Der Ex-Arbeitsminister spricht sich für einen Schulkonsens aus, der zehn Jahre halten müsse. CDU und GAL stellt er miese Noten in der Wirtschaftspolitik aus und sehnt sich nach hanseatischer Kaufmannstradition.

Mit dem SPD-Landesvorsitz in Hamburg hat Olaf Scholz eine Herkulesaufgabe übernommen. Acht Jahre in der Opposition, bei der Bundestagswahl erstmals hinter die CDU gefallen, die Hälfte ihrer Bundestagsmandate verloren und immer noch zerrissen von der Affäre um den Stimmzettelklau 2007 gab die einstige Dauerregierungspartei ein trauriges Bild ab. Im Abendblatt-Interview spricht Scholz (51) über die Lage der Partei und aktuelle Themen wie die Schulreform.

Abendblatt:

Herr Scholz, wie beurteilen Sie als neuer SPD-Chef den Zustand Ihrer Partei?

Olaf Scholz:

Die SPD Hamburg ist dabei, die nicht einfache Vergangenheit hinter sich zu lassen. Dazu waren ein paar drastische Schritte notwendig, die jetzt gegangen worden sind. Mein Ziel war, dass wir bis zum Jahresende innerparteilich wieder die Zusammenarbeit in den Vordergrund stellen und das Gegeneinander beenden. Mein Eindruck ist: Das ist gelungen.

Abendblatt:

Sie spielen auf den Muras-Bericht an, der die Affäre um den Stimmzettelklau aufarbeitet. Daraus abzuleiten, dass die Affäre beendet ist, kann man auch so interpretieren, dass Sie die Ruhe verordnen.

Scholz:

Wenn man handelt und agiert, kann man dafür sorgen, dass schwierige Zeiten zu Ende gehen. Ich habe gehandelt und agiert. Und die SPD hat mitgezogen.

Abendblatt:

Herr Muras schreibt, er habe "kluge und nachdenkliche Genossen" erlebt, die sich gleichwohl "menschlich unanständig" und "undemokratisch" verhalten hätten, die nur auf ihre Karriere schauten. Kann ein achtseitiger Bericht so ein Verhalten ausmerzen?

Scholz:

Ja. Harald Muras berichtet, dass er auf viele Parteimitglieder gestoßen ist, die ihre Situation und ihr Handeln neu reflektiert haben, die sagen, dass nicht alles richtig war. Insofern ist das Zusammenspiel aus einem Bericht, der klare Worte findet, und den Weiterentwicklungen der Politikerinnen und Politiker in der SPD die Grundlage für bessere Zusammenarbeit. Alle haben dazugelernt.

Abendblatt:

Mathias Petersen schließt nicht kategorisch aus, dass er noch einmal Spitzenkandidat werden will. Hängt diese Frage nicht wie ein Damoklesschwert über der Partei?

Scholz:

Nein. Alle sind mit mir einig, auch Mathias Petersen, dass ich im Sommer oder Herbst 2011 vorschlagen werde, wer der Spitzenkandidat sein soll. Und bis dahin beschäftigen wir uns mit der Frage gar nicht.

Abendblatt:

Sie selbst äußern sich auffallend oft zu aktuellen lokalen Themen. Dürfen wir das als Signal für weitergehende Ambitionen in Hamburg werten?

Scholz:

Ich hatte bis zu meiner Nominierung nicht geplant, Landesvorsitzender der SPD zu werden. Nun bin ich es gern und mache es mit großem Engagement, weil Hamburg die Stadt ist, in der ich aufgewachsen bin und die mir am Herzen liegt. Auch die Partei, die so sehr mit Hamburgs Geschichte verbunden ist, ist mir wichtig. Weil ich aber nicht an irgendeiner Tür gerüttelt habe, bin ich sehr gelassen. Das hilft.

Abendblatt:

Dem Senat wird mitunter vorgehalten, er betreibe rot-grüne Politik. Macht es das für die Opposition schwerer?

Scholz:

Ich sehe keine rot-grüne Politik. Ich beobachte zunächst die wirtschaftsfeindlichste Regierung, die Hamburg in den letzten 60 Jahren hatte. Sie glauben nicht, was einem Wirtschaftsvertreter in vertraulichen Gesprächen vorklagen, was alles schiefläuft, wenn es um Infrastruktur und Entscheidungen für Hamburg geht. Ich kann das gar nicht mehr hören. Die sollen es öffentlich sagen. Denn sie haben recht: Es ist noch nie so fahrlässig agiert worden wie in den letzten Jahren.

Abendblatt:

Geht es konkreter?

Scholz:

Die Entwicklung des Hafens kommt nicht schnell genug voran. In die Elbvertiefung wird aus Hamburg nicht genügend Energie gesteckt. Es ist unverständlich, wie der Senat auf das Konzept "Der Hafen finanziert den Hafen" setzen kann. Das geht nur so lange gut, wie man auf Veräußerungserlöse zurückgreifen kann. Aber damit ist irgendwann Schluss. Und es stellt sich die Frage, wie der Hafen und die um ihn herum gewachsenen Dienstleistungsstrukturen und Folgeindustrien mit Zehntausenden Arbeitsplätzen finanziert werden.

Abendblatt:

Darüber klagen Unternehmer?

Scholz:

Ja. Investoren aus aller Welt berichten sogar, wie merkwürdig in dieser Stadt mit ihnen umgegangen wird. Ein Beispiel: Wir waren immer gegen den Verkauf der HHLA. Aber die Investoren erst weltweit einzuladen, sich zu beteiligen und teure Erkundungen vornehmen zu lassen - und dann zu sagen, wir haben es uns anders überlegt, hat den Ruf dieser Stadt bei den Investoren nicht verbessert. Das Gleiche gilt für das Kohlekraftwerk Moorburg. Erst den Betreiber aufzufordern, ein besonders großes zu bauen, und hinterher zu sagen, man will es gar nicht mehr, ist - abgesehen von der fraglichen Sinnhaftigkeit eines so großen Projekts - sehr merkwürdig.

Abendblatt:

Wem lasten Sie das an, CDU oder GAL?

Scholz:

Die Verantwortung trägt der Senat und der Bürgermeister vorneweg.

Abendblatt:

Sie haben Ole von Beust in Sachen Schulreform demonstrativ die Hand gereicht und einen Schulfrieden angeboten. Was ist seitdem geschehen?

Scholz:

Ich habe mich mit dem Bürgermeister und Michael Otto als Moderator in dem Prozess unterhalten, das waren sehr gute Gespräche. Für mich geht es darum, einen Weg zu finden, wie in Hamburg ein parteiübergreifender Konsens in der Frage der Schulentwicklung gefunden werden kann, und zwar für lange Zeit. Wir sollten einen Zehn-Jahres-Vertrag schließen, der so ausgestaltet sein muss, dass der Senat, die Initiative gegen die Schulreform und die Oppositionsparteien dazu stehen, egal, wie die nächsten Wahlen ausgehen. Die Schüler und ihre Eltern wünschen sich das. Und ich bin dafür, dass man ehrgeizige Ziele in der Bildungspolitik formuliert.

Abendblatt:

Welche?

Scholz:

Erstens: Kein Schüler ohne Schulabschluss. Zweitens: Eltern, die ihre Kinder auf die nächstgelegene Schule schicken, handeln nicht falsch. Drittens: Jeder Schüler sollte nach der Schule mindestens eine Berufsausbildung machen oder studieren.

Abendblatt:

Sie sind für längeres gemeinsames Lernen, haben die Schulreform aber abgelehnt. Wann legt sich die SPD fest?

Scholz:

Dazu gibt es SPD-Beschlüsse. Jetzt gilt es aber nicht, sich parteipolitisch zu positionieren und der Regierung möglichst viel Schaden zuzufügen. Sondern wir wollen im Interesse der Stadt dazu beitragen, dass es einen langfristigen Konsens gibt.

Abendblatt:

Aber wie soll ein Konsens hergestellt werden, wenn der Senat unmissverständlich an der sechsjährigen Primarschule festhält, die Initiative diese aber rigoros ablehnt?

Scholz:

Jetzt ist die Zeit, über den eigenen Schatten zu springen. Wenn es zum Volksentscheid kommt, ist das ein Zeichen politischer Gestaltungsunfähigkeit des Senats.

Abendblatt:

Sollten die Reformpläne auf Eis gelegt werden?

Scholz:

Schlecht wäre es, sehenden Auges Millionen in Gebäude zu investieren, die dann leer stehen. Alle Beteiligten sollten die Stadt vor so einer Situation bewahren.

Abendblatt:

In welchen Punkten muss sich der Senat bewegen? Reicht es, das Elternwahlrecht beizubehalten?

Scholz:

Ich wüsste, was ich vorschlüge. Aber ich habe mit die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass lauter Leute, die sturköpfig nicht miteinander reden wollten, von dieser Sturköpfigkeit herunterkommen. Das würde sehr behindert, wenn ich zu diesem Zeitpunkt schon mit eigenen Kompromissvorschlägen käme.

Abendblatt:

Der Senat mutet den Bürgern mit seinem Sparpaket einiges zu. Was hätten Sie als SPD anders gemacht?

Scholz:

Die finanzielle Misere und die jetzigen Gebührenerhöhungen sind nicht nur Folge der Wirtschaftskrise, sondern Folge des nicht sparsamen Umgangs mit den öffentlichen Mitteln in den letzten Jahren. Das Geld ist nach dem Motto ausgegeben worden "Was kostet die Welt?" Ich denke wehmütig daran, wie in früheren Senaten mit klassischer hanseatischer Kaufmannstradition darüber verhandelt wurde, wie man Projekte mit möglichst wenig öffentlichem Geld bewerkstelligt.

Abendblatt:

Wann ist diese Tradition verloren gegangen?

Scholz:

2001.

Abendblatt:

Damals wurde die SPD nach 44 Jahren abgewählt. Schauen Sie doch bitte gut zwei Jahre voraus und vollenden folgenden Satz: Im Frühjahr 2012 ist die Hamburger SPD ...

Scholz:

... stärkste Partei ...

Abendblatt:

... unter Bürgermeister Olaf Scholz ...

Scholz:

... unter einem sozialdemokratischen Bürgermeister oder einer sozialdemokratischen Bürgermeisterin.