Am ersten Tag ihrer Doppelsitzung debattierte die Bürgerschaft gestern eine ganze Reihe aktueller Themen.

Leitbild: Es kommt nicht häufig vor, dass sich eine Großstadt ein neues Leitbild verpasst, also quasi eine Marke für das Handeln der Regierenden. Dennoch verlief die Debatte über "Wachsen mit Weitsicht", das den bewährten Slogan "Hamburg - wachsende Stadt" ablöst, zunächst schleppend - bis Bürgermeister Ole von Beust (CDU) selbst eingriff.

Nachdem Andy Grote (SPD) die schwarz-grünen Leitsätze als "Trugbild" kritisiert, Joachim Bischoff (Linke) die "politische Sturzgeburt" gebrandmarkt und Jens Kerstan (GAL) etwas halbherzig bemerkt hatte, dass "Hamburg, die schlafende Schöne", jetzt hellwach sei, sah der Bürgermeister den Zeitpunkt zum Eingreifen gekommen. "Ein Ziel zu formulieren, wo man hinwill, das macht keine andere Stadt in Deutschland", betonte Beust. Und das Ziel sei klar: "Dies ist eine Stadt, die wachsen wird, die junge Leute und Familien anziehen wird - und das ist gut so!" Wachstum sei aber kein Selbstzweck, er wolle nicht in rasant wachsenden Städten wie Singapur, Shanghai oder Hongkong leben, sagte der Bürgermeister. Sein Credo laute: "Nicht nur auf Boomtown setzen, sondern die Menschen mitnehmen."

SPD-Fraktionschef Michael Neumann war naturgemäß nicht überzeugt und warf von Beust Oberflächlichkeit vor: "In der Sache haben Sie nichts gesagt. Ihnen fehlt die Linie, daran wird dieser Placebo nichts ändern."

Gleichstellung: Anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März kritisierte Kersten Artus (Linke) Versäumnisse in Sachen Gleichstellung. "In Hamburg wird jede Menge Geld ausgegeben, um die Folgen der Frauendiskriminierung abzumildern, nur an die Ursachen wird nicht konsequent rangegangen." Die Stadt bezahle Frauen nicht vernünftig, das Kita-System sei ungerecht und werde zu langsam ausgebaut, und die Privatisierung der Krankenhäuser wirke sich negativ auf die Bedingungen für Frauenarbeitsplätze aus. Hinzu komme: "Sechs bis elf Frauen werden täglich in Hamburg schwer sexuell genötigt." Karen Koop (CDU) reagierte milde: Das sei ja alles "sachlich richtig", aber nicht neu. Sie setze unter anderem darauf, dass die neue "Arbeitsstelle Vielfalt" in der Justizbehörde die Situation verbessere.

Altenpflege: Nach dem Abendblatt-Interview, in dem Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) eine "Überprofessionalisierung des Sozialen" kritisierte, sagte Dirk Kienscherf (SPD), der Senat suche ein "Ausstiegsszenario" aus der Verantwortung. "Herr Senator, wenn Sie eine Verstaatlichung des Zwischenmenschlichen beklagen, wissen Sie eigentlich, wie viele Menschen vor 100 Jahren gestorben sind, weil der Staat nicht geholfen hat?" Dazu Wersich: "Schade, dass Sie dieses Zukunftsthema in einer so kleinkarierten und gestrigen Sichtweise abhandeln." Mit einem "sozialräumlichen Ansatz" könne einem Fachkräftemangel begegnet und hilfsbedürftige Menschen "in der Mitte der Gesellschaft" gehalten werden. Martina Gregersen (GAL) sagte: "Das Interview hat eine wichtige Debatte angestoßen."