Julien Sorel strebt rücksichtslos nach Ruhm und Reichtum. Er nutzt Menschen, vor allem Frauen, eiskalt aus, um seine Ziele zu erreichen.

Was hat Julien Sorel mit Hamburg zu tun, mit Schleswig-Holstein und der gemeinsamen HSH Nordbank? Nichts, auf den ersten Blick jedenfalls. Auf den zweiten erinnert das Verhalten der Figur aus Friederich Stendhals Roman "Rot und Schwarz" an viele Politiker im Norden, die ihre Landesbank als Spielball für eigene Zwecke nutzen.

Und: Rot und Schwarz, das sind die Farben des Roulettes - des Spiels, das zumindest nach Meinung der Linkspartei in dem Geldhaus gespielt wird. "Es hat sich bei der HSH Nordbank offenkundig gar nichts geändert, die Roulettekugel bekommt wieder neuen Schwung", schäumte Fraktionschefin Dora Heyenn, als bekannt wurde, dass die mit Steuer-Milliarden gerettete Bank nicht nur ihrem Chef Dirk Jens Nonnenmacher 2,9 Millionen Euro zahlt, damit er nicht kündigt, dass sie nicht nur bis zu 200 000 Euro Abfindung zahlt, um Personal abzubauen, sondern dass sie im Gegenzug auch noch etwa 500 handverlesenen Leistungsträgern bis zu 120 000 Euro Prämie zahlen will, damit sie bleiben.

Es sind solche Nachrichten, die dafür sorgen, dass die Bank rotiert wie die Kugel im Roulettekessel - von Rot nach Schwarz und zurück, und die Politiker drehen am Rad und hoffen auf einen Gewinn für das eigene Beliebtheitskonto.

Beispiel Peter Harry Carstensen: Es ist nicht lange her, dass Schleswig-Holsteins Ministerpräsident ankündigte, künftig "nicht mehr als notwendig" über die arme Bank zu reden. Doch am Mittwoch, die Nachricht von der Bleibeprämie war erst wenige Stunden alt, brüstete sich der um seine Wiederwahl kämpfende CDU-Politiker: "Ich weiß, dass darüber mit dem Betriebsrat verhandelt werden soll." Er habe Nonnenmacher in einem Brief um Informationen gebeten, "was dies die Bank kosten wird".

Wie ehrlich ist Carstensens Aufregung?

Stellt sich die Frage: Wenn der Landesvater informiert ist, warum muss er dann öffentlich nachfragen? Carstensens Feststellung, dass die HSH sich "erneut selbst in die Schlagzeilen bringt", ist richtig. Aber ist sein demonstrativer Ärger auch ehrlich - oder nur nützlich?

Eine CDU-Linie ist jedenfalls nicht erkennbar. Carstensens Parteifreund Ole von Beust geht den entgegengesetzten Weg. Er schweigt. Überhaupt war am Dienstag, als das Abendblatt von der Bleibeprämie erfuhr, trotz energischen Bohrens bei CDU und GAL niemand zu sprechen. Am Mittwoch hieß es im Rathaus, das sei Sache der Finanzbehörde. Die sagte, das sei das "operative Geschäft" der HSH, dazu äußere man sich nicht. Und danach verkündete Antje Möller für die GAL: "Das ist das operative Geschäft der Bank ..." So etwas nennt man eine "interne Sprachregelung". Merkwürdig nur, dass sie so anders aussieht als bei den Parteifreunden in Kiel. Die Grünen an der Förde, deren Beißreflex nicht unter der Last der Regierungsverantwortung leidet, sahen in der Bleibeprämie eine "skandalträchtige Meldung".

Regierungsverantwortung lähmt den Beißreflex

Für die Bank in die Bresche sprang nur der Hamburger CDU-Finanzexperte Rüdiger Kruse. Sein Verständnis für die ungewöhnliche Personalpolitik war unpopulär - und darf daher als ehrlich gelten.

Am Donnerstag kickten Rot (SPD) und Schwarz (CDU) den HSH-Spielball erneut hin und her. Da tagte für 30 Minuten im schlichten Raum 186 des Rathauses der Untersuchungsausschuss und stellte fest, dass der Senat noch keine Akten geliefert hat. Für SPD und Linke ein klarer Fall: CDU und GAL wollen die "unliebsame HSH-Aufklärungsarbeit" bis nach der Bundestagswahl am 27. September verzögern. Natürlich wollen sie das, die Frage ist nur, wer etwas für die Verzögerung tut. Zumindest vergaß die SPD in ihrer eiligst verfassten Mitteilung zu erwähnen, dass das Büro am Domplatz, in dem die brisanten Unterlagen gelagert werden sollen, noch nicht fertig ist. Und dass der Arbeitsstab, der die Akten beackern soll, nicht komplett ist - weil die SPD zwei Mitglieder noch nicht nominiert hat.

Noch skurriler war die Mahnung der schleswig-holsteinischen CDU-Fraktion: Sie könne den "Kollegen aus Hamburg nur dringend empfehlen, jetzt bei der Bank Druck zu machen", damit die die Akten herausrücke. Man selbst habe ja mit Beschlagnahmung drohen müssen. Dabei hätte den Kieler Christdemokraten durchaus bekannt sein können, dass die Hamburger Aufklärer bei der Bank selbst noch gar keine Akten angefordert hatten.

Julien Sorel hätte an dem perfiden Spiel seine Freude. "Ehrlich währt am längsten" gilt für ihn nicht: Als er sich am Ende von "Rot und Schwarz" doch für die Wahrheit entscheidet, wird er geköpft.