“Just a perfect day.“ Wer als Direktkandidat für den Bundestag an einem Wahlsonntag den Wahlkampf Wahlkampf sein lässt, sich stattdessen einen entspannten Tag macht und daheim Lou Reed's wunderschönen Song mit dem bezeichnenden Titel (“Ein perfekter Tag“) auflegt, der muss sich seiner Sache schon ziemlich sicher sein.

War Rüdiger Kruse aber gar nicht. Im Gegenteil. Der CDU-Politiker konnte es selbst kaum fassen, als er am Abend von seinem Sensationssieg im Wahlkreis Eimsbüttel hörte.

Dass er und Lebensgefährtin Anja Lottmann sich zuvor einen gemeinsamen Tag gönnten ("den entspanntesten seit Monaten"), war wohl dennoch der Ahnung geschuldet, was kommen würde: Bundestag, pendeln zwischen Hamburg und der Hauptstadt. Anja Lottmann nahm auch das gelassen: "Weniger als im Wahlkampf kann man sich ja kaum sehen." Immerhin hatten beide schon relativ früh am Sonntag Gewissheit, dass Kruse erstmals in der Geschichte der Republik das "rote" Eimsbüttel für die CDU erobert hatte (siehe auch Seite 11). "Das gibt natürlich eine breitere Brust, als wenn man als Listenkandidat kommt", meinte der Geschäftsführer der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, der sich in Berlin auch um sein Steckenpferd Nachhaltigkeit kümmern möchte.

Im Gegensatz zu Kruse mussten vier der 13 Hamburger (einer mehr als bislang), die es letztlich in den Bundestag schafften, lange zittern. Nachdem Olaf Scholz, Hans-Ulrich Klose und Johannes Kahrs (alle SPD), Kruse, Dirk Fischer und Jürgen Klimke (alle CDU), Burkhardt Müller-Sönksen (FDP), Krista Sager (GAL) und Jan van Aken (Linke) schon am Abend Gewissheit hatten, wurden Marcus Weinberg (CDU), Sylvia Canel (FDP) und Manuel Sarrazin erst nachts um kurz nach vier über ihren Einzug informiert. Aydan Özoguz (SPD) wurde gar erst am Morgen von einer fröhlich winkenden Nachbarin auf ihren Erfolg aufmerksam gemacht. "Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet", sagte die Ehefrau von SPD-Fraktionschef Michael Neumann, deren Listenplatz zwei nur zog, weil die Partei überraschend drei Direktmandate verloren hatte. Eine Erklärung für die Klatsche habe sie noch nicht, sagte Özoguz, aber klar sei: "Die Menschen sind frustriert, die Volksparteien müssen wieder lernen, auf die Leute zuzugehen."

Sylvia Canel berichtete dagegen gestern schon gut gelaunt von der ersten FDP-Fraktionssitzung in Berlin. "Es war aufregend. Aber da 41 Prozent der Mitglieder neu sind, falle ich als Neuling gar nicht so auf." Die Lehrerin möchte sich auch im Bund um Bildungspolitik kümmern. Das strebt auch Marcus Weinberg (CDU) an. "Gott sei Dank haben wir wieder vier Abgeordnete, das stärkt auch Hamburg", sagte er. "Drei Wahlkreise zu gewinnen, aber einen Abgeordneten zu verlieren, wäre tragisch gewesen." Die Koalition mit der FDP werde für ihn kein Selbstgänger. "Vor allem um soziale Belange wie die Mindestlöhne und den Kündigungsschutz werden wir heftig kämpfen."

Europa-Experte Manuel Sarrazin (GAL), der erst im Frühjahr 2008 in den Bundestag nachgerückt war, schaffte es diesmal "direkt", über Listenplatz zwei. "Jetzt bin ich ein richtiger Abgeordneter und kann vier Jahre voll anpacken. Das ist etwas anderes, als als Nachrücker einen Kaltstart hinlegen zu müssen."

Kruses Musikorakel passte letztlich zum Stimmungsbild der meisten Hamburger Abgeordneten: "Just a perfect day."