Hamburger Parlamentarier widersprechen der These, dass sie zum Spielball von Lobbyisten geworden seien.

Sie folgen nicht ihren Überzeugungen, sondern dem Fraktionszwang. Sie sind nicht frei in ihren Entscheidungen, sondern stehen unter dem Einfluss von Lobbyisten. Das Bild der deutschen Bundestagsabgeordneten, das Marco Bülow (38) in seinem Buch "Wir Abnicker" zeichnet, ist schonungslos. "Zunächst sollte man die Ecken und Kanten abschleifen, die Ideale als Illusionen abschreiben, Enthusiasmus und Engagement schnell gegen puren Realitätssinn und Pragmatismus eintauschen", so der umstrittene Dortmunder SPD-Bundestagsabgeordnete.

Deftige Worte, die die Hamburger Vertreter in Berlin gegenüber dem Abendblatt so nicht oder nur eingeschränkt bestätigen. "Opportunismus ist sicher ein Problem in der Politik, aber nicht nur dort, sondern auch in vielen anderen großen Organisationen", sagt Krista Sager (56, Fraktions-Vize der Grünen). "Es gibt aber auch in der Politik Menschen, die es schaffen, sich ihre innere Freiheit und Selbstständigkeit im Denken zu bewahren", so die frühere Zweite Bürgermeisterin, die seit 2002 im Bundestag sitzt. "Zum Glück habe ich in einer Zeit grüne Politik gemacht, als Streitbarkeit, Mut, Ecken und Kanten noch gefragt waren."

Nüchtern sieht es Rüdiger Kruse (48), seit Herbst 2009 für die CDU im Bundestag: "Abnicken ist doch das Problem desjenigen, der abnickt", sagt er. Demokratie sei für ihn "die Suche nach einem Konsens, ein Abwägungsprozess", in dem mal der eine zurückstecken müsse, mal der andere. Kruse: "Wenn wir Haushaltspolitiker Milliarden einsparen, bekommen wir von den Fachpolitikern auch keinen Applaus." Auch die unzähligen Vertreter aus Wirtschaft und Verbänden, die Einfluss auf die Politik zu nehmen versuchen, schrecken ihn nicht. "Man sollte sich bewusst sein, dass man mit Lobbyisten spricht und muss deren Ansichten ja nicht folgen."

Jan van Aken (48), als Bundestagsneuling schon Vize-Fraktionschef der Linkspartei, kann Bülows Lobbyismus-Kritik hingegen nachvollziehen. "Wir Abgeordnete bekommen 1000 Geschenke, mal ein Blutdruckgerät von der Krankenkasse, mal eine goldene Karte einer Fluggesellschaft." Seine Maxime: "Wir schicken alles zurück oder spenden es." Wer dem Druck der Lobbyisten nicht standhalten könne, sei im Bundestag aber falsch, meint der Umweltexperte. Entscheidend sei, immer auch Gegenpositionen einzuholen. "Meine Grenze ist meine Grundüberzeugung", sagt van Aken. "Einem Kriegseinsatz würde ich auch unter Fraktionszwang nicht zustimmen." Das habe er bei der Linkspartei aber noch nicht erlebt, insofern könne er Bülow nicht zustimmen: "Mein Enthusiasmus ist ungebrochen."

Johannes Kahrs (46, SPD) findet deutliche Worte für seinen Parteikollegen. Das Buch von Marco Bülow bezeichnet er als "grandiose Geschichte seines eigenen Scheiterns und Unvermögens". Kahrs, der selbst seit 1998 im Deutschen Bundestag sitzt, ist davon überzeugt, Bülow habe "nicht kapiert", dass Demokratie bedeute, zum Beispiel in den Landesgruppen Absprachen zu treffen, dass man "Leute für sich und seine Ideen gewinnen" und mit vielen Leuten reden müsse.

Kahrs nennt Bülow einen, "der den Sprung nach Berlin nicht geschafft hat". Die Sorte Politiker gebe es in jeder Fraktion und in jeder Legislaturperiode. Das sind die Abgeordneten, "die vom Politikbetrieb frustriert sind". Kahrs widerspricht Bülow, was die beschriebenen Strukturen angeht. Es gebe einige "Spielregeln" und auch Druck von außen. Es sei aber selbstverständlich, dass nicht jeder Abgeordnete "seine Politik" machen könne. Dafür gebe es ein Wahlprogramm, an das die Bürger Erwartungen hätten. "Wer das nicht akzeptieren kann, der scheitert in Berlin."