So viel Demokratie war nie: Die Bürgerschaft hat gestern wichtige Grundsatzentscheidungen für das Gemeinwesen getroffen. In der Verfassung wird eine Sicherungsklausel für das Wahlrecht verankert.

Zukünftig können nur noch zwei Drittel der Bürgerschaft das Wahlrecht ändern - und selbst dann hat das Volk das letzte Wort. Es genügen 30 000 Unterschriften, damit die Bürgerschaft eine Änderung des Wahlrechts in einem Volksentscheid durch eine Zweidrittelmehrheit bestätigen lassen muss.

Darüber hinaus wird das Hamburger Wahlrecht im Sinne der Initiative "Faires Wahlrecht" erheblich mehr Bürgereinfluss zulassen. Die Wahlkreisabgeordneten können künftig ohne versteckte Hürden mit fünf Stimmen gewählt werden. Neu: Auch auf den Landeslisten haben die Wähler endlich fünf Stimmen für die Auswahl zwischen Partei und Kandidaten. Zwar haben sich die Volksparteien noch die Parteistimme erhalten, um einen größeren Einfluss bei der Kandidatenaufstellung zu erhalten, aber die Einigung bringt dem Volk nicht nur so viel Mitsprache wie nie zuvor, sondern auch eine Befriedung des Streits über das Wahlrecht.

Das Volk und die Wählerinitiative erhalten 75 Prozent vom geplanten Wählereinfluss. SPD und CDU retten ihre Parteistimmen auf den Landes- und Bezirkslisten, müssen dafür aber einen geringeren Einfluss bei der Kandidatenauswahl hinnehmen.

Auf Unverständnis vieler Volksparteivertreter in den Bezirken ist auch die Zusammenlegung von Bezirksversammlungswahlen mit der Wahl zum Europaparlament gestoßen. Sie befürchten mangelndes Interesse ihrer Wählerklientel, übersehen aber auch die Chancen zur Profilierung ihrer kommunalen Themen, für die sie in den Bezirksversammlungen streiten. Aus Sicht der Volksinitiative erhält die Kommunalpolitik damit einen höheren Stellenwert als bisher, weil sie nicht mehr wie bisher im Bürgerschaftswahlkampf untergeht.

Die Bindung an die Europawahl ist sinnvoll. Die europäischen Themen überlagern die kommunalen Themen bei Weitem nicht so stark wie Bürgerschafts-Themen. Dort, wo im Juni gleichzeitig Kommunal- und Europawahlen stattgefunden haben, gab es keinen drastischen Einbruch bei der Wahlbeteiligung.

Im Dezember 2008 war die Verbindlichkeit von Volksentscheiden in der Verfassung verankert worden. Ganz im Stillen hat sich innerhalb von weiteren sechs Monaten die Hamburger Machtarchitektur gewaltig in Richtung Volk verschoben. Vergleichbar ist dies nur mit der Einführung des Frauenwahlrechts 1919. Dass dies nur mit einer lagerübergreifenden schwarz-grünen Koalition - in der die heftigsten Befürworter und Kritiker dieser Entwicklung zusammenarbeiten - möglich war, ist allein schon der Beweis, dass diese Konstellation für Bürgerinteressen Gutes bewirkt. In keinem anderen Bundesland haben die Bürger mehr Mitbestimmung. Das ist die richtige Antwort auf Parteien- und Wahlmüdigkeit.