Laut Ex-Schulstaatsrat Reinhard Behrens (CDU) gibt uns Frankreich ein gutes Beispiel für das frühe Heben von Begabungsreserven.

Hamburg. Der Bürgermeister sagt, dass man auf andere europäische Länder sehen sollte, um zu erkennen, dass die Primarschule nicht "vom Teufel sein" kann. Das ist sie auch nicht, allerdings ist da der längere gemeinsame Unterricht in der Primarschule für Elf- und Zwölfjährige der zweite Schritt, der erste ist eine anspruchsvolle vorschulische Bildung vor der Grundschule mit einem Schwerpunkt Sprache - und gerade die soll bei uns verteuert und teilweise - siehe Vorschulen! - abgebaut werden.

Und da gibt uns Frankreich ein gutes Beispiel für das frühe Heben von Begabungsreserven. In Frankreich besuchen 99 Prozent der Kinder drei Jahre die "Ecole Maternelle" in den Jahrgängen 3 bis 5. Diese Vorschulen sind kostenlos, sie bieten Ganztagsbetrieb. Die Betreuung der Gruppen wird geleistet von Menschen, die für den Unterricht an Grundschulen ausgebildet sind, ggf. unterstützt von Hilfskräften. Ziel dieser Schulen ist eine allseitige Entwicklung, insbesondere des Sprachvermögens und der individuellen kreativen Fähigkeiten. Die Arbeit der (fünfjährigen) Grundschule wird nicht vorweggenommen, aber vorbereitet. An vielen Standorten gibt es vorgeschaltet Krippen für Zweijährige, die unter entsprechenden Bedingungen arbeiten und von 36 % eines Jahrgangs besucht werden. Die Ecole Maternelle ist freiwillig, aber in allen Schichten und politischen Parteien anerkannt - kein Mensch käme so in Frankreich auf den törichten Gedanken, für deren Nichtbesuch eine monatliche Prämie in Bargeld zu zahlen.

Diese Vorschule ist sicher einer der Gründe dafür, dass Frauen in Frankreich im Durchschnitt 1,98 Kinder haben - bei uns sind es weniger als 1,5. Gerade Frauen mit guter Ausbildung haben in Frankreich erkennbar häufiger zwei oder drei Kinder, da sie wissen, dass Beruf und anerkannte gute Förderung der eigenen kleinen Kinder vereinbar sind. Deswegen ist für mich die in Hamburg beschlossene Verteuerung von Kita-Plätzen gerade für die mittleren Schichten grob falsch - bildungspolitisch wie für Hamburg als "wachsende Stadt" - da fehlt die Weitsicht. Düsseldorf hat sie, dort sind die Kitas für die drei- bis fünfjährigen Kinder kostenlos.

Wenn eine junge Familie mit drei Kindern plötzlich 350 Euro monatlich mehr aufwenden muss, so ist die Vermutung verständlich, dass damit 30 Mio. Euro für die Primarschulreform aufgebracht werden sollen - gerade weil auch 20 Mio. Euro aus Schleswig-Holstein als Finanzbeitrag für Gastschüler von Anfang an eine Illusion waren. Da sind Unmut und Abwanderungsgedanken verständlich.

Natürlich weiß ich, dass eine staatliche Vorschule in Deutschland kaum denkbar ist - unsere Kindergärten sind mehrheitlich privatwirtschaftlich organisiert. Dennoch kann die Stadt als Kostenträger (auch bei den höchsten Elternbeiträgen zahlt sie ja über die Hälfte der Gesamtkosten der Kitas!) klare Anforderungen an die Bildungsarbeit der Kindergärten stellen. In Hamburg erfolgt dies zunehmend. Allerdings muss die Stadt deshalb zusätzliche Leistungen für die Spracharbeit auch finanzieren - mit deutlich mehr Geld für mehr Personal mit besserer und teurerer Ausbildung. Aber: Trotz gegenteiliger Bekundungen erhalten die Kitas für Sprachförderung im Doppelhaushalt 2009/2010 nur knapp fünf Prozent mehr, etwa 400 000 Euro, eine winzige Summe im Verhältnis zu den Aufwendungen für die Primarschule. Von der im Koalitionsabkommen (S. 7) gewünschten und dringlich notwendigen besseren Ausbildung der Erzieherinnen in den Kitas ist noch nichts in Sicht.

So verfolgt Frankreich erfolgreich im Vorschulbereich gleichzeitig bildungs- und gesellschaftspolitische Ziele. Sollte der Volksentscheid gegen die Primarschule im Sommer erfolgreich sein, so wären auch in Hamburg Mittel und politische Energie für eine Kita-Bildungsoffensive als erstem Schritt vor dem zweiten verfügbar.