Geht man nach dem schlichten Satz des alten Clausewitz, dann haben die schwarz-grünen Strategen im Rathaus diese Woche schwere Fehler gemacht.

Die Strategie ist die Ökonomie der Kräfte. Karl von Clausewitz (Vom Kriege, VI, 22)

Geht man nach dem schlichten Satz des alten Clausewitz, dann haben die schwarz-grünen Strategen im Rathaus in dieser Woche schwere Fehler gemacht. Die Koalitionäre haben jetzt über allen anderen ein Ziel vor Augen: Ein erfolgreicher Abschluss des Volksentscheids am 18. Juli zur Einführung der Primarschule muss her. Weil der Ausgang auch nach Einschätzung von CDU und GAL als durchaus offen gilt, kann die Maxime also nur lauten: alle Kräfte zusammenhalten und Störfeuer vermeiden. Das Gegenteil ist geschehen: Der Senat will zur Haushaltskonsolidierung die Elternbeiträge für den Kita-Besuch heraufsetzen - um bis zu 100 Euro pro Kind und Monat für Familien mit einem Einkommen von mehr als 2710 Euro netto. Seit die konkrete Umsetzung der Pläne bekannt wurde, tobt eine Debatte über die Familienfreundlichkeit schwarz-grüner Politik. Die Koalition droht in der heißen Phase des "Wahlkampfs" um die Primarschule gerade diejenigen zu verprellen, um die sich Schwarz-Grün mit der Schulreform besonders bemüht: die jungen Familien, die einmal von dem angeblich überlegenen Schulsystem profitieren sollen. Um es in der martialischen Sprache von Clausewitz auszudrücken: Der Senat hat mit dem Kita-Thema zum ungünstigsten Zeitpunkt eine zweite Front eröffnet.

Dabei hatten Schwarz-Grün und besonders Bürgermeister Ole von Beust (CDU) nach dem Schock über das erfolgreiche Volksbegehren der Primarschulgegner in bester clausewitzscher Manier für eine Bündelung der Kräfte der Reformbefürworter gesorgt. Nach dem Scheitern der Kompromissgespräche mit den Reformgegnern der Volksinitiative "Wir wollen lernen" hatte sich die Senatskoalition mit der Opposition von SPD und Links-Partei geeinigt und einen All-Parteien-Konsens geschmiedet. Doch dieses Bündnis hat nun, kaum dass die Kampagne für die Primarschule Fahrt aufnimmt, einen kräftigen Riss bekommen.

Die SPD fühlt sich brüskiert und sieht die Chancen für einen gemeinsamen Erfolg beim Volksentscheid schwinden. "Mit großer Sorge verfolge ich die Diskussion um die Sparpläne des Senates im Bereich der Kindertagesstätten", schrieb SPD-Landeschef Olaf Scholz in einem Brief an von Beust, der in dieser Woche bekannt wurde. Scholz sieht in den geplanten Beitragserhöhungen einen Bruch des Kita-Kompromisses von 2004, den der damalige CDU-Senat und die SPD geschlossen hatten.

"Den Konsens in der Schulpolitik haben Gespräche zwischen uns im Rathaus ermöglicht", schreibt Scholz. Auch der Kita-Kompromiss sei in solchen Gesprächen erreicht worden. "Mir liegt daran, dass Vereinbarungen gelten", so der SPD-Chef jetzt. Wer will, kann das als Drohung verstehen. Der Druck auf Schwarz-Grün erhöhte sich weiter: Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) forderte den Senat sogar direkt auf, die Kita-Pläne fallen zu lassen, weil sie kontraproduktiv für die von ihm unterstützte Primarschule beim Volksentscheid seien.

Und die CDU? Bezeichnend für die Stimmungslage in der größeren Regierungspartei ist die Landesvorstandssitzung am Donnerstagabend. Es gab durchaus kritische Stimmen in dem Spitzengremium, das zum ersten Mal vom amtierenden Vorsitzenden Frank Schira geleitet wurde. Parteivize und Bildungsexperte Marcus Weinberg nannte den Zusammenhang von Kita-Gebührenerhöhung und Volksentscheid "äußerst problematisch". Gerade denjenigen, die mit der Primarschule angesprochen werden sollen, "hauen wir jetzt eine Grätsche rein", so der Bundestagsabgeordnete. Und Junge-Union-Chef Jan Meyer berichtete vom Ärger junger Familien über die Beitragssteigerungen.

Doch es war Ole von Beust, der die Debatte beendete. Die Beschlüsse zur Haushaltskonsolidierung seien bereits vor einem halben Jahr gefasst worden, so der Senatschef, und die 30 Millionen Euro Mehreinnahmen aus den Kita-Gebühren fest eingeplant. Dass sich die strategische Lage mit dem anstehenden Volksentscheid gegenüber November verändert hat, wurde zur Kenntnis genommen. Zu einer veränderten Meinung führte das jedoch nicht. "Das kann man aushalten!", sagt ein Spitzen-Christdemokrat, und das klingt ein bisschen nach Wagenburg-Mentalität. Nach Beobachtung eines Teilnehmers der Runde schlossen sich alle der Position des Bürgermeisters an.

Da passte es ins Bild, dass Kita-Senator Dietrich Wersich (CDU) am Freitag im Abendblatt-Interview die Erhöhungen energisch verteidigte, ja sogar weitere Schritte nach oben auf der Gebührenskala nicht ausschloss. Wer sich derart festlegt wie Wersich, verbaut sich jeden Rückweg ohne Gesichtsverlust.

Doch zu Recht stellen auch führende CDUler die Frage, wie die Koalition überhaupt in diese missliche Lage kommen konnte. Schließlich hat niemand Wersich gezwungen, seinen Drucksachen-Entwurf zu den Kita-Beiträgen ausgerechnet jetzt fertigzustellen. Hinter vorgehaltener Hand klagt ein einflussreicher CDU-Politiker über die "mangelnde Sensibilität" bei diesem Thema. Natürlich hätte man voraussehen müssen, dass die höheren Kita-Gebühren für Empörung sorgen würden. Ein anderer wird deutlicher und spricht von einem "Anfängerfehler".

Am Ende ist es wohl so: Die Verärgerung über das aktuell unerbetene Kita-Thema ist zwar groß. Aber andererseits steht die Union zu ihren Sparbeschlüssen - und der Koalitionspartner GAL übt sich in Solidarität. Am Freitag ging es nur noch um den Feinschliff des Konzepts. Dabei zeichnete sich ab, dass der Senat am Dienstag die Gebührenerhöhungen beschließen wird.

Das klingt nach "Augen zu und durch". So steht es nicht bei Clausewitz.