Karen Petersen sucht geeignete Jobs für Langzeitarbeitslose. Doch davor brauchen die Klienten eine Wohnung oder einen Therapeuten.

Hamburg. Wer klischeehafte Bilder sucht, der findet sie hier. Im Borncenter am Osdorfer Born. Es ist mittags, 13.30 Uhr: Vater und Mutter stehen vor dem türkischen Imbiss, beide haben eine Dose Bier in der einen Hand, eine Kippe in der anderen. Das jüngste Kind sitzt im Buggy, zwei ältere Mädchen essen Pommes. So sind sie eben, die Hartz-IV-Empfänger.

Im Gebäude um die Ecke, vier Etagen höher, sieht die Hartz-IV-Welt anders aus. Aber das ist die Welt, die die Öffentlichkeit, die Menschen, die Arbeit haben, gar nicht zu sehen bekommen. Im Jobcenter Altona-West kümmern sich Karen Petersen und ihre Kollegin Janne Kassama um Menschen, die vom Arbeitslosengeld II leben müssen und die das ändern wollen. Wirklich wollen, aber aus eigener Kraft nicht können, weil sie Schulden haben, keine Wohnung finden, krank sind oder familiäre Probleme haben.

Petersen und Kassama sind Fallmanagerinnen. Früher hätte man einfach Arbeitsvermittlerin gesagt. Aber es geht um mehr. Denn Petersen und Kassama versuchen, die Probleme aus dem Weg zu räumen, an denen die Arbeitsuche scheitert. "Wir sind keine Psychologen, keine Ärzte, von jedem etwas vielleicht, wie Lotsen", sagt Frau Petersen. Die 43-Jährige ist eine energiegeladene Frau mit langen blonden Haaren, die gerne und viel lacht und die an diesem Tag ein bisschen nervös ist, sagt sie, weil sie von der Abendblatt-Reporterin begleitet wird. Diese offene Frau passt so gar nicht zum Bild der seelenlosen Sachbearbeiter in deutschen Behörden.

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Zu Karen Petersen, die früher als Werbekauffrau in einer großen Hamburger Werbeagentur gearbeitet hat, kommen die Arbeitslosen, "die eine positive Prognose haben und den Willen", wie es Frau Petersen formuliert. "Die meisten unserer Kunden wollen arbeiten. Aber denen geht es im Moment so schlecht, dass sie erst einmal gar nicht an Arbeit denken können." Kunden nennt Karen Petersen ihre Arbeitslosen. Das klingt freundlich und drückt Respekt aus. Und doch ist der Begriff ein bisschen merkwürdig. Sicher, Kunden wie der 27-Jährige, der an diesem Morgen als Erster in ihr kleines Büro kommen und sich an ihren Schreibtisch setzen, wollen ja etwas haben. Einen Job. Und doch sind es manchmal eher Patienten.

Der etwas füllige 27-Jährige hat zum ersten Mal einen Termin bei seiner Fallmanagerin. Der gelernte Kaufmann für audiovisuelle Kommunikation hat zuletzt in einem Handyladen gearbeitet. "Das war nicht so meine Sache. Ich sollte die Leute bescheißen, das war nicht so gut für meinen Blutdruck", erzählt er. "Ich wurde krankgeschrieben, und schließlich wurde mir gekündigt." Job weg, Wohnung weg. Kein Einzelfall an diesem Tag. "Fühlen Sie sich gesund?", will sie wissen. "Nicht wirklich." Der Mann könnte sich aber vorstellen, eine Umschulung zum Erzieher zu machen. Schließlich sei seine Tante auch Erzieherin. Dass die Arbeit mit Kindern anstrengend ist, zumal mit einem kaputten Sprunggelenk, darauf muss ihn Frau Petersen erst hinweisen.

Eine eigene Wohnung hat er auch nicht. Er hätte eine Wohnung am Osdorfer Born haben können, "aber das hier ist ja nicht die schönste Gegend", sagt er. Die Wohnung wollte er nicht. Karen Petersen händigt ihrem Kunden einen Flyer aus mit der Anschrift der Fachstelle für Wohnungsnotfälle in Altona. "Der Wohnungsmarkt in Hamburg ist katastrophal", sagt sie. Eine eigene Wohnung zu finden, das hat bei diesem Kunden erst einmal Priorität. Ein bis zwei Jahre kann es dauern, ehe ihre Kunden wieder in Arbeit sind. Ein Integrationsplan wird aufgestellt, damit die Menschen vom Rand der Gesellschaft wieder in die Mitte rücken. Hier in ihrem Büro mit den vielen Topfpflanzen, der St.-Pauli-Fahne im Blumentopf und den Familienbildern im Rahmen, zeigt Karen Petersen ihren Kunden den Weg hinaus aus der Misere, zurück ins Arbeitsleben. Versucht es zumindest.

"Das Fallmanagement ist ein freiwilliges Angebot, niemand muss zu uns kommen." Im Gegensatz zum Arbeitsvermittler, der häufig 350 und mehr Kunden betreut, können sich Fallmanager mehr Zeit nehmen. Im Durchschnitt sind es 75 Menschen, die sie zu betreuen haben. "Wir haben hier Leute, die gut qualifiziert sind, wie zum Beispiel eine Rechtsanwältin oder eine Zahnärztin." Das ist aber die Ausnahme. "Die meisten, die zu mir kommen, kennen ihre Kompetenzen gar nicht."

Da ist Peter Tatsch, der zum zweiten Mal bei Karen Petersen ist. Auch er hat Schulden, keinen festen Wohnsitz. Er hatte einen Ein-Euro-Job angefangen bei der Kleiderkammer und ist dann einfach nicht mehr erschienen, weil sein Kollege beim Autofahren gekifft haben soll. 46 Jahre alt ist der Mann in der schwarzen Lederjacke. Er sieht deutlich älter aus. Lebensumstände können alt machen. 16 Jahre hat Peter Tatsch in einer Spedition im Lager gearbeitet, dann ging die Firma pleite. "Und dann hängt man hier", sagt er. Seit dem Sommer 2008 ist er ohne feste Arbeit.

Ein Termin bei der Schuldnerberatung steht nun an, Frau Petersen rät ihm, alle Rechnungen in einem Schuhkarton zu sammeln und sich um ein eigenes Konto zu kümmern. Noch erhält er seine Arbeitslosengeld-II-Bezüge per Scheck. Wenn Petersen aus dem Bürofenster schaut, dann sieht sie Bagger beim Buddeln. Ein bisschen erinnert das an die Arbeit der Fallmanagerinnen. Sie müssen im Gespräch mit ihren Kunden einfühlsam in der Vergangenheit graben, nach den Familienverhältnissen fragen, nach Krankheiten, Problemen.

Janne Kassama im Büro nebenan geht die Dinge ganz bildhaft an. Für ihren Kunden Davide D. (46) aus Ghana legt sie ein leeres Blatt Papier auf den Tisch. Am Ende des einstündigen Gesprächs sind lauter Kreise und Notizen darauf zu sehen, die die Probleme von Davide D. darstellen sollen, aber auch seine Hoffnungen und Perspektiven. Der geschiedene Mann, Vater von drei Kindern, hat 45.000 Euro Schulden, lebt in einer Obdachlosenunterkunft. Er hat Alkoholprobleme - und psychische. "Ich war glücklich, bis mich meine Frau und meine Kinder verlassen haben", sagt er. In Ghana hatte er eine Ausbildung zum Rechtsanwalt angefangen, in Deutschland zuletzt als Gabelstaplerfahrer gearbeitet.

Frau Kassama fragt ihn nach Begabungen. "Musik und Tanzen", sagt er und lacht zum ersten Mal, kichert sogar. "Arbeit ist noch nicht dran", sagt Frau Kassama. "Herr D. leidet so sehr unter seiner jetzigen Wohnsituation. Er braucht unbedingt eine eigene Wohnung." In vier Wochen kommt der Mann aus Ghana wieder. Etwa einmal im Monat treffen sich die Fallmanagerinnen mit ihren Kunden zu einem Gespräch. Gespräche, die oft nahegehen. "Eine Sache habe ich mit nach Hause genommen. Da ging es um eine Migrantin, so alt wie ich. mit einer 16-jährigen Tochter, so alt wie mein Sohn. Die Tochter ist in schlechte Kreise geraten. Da habe ich abends geheult", erzählt Frau Petersen. Ansonsten hilft es ihr, mit ihrem Vater, ihrem Freund und ihrem Sohn über die menschlichen Schicksale zu sprechen.

Eine Kundin liegt Frau Petersen an diesem Tag besonders am Herzen. Die 38 Jahre alte Iranerin, Mutter von zwei Söhnen (12 und 16) hat einen Ein-Euro-Job in einer Gärtnerei des Beschäftigungsträgers "einfal" bekommen. Dort kann sie Kräuterbeete anlegen. Sie kann lernen, Steinplatten zu verlegen oder Holzhütten zu bauen. Sie lernt, wie man Gemüse anbaut.

Aber eigentlich möchte die Iranerin Friseurin werden oder im Blumenladen arbeiten. Weil die Arbeit im Garten an der Autobahn in Eidelstedt zu schwer für sie war, hat sie Rückenschmerzen bekommen und sich krankschreiben lassen. Die Frau versteht überhaupt nicht, warum sie vier Stunden täglich im Garten arbeiten soll statt im Friseursalon. "Ich möchte etwas lernen", sagt sie und wirkt traurig. "Sie können das noch nicht. Sie wollen zu viel, zu schnell." Wie eine Mentorin versucht Karen Petersen, ihrer Kundin den Weg zu zeigen. "Hier geht es zunächst darum, dass sie eine Struktur in ihren Tag bekommt. Sie muss pünktlich und zuverlässig sein. Einen Tag im Friseursalon oder im Blumenladen würde sie gar nicht durchstehen", sagt Karen Petersen. Sie sagt am Ende des Tages auch, wie toll ihre Arbeit sei. Sie mag Menschen, geht mit jedem respektvoll um. Sie will, dass ihre Kunden es schaffen. Und nicht mittags mit ihren Kindern am Imbiss stehen und Bier trinken.