Eisglätte sorgt für Hochbetrieb im UKE. 120 Patienten auf OP-Warteliste. Und wieder 100 neue Glatteisopfer.

Im Befundungsraum der Uniklinik Eppendorf herrscht Hochbetrieb. Zehn Mitarbeiter drängeln sich in dem engen Büro der Zentralen Notaufnahme (ZNA) vor den Monitoren. Röntgenbilder von Knochenbrüchen laufen im Minutentakt über die Bildschirme. Handgelenk- und Sprunggelenk-, Unterschenkelfrakturen. Bis zum späten Vormittag registriert Hans-Jürgen Bartz allein 72 Aufnahmen in der ZNA, am Wochenende waren es täglich 260 Patienten. "Und es reißt nicht ab", sagt Bartz. "Das ist Wahnsinn."

Draußen vor der Notaufnahme reihen sich die Rettungswagen wie die Perlen einer Kette aneinander. Auf den Fluren geben die Betten das gleiche Bild ab. "Die Patienten müssen Geduld mitbringen", sagt Ulrich Mayer, Leiter der ZNA. Der 44-Jährige ist seit zehn Jahren in der Klinik beschäftigt. "Doch so etwas habe ich noch nie gesehen", sagt er. "200 Röntgenuntersuchungen pro Tag, 51 unfallchirurgische Aufnahmen und 36 Operationen am Wochenende, 120 Patienten auf der Warteliste - und das, obwohl wir mit vier Chirurgen gleichzeitig unterwegs sind und 16-Stunden-Schichten schieben." Mayer ärgert sich über die Behörde. Denn sie ist es, die in weiten Teilen für das Chaos auf den Straßen und Gehwegen verantwortlich ist. "Hier herrscht der absolute Ausnahmezustand", so Mayer. "Wir halten seit Wochen jeden Morgen eine Krisensitzung ab. Und die Stadt kommt einfach nicht zu Potte. Das ist eine absolute Frechheit."

Bartz, groß, schlank, schütteres Haar, ist Belegmanager im UKE. Und bestens organisiert. Glücklicherweise. Denn das Glatteis mit seinen unzähligen Opfern stellt ihn derzeit vor besondere Herausforderungen. Überall in der Klinik werden Betten aufgemacht, Zimmer umgenutzt, leere Räume eingerichtet. Es werden Entlassungen strukturiert und Notfallpläne geschmiedet. Denn im Gegensatz zur Stadt, der Behörde und den Bezirken haben sich Bartz und sein Team bestens auf die Wetter- und Glatteissituation vorbereitet. Krisensitzungen werden nicht Tage vorher angekündigt und von langer Hand geplant. Sie finden statt, wenn sie stattfinden müssen - täglich.

Im Stich gelassen fühlt sich nicht nur das Klinikpersonal. Es sind vor allem die Patienten, die über so viel Unvermögen nur den Kopf schütteln können. Manfred Schweers ist einer von ihnen. Mit Platzwunde und Beckenprellung liegt der 70-Jährige auf einer Liege vor dem Stützpunkt 1, an dem Mitarbeiter in weißen und blauen Kitteln die Erstaufnahme der Patienten vornehmen. Seit zwei Stunden ist Schweers Patient im UKE. Dabei wollte der Rentner eigentlich schon längst wieder zu Hause in Bad Segeberg sein. "Wir waren in der Altonaer Straße unterwegs", sagt seine Begleiterin Gudrun Brüggemann. "Und Manfred sagte noch zu mir: 'Du brauchst mich nicht unterzuhaken. Fallen kann ich allein.'" Kurz darauf rutschte er auf dem glatten Bürgersteig aus, knallte mit dem Kopf aufs blanke Eis. Fünf Minuten war er bewusstlos. Dann traf der Rettungswagen ein. Wenig später wurde Schweers ins UKE eingeliefert.

Gleich neben ihm sitzt Maria Reiner, den Arm im dicken Gips. Auf dem Weg zum Bäcker riss es ihr die Beine weg. "Die Straße war spiegelglatt", sagt sie. "Ich konnte mich nicht mehr halten." Bereits am Freitag wurde die 68-Jährige am Arm operiert, zwei Tage später aus der Klinik entlassen. Jetzt soll sie einen neuen Gips bekommen. Ute Bieneck (52) hat die Operation noch vor sich. Ihr Gesicht ist verzerrt. Die gebrochene Schulter schmerzt. Doch heute wird Frau Bieneck nicht mehr auf den OP-Tisch kommen. Die Warteliste der Unfallchirurgie ist lang.