Eine Nacht im Kampf gegen die Glätte: Das Abendblatt begleitete ein Räumkommando der Stadtreinigung vor dem Warnstreik.

Hamburg. Zur Stärkung noch eine satt gewürzte Hühnerbrühe aus dem Automaten in der Kantine, dann geht's zu den Einsatzfahrzeugen. Beladen mit insgesamt elf Tonnen Sandsalz-Mischung, stehen die drei Lastkraftwagen neben dem Bunker. Ein Blick hinein verblüfft: "In der Bouillon ist ja mehr Salz als in der ganzen Lagerhalle!" Absolut korrekt. Dennoch können die Männer der Stadtreinigung über diesen Scherz nur bedingt lachen. Weil sie die Suppe auszulöffeln haben - zuletzt mehr, als ihnen lieb war.

"Unsere 2000 Tonnen Salzvorräte sind restlos erschöpft", bestätigt Ronald Siekmeier. "Das habe ich in gut 15 Jahren im Job noch nicht erlebt." Er wirft einen Blick gen Himmel, flucht kurz über den Streik der Standheizung und steuert seinen Mercedes vom Hof der Stadtreinigung am Volkspark. Via Holstenkamp führt der Weg Richtung Fischmarkt. Der Spezialjob für die drei Profis mit ihren Räum- und Streufahrzeugen: Klarschiff machen für den Markt am frühen Sonntagmorgen. Damit die Aussteller Position beziehen können und die Besucher nicht ins Schleudern geraten. Sollte sich die Wetterlage plötzlich verschlechtern und klirrender Frost in Kombination mit hoher Luftfeuchtigkeit die Straßen in Rutschbahnen verwandeln, wird umdisponiert: Dann müssten zwei der drei Männer von der Stadtreinigung kurzfristig ihren Einsatzort wechseln. Wie so oft in den vergangenen Wochen, als die 450 Kollegen des Winterdienstes alle Hände voll zu tun hatten, Schnee und Eis Herr zu werden.

"Auf 50 Überstunden bin ich im Januar gut und gerne gekommen", sagt Siekmeier auf Nachfrage. Klaglos. "Das gehört dazu und macht sogar Spaß." Der Mann hat Nerven. Dass er permanent von rasch noch überholenden und dann seine Fahrspur schneidenden Pkw behindert wird und in Höhe Pinnasberg beiderseits der Kotflügel nur wenige Zentimeter Manövrierraum bleiben, irritiert ihn nicht. Das Fahrtraining beim ADAC in Lüneburg macht sich bezahlt. Auch wenn ein bisschen mehr Rücksicht wünschenswert wäre. So bleibt Zeit, ein paar Einblicke in den Alltag zu werfen. Im Sommer fährt Siekmeier mit einer Großkehrmaschine durch die Region Hamburg-West, die sich vom Jungfernstieg bis Wedel erstreckt. Interessant und abwechslungsreich sei diese Tätigkeit auch wegen der vielen Großveranstaltungen wie Schlagermove, Schanzenfest oder Hafengeburtstag. "Im Winterdienst wird hohe Flexibilität verlangt", weiß der zweifache Familienvater aus Ammersbek. Telefonbereitschaft nachts oder am Wochenende bedeuten, stets auf dem Sprung zu sein.

21.47 Uhr. Siekmeier stoppt seinen 18-Tonner auf dem Fischmarkt. Kurze Lagebesprechung mit den Kollegen. Saukalt ist noch geprahlt. Umso besser kommen Norweger-Pullover und lange Unterhosen, die vom Arbeitgeber gestellt wurden. Orhan arbeitet seit 21 Jahren für die Stadtreinigung, Axel seit 15 Jahren. Letzterer hat den Fischmarkt seit 2006 als festes Revier. In der wärmeren Jahreszeit ganz schön, aber jetzt ... Gut dass zwei Mann und zwei Autos Verstärkung dabei sind. Denn die Inspektion des Bodens offenbart Ungemach: Ein Zentimeter dicker Eispanzer, spiegelglatt, überzieht den gesamten Fischmarkt - wie an anderen Stellen der Stadt. Passiert hier nichts, ist der Markt am Morgen in Gefahr. Mangels Salz und Presslufthämmern ist Schadensbegrenzung angesagt. Während sich Orhan mit seinem kleinen und wendigen Fahrzeug den "Kaffeeberg" vornimmt, kümmert sich Axel um das Gebiet am Elbufer. Geredet wird nur das Notwendigste. Profis wissen, was zu tun ist. Gelbe Blinklichter spiegeln sich auf dem Kopfsteinpflaster. Passanten blicken neugierig, Reaktionen gibt es kaum. Ist offensichtlich normal, dass die Jungs hier malochen, wenn andere Fofftein machen. Nicht für alle: Am Schwarzen Brett im Hauptquartier hängen ausgedruckte Mails von Bürgern, die sich für den unermüdlichen Einsatz der orange gekleideten Helfer bedanken.

Ronald Siekmeier klettert zurück ans Steuer und legt los. Da der gefrostete Untergrund ohnehin nicht zu knacken ist, dreht er seine Runden im Schleichtempo. Mit den Instrumenten im Cockpit dirigiert er die Höhe des Räumschilds. Der Pflug liegt direkt auf dem Eispanzer. Schneeverwehungen und Hügel werden mit links beiseite geschoben. Parallel stellt der Pilot Streubreite und Menge des Sandsalzgemischs ein: 80 Gramm pro Quadratmeter. Mehrfach fahren die drei Männer von der Stadtreinigung das Areal ab. "Schnee und Eis behindern den Verkehr in der Stadt", vermeldet Radio Hamburg.

"Würden Sie sich am Streik beteiligen?" so die direkte Frage zu den bevorstehenden Warnstreiks (siehe unten). "Ja!", entgegnet Siekmeier. Seit Januar 1996 sei er Mitglied der Gewerkschaft Ver.di. Wichtiger als Lohnerhöhungen sind ihm Übernahmegarantien für Lehrlinge: "Gerade in heutigen Zeiten brauchen junge Arbeitnehmer Licht im Tunnel." Das Handy schrillt. Per Freisprechanlage schildert Axel die Fortschritte des Einsatzes. Gut fünf Tonnen Sand sind bisher gestreut. Reicht noch nicht. Weiter geht's. Das Bordthermometer signalisiert minus 3,9 Grad Bodentemperatur. Eile ist geboten. In zwei, drei Stunden rücken die ersten Marktbeschicker an. "Noch eine große Runde!", entscheidet das Trio einvernehmlich. Mit dem guten Gefühl, eine Menge getan und bewirkt zu haben, wird kehrtgemacht: zurück zur Zentrale an der Schnackenburgallee. Mitternacht. Und jetzt ab nach Hause zur Familie. Plötzlich schrillt der Pieper. Knappe Mitteilung der Einsatzleitung: "Bitte Brücken auf Eisbelag überprüfen." Auf, Männer. Die Nacht ist noch lang.