Eltern von behinderten Kindern besetzen ein leer stehendes Gebäude. Sie wollen ein Wohn- und Selbsthilfeprojekt einríchten.

Hamburg. An der Eingangstür hängt in einer Plastikfolie ein kleiner Zettel, der in großen Lettern verkündet: besetzt. Davor steht eine alte Kastanie, deren Laub zentimeterdick auf den Wegen und Grünflächen liegt. Im Eingangsflur steht ein Tisch mit etwas Spielzeug. Es ist bitterkalt im unbeheizten Haus. Strom gibt es nicht. Das Haus ist sonst leer. Und eigentlich ist fast gar nichts los, das nach einer Besetzung aussieht. Selbst die Punker, die knapp hundert Meter entfernt auf Kosten des Bezirksamtes wohnen, haben von der "Besetzung" noch nichts mitbekommen.

Zwei der Besetzer stehen in dicken Winterjacken davor. "Wir halten das Haus symbolisch besetzt, weil wir keinen Ansprechpartner für ein Projekt haben, das wir hier einrichten wollen", sagt Jessica Müller vom Verein "Nicos Farm", der ein Wohnprojekt für Familien mit behinderten Kindern plant. Bis der gefunden sei, wolle man weiter tagsüber "besetzen".

Neben dem Gängeviertel in der Neustadt, den geduldeten Besetzungen des Frappant-Gebäudes (Ex-Karstadt) in Altona und der ebenfalls seit Jahren geduldeten Besetzung der Roten Flora in Altona hat Hamburg ein weiteres Haus, das im Blickpunkt steht.

Es befindet sich am Holstenkamp 119 auf einem knapp 20 000 Quadratmeter großen Grundstück zwischen einem Kleingartenverein und dem Bahrenfelder Friedhof. Ein idyllisches, ruhiges Fleckchen mit elf Gebäuden, in denen einst ein Pflegeheim war. Der Komplex soll "unter Berücksichtigung stadtentwicklungspolitischer Ziele vermarktet werden", wie aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage hervorgeht. Und genau hier setzt Nicos Farm an: Der kleine Verein will einen Teil der Gebäude nutzen. Es gibt ihn seit 2008. Nach eigenen Angaben zählt er25 Mitglieder, von denen zehn Mitglieder Kinder mit zum Teil schweren Behinderungen haben.

"Wir möchten dort mit mehreren Familien wohnen und ein Selbsthilfeprojekt einrichten", sagt Jessica Müller, alleinerziehende Mutter eines behinderten Kindes. Der wunde Punkt bei dieser Besetzung ist etwas schwierig auszumachen. Der 25-Mitglieder-Verein sagt, keine Ansprechpartner gefunden zu haben. "Wir haben uns als Bauträger beworben und sind abgelehnt worden", erklärt Arnold Schnittger, Chef des Vereins. Als Beleg führt er ein Schreiben der Sozialbehörde vom November an. Darin wird - in der Tat missverständlich - formuliert, dass das Gelände für "die Projektidee Nicos Farm leider nicht genutzt werden kann". Statt dessen solle das Gelände für familiengerechtes Wohnen im Rahmen von Baugemeinschaften genutzt werden.

Das Grundstück gehört "f&w fördern und wohnen" (einer Anstalt des öffentlichen Rechts) und wird von der Baubehörde vergeben. Und diese stellt klar: "Das Grundstück ist noch nicht vergeben. Es sind neben Nicos Farm noch sechs andere Bewerber im Rennen", sagt Helma Krstanoski, Sprecher der Baubehörde. Das Auswahlverfahren werde im ersten Quartal des kommenden Jahres abgeschlossen. "Wir wollen in ganz Hamburg Baugemeinschaften fördern, und das Bahrenfelder Gelände gehört dazu." Auch die Sozialbehörde stellt den Fall anders dar. "Wir haben den Verein Nicos Farm nur fachlich bei der Planung und Umsetzung einer Baugemeinschaft beraten", sagt Behördensprecherin Jasmin Eisenhut. Mit der Vergabe von Grundstücken habe die Sozialbehörde nichts zu tun.

Auf genaues Nachfragen räumen die Besetzer ein, doch Ansprechpartner zu haben, jedoch keine vom Senat, an den sie sich gewandt hätten.

Die Idee von Nicos Farm: "Mit Hilfe von Tieren wollen wir ein behindertengerechtes Leben mit mehreren Familien gestalten, die sich unterstützen können", sagt Jessica Müller. Gedacht sei dabei an Pferde, Hunde und Katzen.

Im Auge hat der Verein die zentralen Gebäude des Komplexes, weil dieser Teil mit einem Zaun abgetrennt werden kann. Doch dort wohnen zurzeit 15 Punks - auf Kosten des Bezirksamts Altona. "Wir zahlen für jeden Punk 50 Euro im Monat", sagt Sprecherin Kerstin Godenschwege. Diese Nutzung laufe bis 30. Juni 2010.