der Betreuungsplätze muss sich bis 2013 verdreifachen, beschloss die Partei. Der damalige Generalsekretär Roland Pofalla frohlockte: "Erstmals seit Jahren trauen uns die Wähler in der Familienpolitik wieder mehr zu als der SPD."

Der Alleingang des Senators kam erst später

Das ist zumindest in Hamburg erst mal vorbei - obwohl 150 Millionen Euro Mehrkosten bis 2012 (bisher 450 Millionen pro Jahr) für neue Kitaplätze den Senat alles andere als unvorbereitet erreicht haben. Aus CDU-Spitzenkreisen heißt es, bereits während der schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen seien warnende Stimmen laut geworden, der Kita-Etat werde "uns noch um die Ohren fliegen". Aber was soll der Geiz, lautete wohl das Motto. Die Koalitionspartner waren sich schnell einig. Ansprüche auf Betreuung sollten erweitert werden - schließlich weiß die CDU, wie die strukturell eher linke Mehrheit der Wähler in der Hansestadt darüber denkt.

Der Alleingang des Sozialsenators, der eher wie ein Finanzsenator handelte, kam erst später. Als die krisenbedingten Steuerausfälle bekannt waren, der Senat im vergangenen Herbst zur Sparklausur zusammensaß, da diskutierte Wersich tief bis in die Nacht mit GAL- und CDU-Fraktion über Sparpläne. Erwogen wurde auch, den Kita-Etat zum Schongebiet zu erklären - was aber auch von GAL-Senatoren torpediert wurde, berichten Zeugen. Beim Sparen ist sich jeder selbst der Nächste, Risiken für das Projekt Primarschule wollte damals noch niemand erkennen. Aus CDU-Kreisen heißt es übrigens, dass es die Grünen waren, die dafür plädierten, die Gebühren für Eltern behinderter Kinder zu erhöhen. Nicht der "Senator Herzlos", wie Wersich von der Boulevardpresse getauft wurde.

Allerdings waren die Pläne damals noch allgemeiner gefasst. Von der Staffelung, die nun einen Teil der Eltern bis zu 100 Euro pro Kind und Monat mehr kosten wird, erfuhren die Regierungsfraktionen erst über die Medien: "Ich hätte mir gewünscht, dass die Ausgestaltungen der Sparbeschlüsse vor der Veröffentlichung intern diskutiert worden wären", sagt GAL-Sozialexpertin Christiane Blömeke, die eine Verschiebung der Maßnahme jedoch unredlich gefunden hätte "Weil ein Volksentscheid ansteht, können wir nicht aufhören, Politik zu machen." Offensichtlich habe der Senat aber die Reaktionen der Eltern "unterschätzt", heißt es nicht nur aus ihrer Partei.

Vielleicht kam die Finanzkrise sogar ganz gelegen

Im Unterschied zum gebührenfreien Zielmodell der SPD ist Sozialsenator Wersich jedoch von mehr Bürger-Mitfinanzierung überzeugt. Vielleicht kam die Finanzkrise sogar gelegen, um den ersten, unpopulären Schritt zu gehen. "Soziale Probleme sind lange nur versorgt worden", ist das Motto des Politikers, der selbst aus bescheidenen Verhältnissen stammt und erst Arzt, dann Theater-Geschäftsführer, dann Spitzenpolitiker wurde. Schon lange lässt er Testballons aufsteigen, um die Akzeptanz für kostensenkende Maßnahmen auzuloten - zumal die Sozialausgaben bisher kräftig wachsen. Zuletzt seine Idee, Nachbarn sollten bei der Betreuung älterer Menschen mithelfen - das Zwischenmenschliche sei "überprofessionalisiert".

Da amüsiert es fast, was im schwarz-grünen Koalitionsvertrag zur Kita-Betreuung steht: "Es soll geprüft werden, wie durch Anpassung der Gebührenstruktur Familien, die jetzt durch die Gebühren abgeschreckt werden, bewegt werden können, ihre Kinder in die frühe Förderung einer Kita zu geben." Die SPD spottet, die Gebührenerhöhung sei wohl als riesiger Feldversuch zu werten: "Schönen Gruß von Hamburgs Eltern: Das aktuelle Modell ist nicht erfolgsversprechend", sagte Kitaexpertin Carola Veit.

Eine Kehrtwende Wersichs in der Kita-Politik war aber ohnehin kaum noch möglich, als sein Entwurf öffentlich bekannt war. Zu sehr hätte ein solcher Schritt den Senator beschädigt, heißt es. Manchmal sind Personalien eben wichtiger als Sachfragen. Das dürfte die Aufregung in der Stadt aber nicht mindern.