Wenn es denn möglich wäre, dann hätte die CDU in dieser Woche Trauerbeflaggung für das Rathaus anordnen müssen.

Die Abendblatt-Umfrage hat die Union in den Keller geschickt. Nach Schulreformstreit und Kita-Gebührenerhöhung, nach Kostenexplosionen etwa bei der Elbphilharmonie in Zeiten der globalen Finanzkrise liegt die Regierungspartei CDU mit 34 Prozent erstmals seit acht Jahren hinter der SPD, die auf 37 Prozent kommt.

Schlimmer noch: Bürgermeister Ole von Beust, das Zugpferd der Union, hat seinen Amtsbonus eingebüßt. Wenn der Regierungschef direkt gewählt werden könnte, dann würden 44 Prozent den SPD-Landesvorsitzenden Olaf Scholz vorziehen und nur 41 Prozent von Beust. Plötzlich dämmert seinen Parteifreunden, dass die christdemokratische Ära, die mit dem Machtverlust der SPD und der Wahl von Beusts zum Bürgermeister 2001 begann, ein jähes Ende finden könnte.

Inzwischen werden Worte ausgesprochen, die vor Kurzem noch undenkbar waren. Es war vor zwei Wochen, damals gab es zwar noch keine Abendblatt-Umfrage, aber die Wogen der Empörung wegen der Kita-Gebühren schlugen hoch: Im kleinen Kreis des CDU-Fraktionsvorstands stellte von Beust den neuen Wirtschaftsstaatsrat Peter Wenzel vor. Der Bürgermeister hatte wenig Zeit und wollte sich verabschieden. Es gebe derzeit viele Diskussionen und Unzufriedenheit mit dem Senat und auch mit ihm persönlich in Partei und Fraktion, sagte von Beust. Dann ermunterte er die Anwesenden zu Debatte und Kritik, auch ohne dass er dabei sei. Es folgten diese beiden Sätze im Aufstehen: "Hier ist mein Stuhl. Will ihn einer haben?" In die Schocksekunde hinein dann das Lachen. Ein Scherz. Nur ein Scherz. Keine Sorge. Vielleicht aber doch auch eine kleine Provokation.

Der Szene vorausgegangen war offensichtlich ein kleiner Streit zwischen Fraktionschef Frank Schira und von Beust, der möglicherweise deswegen etwas gereizt war. Teilnehmer der Runde bestätigten, dass die Sätze des Bürgermeisters nicht als Rücktrittsdrohung zu verstehen gewesen seien. Er habe auch nicht den Beleidigten gespielt, weil plötzlich einige Parteifreunde Kritik an seinem angeblich zu laschen Führungsstil üben wollten. Aber über solche Sätze reden sie natürlich in der Partei.

Während also bei Christdemokraten im Rathaus je nach Temperament Erschütterung, Verzweiflung oder eine Das-wird-schon-wieder-Stimmung vorherrscht, gäbe es nur wenige Hundert Meter entfernt im Kreisbüro der CDU Mitte am Klosterwall allen Grund, die Sektkorken knallen zu lassen. Der CDU-Kreisverband Mitte kann mitten in der Krise der Partei einen sensationellen Mitgliederzuwachs verbuchen. Seit Anfang des Jahres ist die Zahl der Hamburger mit CDU-Parteibuch um 535 auf jetzt 9800 geklettert. Der Zuwachs geht fast ausschließlich auf den Kreisverband Mitte zurück.

Was machen die Mitte-Christdemokraten anders? "Wir sind ein Team von engagierten Ortsvorsitzenden", sagt der Bürgerschaftsabgeordnete Heiko Hecht, Vorsitzender der CDU Finkenwerder. Allein in Hechts Sprengel kletterte die Mitgliederzahl von rund 100 auf 163. Die CDU Mitte hat eine gewisse Tradition in der Werbung neuer Mitglieder. Vor einigen Jahren machte ein geplanter Masseneintritt von Mitgliedern der alevitischen Gemeinde in die CDU Finkenwerder Schlagzeilen. Und Aramäer, Christen aus der Türkei, zog es in die Billstedter CDU.

Masseneintritte einzelner Glaubensgruppen soll es jetzt nicht geben. Zu den Mitgliedsmagneten zählt jedoch erneut die Billstedter CDU, die von dem Bürgerschaftsabgeordneten David Erkalp geleitet wird. An Erkalp, der aramäischer Christ ist, führt in der CDU Mitte kein Weg mehr vorbei. Gerade hat er einen Vertrauten, Joseph Ilcin, als stellvertretenden Vorsitzenden der Bezirksversammlung Mitte installiert. Als Nächstes strebt Erkalp den Vorsitz der CDU Mitte an, die eigenen treuen Anhänger als Wähler im Rücken.

Doch noch steht ihm ein Mann im Wege: der Kreisvorsitzende Christoph de Vries. Derzeit laufen hinter den Kulissen Gespräche der beiden Lager mit dem Ziel, zu einem Einvernehmen zu kommen. De Vries wäre wohl bereit, auf den Kreisvorsitz zu verzichten, wenn er und seine Mitstreiter im Gegenzug einen sicheren Listenplatz für die Bürgerschaftswahl 2012 bekämen. Sollte die Einigung scheitern, steht eine Kampfkandidatur zwischen Erkalp und de Vries an.

Mit welch harten Bandagen in Mitte gerungen wird, zeigt die Vorstandswahl im CDU-Ortsverband St. Pauli. Weil den dort engagierten Dom-Schaustellern nicht passte, dass der Vorsitzende und Bürgerschaftsabgeordnete Thomas Felskowsky Erkalp unterstützt, stellten sie einen Gegenkandidaten auf. Im ersten Wahlgang lautete das Ergebnis 40:40, im zweiten dann 41:39 für Felskowsky. Wegen der ungewöhnlich hohen Zahl von acht ungültigen Stimmen wird die Abstimmung rechtlich überprüft. Bei den folgenden Wahlen der acht Kreisdelegierten, die den Kreischef wählen, setzte Felskowsky ausschließlich Erkalp-Anhänger durch.

Unabhängig von den internen Querelen ist es das Ziel der Mitte-Leute, ihrem gewachsenen Gewicht auf Landesebene Geltung zu verschaffen. Eifersüchtig achten die Kreisverbände darauf, bei der Postenvergabe nicht zu kurz zu kommen. Durch den Mitgliedersprung ist Mitte am Kreisverband Altona vorbeigezogen und liegt gleichauf mit der CDU Nord. Wandsbek stellt den mit Abstand größten Kreisverband.

Der designierte Parteichef Frank Schira, dessen Wahl am 26. Juni als sicher gilt, ist Wandsbeker. Der Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg, ein Altonaer, ist als einer der drei Stellvertreter gesetzt. Er hat den Posten bereits inne. Schira hat ein Frauenproblem, nachdem die Ex-Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram angekündigt hat, nicht erneut als Parteivize kandidieren zu wollen. Und die Dritte im Bunde, Aygül Özkan, fällt aus, weil sie in dieser Woche Sozialministerin von Niedersachsen wurde.

Um die Modernität der Elb-Union zu betonen, möchte Schira unbedingt Frauen an die Parteispitze holen. Mit Viviane Spethmann, die bereits Fraktionsvize in der Bürgerschaft ist, dürfte das gelingen. Mit Spethmann wäre die CDU Nord versorgt. Bleibt Mitte.

Und hier kommt David Erkalp ins Spiel. Derzeit gilt als eine aussichtsreiche Variante, dass Erkalp einer der drei stellvertretenden CDU-Chefs werden könnte. Er hat wie Özkan einen Migrationshintergrund, aber einen schweren Nachteil: Er ist keine Frau.

Peter Ulrich Meyer leitet die landespolitische Redaktion des Abendblatts.