Der Bürgermeister beklagt, dass viele Bürger nur ihre Partikularinteressen durchsetzen wollen - ohne ans Allgemeinwohl zu denken.

Das Thema klang eher locker und nach politischer Oberfläche. "Alles gut im neuen Jahr? Hamburgs Perspektive" hatte Bürgermeister Ole von Beust (CDU) seine Rede beim Neujahrsempfang des CDU-Wirtschaftsrats überschrieben. Doch es wurde eine nachdenkliche und in weiten Teilen grundsätzliche Erörterung der Bedingungen, unter denen Politik heute stattfindet.

Zwei Tendenzen haben nach Ansicht von Beusts den Politikbetrieb gegenüber der Zeit vor 15, 20 Jahren dramatisch verändert und das Regieren schwieriger gemacht: die weitgehende Auflösung fester und damit verlässlicher politischer Milieus und der immer stärkere Anspruch auf Durchsetzung von Einzelinteressen. Mit anderen Worten: Politiker wissen häufig nicht mehr, welche Positionen sie einnehmen sollen - gerade mit Blick auf den nächsten Wahltermin.

Am Ende stand jedoch ein eindeutiges Bekenntnis zum Gemeinwohl und eindeutiger Appell des Bürgermeisters an die Adresse seiner Zunft. "Politik muss führen wollen, gerade in Zeiten der Globalisierung", sagte von Beust vor rund 700 Gästen in den Räumen der HypoVereinsbank am Alten Wall. "Wenn es uns nicht gelingt, auch unpopuläre Ziele zu definieren, dann gerät dieses Land in Gefahr, im globalisierten Wettbewerb abgehängt zu werden", sagte von Beust. "Führen heißt aber auch, das Risiko des Scheiterns einzugehen", setzte der Bürgermeister hinzu.

Von Beust knüpfte vor dem CDU-geneigten Publikum an die aktuelle Debatte an, was heute konservativ oder bürgerlich noch bedeutet. "Früher besagte das konservative Modell: Der Mann ernährt die Familie, und die Frau kümmert sich zu Hause um die Kinder", so von Beust. "Heute ist die Scheidungsrate auch in bürgerlichen Kreisen hoch, die Frauen sind berufstätig, und die Kinder nabeln sich zum Teil sehr schnell von den Eltern ab." Andererseits beobachtet von Beust in der einstmals alternativen Szene "relativ feste Strukturen" und häufig eine Orientierung auf Ökonomie und Gewinnstreben hin. "Die alte Schichtenzuordnung gibt es zumindest in Großstädten nicht mehr", sagte von Beust.

Die Folge ist, dass politische Positionen nicht mehr eindeutig zuzuordnen sind. "Früher gehörte die Forderung nach einem starken Staat zu den Kernüberzeugungen konservativer Politik. Heute kommt Kritik am Einsatz von Nacktscannern auch aus dem bürgerlichen Lager", sagte der Bürgermeister. "Früher war es für einen aufrechten Konservativen außenpolitisch klar, dass die USA immer recht haben. Ist das heute noch so?", fragte von Beust, und die Reaktion war jedenfalls nicht eindeutig. Auch die alte Regel, dass sich der Staat aus der Wirtschaft heraushalten solle, gelte nicht mehr richtig. "Die Banker und die Reeder waren die Ersten, die in der jetzigen Krise nach Staatshilfen riefen", sagte von Beust und bekam dafür kräftigen Beifall. "Was früher konservativ war, steht heute zur Disposition", so das Fazit.

Sichtlich genervt attackierte von Beust die "immer unverhohlenere Artikulation von Partikularinteressen, die heute leider salonfähig geworden" sei. So gebe es eine Bürgerinitiative von Bewohnern im Bereich Elbchaussee, die sich wegen des Lärms gegen den Ausbau der Containerterminals auf der anderen Elbseite wehrten. "Früher hätte man gesagt: Ihr habt ein Rad ab! Ihr wendet euch gegen den Wohlstand, von dem ihr lebt", kommentierte von Beust drastisch.

In den Medien würde die Vertretung von Einzelinteressen dann auch noch häufig gelobt. "Das Gemeinwohl durchzusetzen, wird in der Politik immer schwieriger. Fernsehen, Radio und Zeitungen geht es vor allem um Einschaltquote und Auflage", kritisierte der Bürgermeister. Es fehle eine gewisse inhaltliche Berechenbarkeit der Medien. In einem Jahr würden die Harley Days wegen der Lärmbelästigung kritisch betrachtet. Im nächsten Jahr nach Absage des Biker-Treffens werde der Senat jedoch als "Spaßbremse" attackiert.

Trotzdem sei es erforderlich, so von Beust, dass die Politik klare Ziele formuliere, auch wenn sie einigen Gruppen nicht passten. Ausdrücklich bekannte sich der Bürgermeister zur Integration von Zuwanderern und zur doppelten Staatsbürgerschaft.

Ohne den Streit über die sechsjährige Primarschule auch nur einmal direkt zu erwähnen, lieferte von Beust die Argumente für deren Einführung. "Ich möchte, dass jeder eine Bildungschance bekommt, auch die Kinder aus Familien mit anderem Kulturhintergrund." Wo von Beust sich angesichts der laufenden Verhandlungen über einen Kompromiss im Schulstreit zurückhielt, wurde der scheidende Wirtschaftsrat-Landesvorsitzende Andreas Mattner deutlich. "Es möge von diesem Neujahrsempfang der Appell ausgehen: Einigt euch!", sagte Mattner unter starkem Beifall an die Adresse von Reformgegnern und -befürwortern.