Es gibt Bürgerschaftsabgeordnete, die die Baustelle der Elbphilharmonie konsequent nicht betreten - aus Sorge, die Faszination des Ortes könnte ihre Fähigkeit trüben, das Projekt sachlich zu beurteilen. Eine ebenso bewundernswerte wie nachvollziehbare Haltung. Denn wer einmal in 50 Meter Höhe den großen Saal mit den schon erkennbar steilen Rängen betritt, wer danach den Blick über die Elbe schweifen lässt, dem könnte es leicht die Sinne vernebeln. War das schon Beethoven oder hat da nur ein Schiff getutet?

Der Gedanke an so schnöde Dinge wie Geld und Terminpläne drängt sich dort oben jedenfalls nicht auf. "Wenn die Elbphilharmonie fertig ist, wird niemand mehr über die Kosten sprechen", stimmte auch Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi zu, als er kürzlich am künftigen Platz des Dirigenten stand. Unglücklicherweise bestimmen genau diese profanen Dinge - Geld und Zeitpläne - derzeit mal wieder die Diskussion um den Jahrhundertbau.

Drei Auslöser gab es dafür: Zunächst kam heraus, dass allein der Baukonzern Hochtief erneut Mehrkosten von 22,4 Millionen Euro angemeldet hat. Es folgte die Feststellung, dass der Bau bis zu zehn Wochen in Verzug ist, und als Krönung teilten die Essener am Ende eines 1,5-seitigen Schreibens angeblich völlig überraschend mit, dass die Elbphilharmonie nicht Ende 2011, sondern wohl erst ein Jahr später fertig wird. Wie brisant die Lage war, verdeutlichte die Kulturbehörde am Montagabend: Bevor sie die Finanz- und Kulturexperten der Bürgerschaftsfraktionen ins Bild setzte, legte sie ihnen eine Verschwiegenheitserklärung vor - die vor allem die Oppositionsvertreter nur zähneknirschend unterschrieben.

Was die Abgeordneten dann hörten, sorgte dagegen eher im Regierungslager für ein Crescendo. Das sei doch strafbar, wie sich Hochtief verhalte, meinte einer. Das dürfe man sich nicht mehr bieten lassen. Die Befindlichkeit in der Kulturbehörde ist ähnlich, das Ziel deutlich, dem Baukonzern

Was stand noch in dem Brief von Hochtief?

den schwarzen Peter zuzuschieben. Dazu passt, was am Freitagabend durchsickerte: Demnach soll Hochtief in dem Brief an die städtische Realisierungsgesellschaft (Rege) dringend um ein Gespräch gebeten und die Gründe für mögliche Verzögerungen durchaus benannt haben. Darüber wurden die Abgeordneten jedoch nicht informiert - weil dieser Teil des Briefs nicht zum Schwarzer-Peter-Spiel passte?

Das Ausmaß der aktuellen Unstimmigkeiten zwischen Stadt und Baufirma überrascht. Denn in den vergangenen 15 Monaten wurden auf Hamburger Seite alle entscheidenden Personen ausgetauscht, um das Projekt geräuschärmer fortzuführen. So musste Rege-Chef Hartmut Wegener gehen, weil es zwischen ihm und Hochtief zu massiven "Verkantungen" gekommen war. Über seinen Nachfolger Heribert Leutner hört man fast nur Gutes - "freundlich, professionell, gut informiert" -, allerdings selbst von Hochtief, was die Sache etwas verdächtig macht. Fest steht: Die Raubeinigkeit eines Hartmut Wegener, der im Auftrag der Stadt schon die brisante Aufschüttung des Mühlenberger Lochs für Airbus gemanagt hatte und zuletzt Hochtief eine Kostenobergrenze auferlegen wollte, hat Leutner nicht. Er lässt schon mal durchblicken, dass er ein derart aggressives Verhalten eines Baukonzern noch nicht erlebt habe.

"Im Vergleich zu den Hochtief-Managern sind das Schuljungen", lästert ein Oppositionspolitiker über Leutner und den ebenfalls neuen Staatsrat in der Kulturbehörde, Nikolas Hill. In der Tat hat der Mittdreißiger noch wenig Erfahrung mit solchen Großprojekten - aber als geschickter Unterhändler hatte er sich im Senat Respekt erworben. "Verhandlungen mit Baukonzernen sind auch nicht härter als mit Parteivertretern", formuliert ein prominenter CDU-Politiker ein Lob auf Hill.

Personalrochaden bringen die Stadt auf Augenhöhe

Dass der Bürgermeister den Leiter seines Planungsstabs in die Kulturbehörde beorderte, passte zur dritten Personalrochade in Sachen Elbphilharmonie. Denn zuvor hatte Ole von Beust bereits Senatskanzleichef Volkmar Schön aus dem Aufsichtsrat der Rege abgezogen. Die neue Konstellation hat für ihn mehrere Vorteile: Schöns Nachfolger, der frühere Unileverchef Johann C. Lindenberg, genießt in der Wirtschaft hohes Ansehen und kennt sich mit schwierigen Großprojekten aus - der Bau der Elbphilharmonie wird durch ihn stärker fachlich und weniger politisch kontrolliert. Auch Hochtief hat registriert, dass die Stadt langsam auf Augenhöhe agiert.

Zweitens ist mit Schön von Beusts engster Vertrauter aus der Schusslinie. Probleme mit dem Projekt schlagen nicht gleich auf ihn durch, sondern zunächst auf die parteilose Kultursenatorin Karin von Welck.

Dass die in der Kulturszene anerkannte Pädagogikprofessorin wenig Affinität zur Baubranche hat, ficht im Rathaus niemanden an - dafür gibt es ja Leutner, Lindenberg und Hill. Zu möglichen Verzögerungen und Mehrkosten bei "ihrer" Elbphilharmonie haben sich daher in dieser Woche fast alle Beteiligten geäußert - aber nicht von Welck. Man darf gespannt sein, ob das kommende Woche so bleibt. Dann will Hochtief erklären, warum man unschuldig an den Problemen ist. Zu deren Lösung kann übrigens jeder Bürger beitragen: Wer an einer sonntäglichen Baustellenführung teilnimmt (11 bis 16 Uhr), könnte zum Beispiel die Klappkarte "Malen nach Zahlen" erwerben. Darauf kann man das Konzerthaus nachmalen. Kosten: 2,50 Euro, gegebenenfalls zuzüglich Versand. Eine Elbphilharmonie zum Festpreis.