Die Linke fordert Reformen im Strafvollzug. Justizsenatorin Jana Schiedek lässt alle Fälle untersuchen und kündigte neue Maßnahmen an.

Hamburg. Die Zahl der Selbstmorde im Hamburger Strafvollzug ist abermals angestiegen. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres haben sich drei Männer das Leben genommen, zuletzt Rassul A. Der 54-Jährige hatte sich in der Untersuchungshaftanstalt mit seinem Rasierer so schwere Schnittverletzungen zugefügt, dass die Wärter ihn am 26. April morgens tot auffanden. Statistisch liest sich das so: 2012 ereigneten sich bislang 0,77 Suizide pro 1000 Gefangene. Seit 2001 lag die Zahl der Selbstmorde pro 1000 Gefangene immer darunter. Das ergibt die Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der justizpolitischen Sprecherin der Linken-Fraktion, Christiane Schneider. Justizsenatorin Jana Schiedeck (SPD) kündigte gestern weitere Maßnahmen an, um Selbstmorde künftig möglichst verhindern zu können.

+++ U-Haft: Zweiter Selbstmord innerhalb einer Woche +++

+++ Hamburger Vollzugsbeamte jährlich im Schnitt 36 Tage krank +++

+++ Hamburger Strafvollzug +++

Rechnet man seit Juli 2011, dann starben seitdem fünf Gefangene, davon vier Untersuchungshäftlinge. Seit 2001 kamen sogar 35 Gefangene durch Suizid zu Tode, davon 19 in Untersuchungshaft. "Vor allem in den ersten Wochen und Monaten der Haft sind Gefangene in hohem Maße suizidgefährdet", sagte Schneider. Der Schock über die Inhaftierung, der fast vollständige Verlust sozialer Kontakte, der täglich 23-stündige Einschluss ohne sinnvolle Beschäftigung oder ausreichende Freizeitmöglichkeiten - das alles stürze Inhaftierte gerade zu Anfang in eine Krisensituation. "Obwohl die Zahl der Untersuchungsgefangenen deutlich unter der Zahl der Strafgefangenen liegt, ereignen sich die meisten Suizide in U-Haft." Schneider: "Man wird den Suizid nicht gänzlich verhindern können. Aber angesichts der traurigen Häufung der Selbsttötungen im letzten Dreivierteljahr müssen die Verantwortlichen neue Maßnahmen prüfen und umsetzen." Als Beispiele nennt die Linken-Politikerin "eine verstärkte psychosoziale Betreuung", etwa die Einrichtung einer Telefonseelsorge hinter Gittern. Denkbar sei auch die Verkürzung der Einschlusszeiten, die Ausweitung von Kontakt- und sinnvollen Freizeitmöglichkeiten.

Die wegen der Selbstmorde von den Linken und der CDU scharf kritisierte Justizsenatorin Jana Schiedeck (SPD) hatte nach dem jüngsten Suizidfall angekündigt, dass die Suizidprävention auf den Prüfstand gestellt werde. Zudem hatte sie vor zwei Wochen veranlasst, dass gemeinsam mit der Untersuchungshaftanstalt Maßnahmen entwickelt werden, die der möglichen Vereinsamung der Gefangenen entgegenwirken. Einiges davon ist bereits umgesetzt. "Die Untersuchungshaft ist mit besonderen Belastungen verbunden", sagte Schiedeck. Festnahme und Inhaftierung seien für die Gefangenen oft "ein Schock".

Damit diese mehr Kontaktmöglichkeiten untereinander haben und weniger Zeit alleine in ihren Hafträumen verbringen, sind die Aufschlusszeiten in Einzelfällen ausgeweitet worden, sagte die Justizsenatorin gestern dem Abendblatt. Außerdem gibt es vermehrt den "Umschluss", bei dem zum Beispiel zwei Gefangene tagsüber in einer Zelle eingeschlossen werden und dann die Zeit gemeinsam verbringen und etwa Karten spielen können. "Zudem gibt es zusätzliche Freistundenregelungen." Das heißt, die Gefangenen können auf den Hof. Eine neue Maßnahme besteht ebenfalls darin, dass weitere Räume für Gruppenaktivitäten und für die Freizeitgestaltung genutzt werden können. Des Weiteren werde bei der Unterbringung von Gefangenen ihre Herkunft stärker berücksichtigt. "Weitere Maßnahmen werden bis Juni geprüft", kündigte Schiedeck an. "Dazu zählt auch, in welchem Umfang die Gefangenen telefonieren können." Um die Ursachen der drei Suizide in den letzten Monaten aufzuklären und festzustellen, ob es strukturelle Defizite gibt, habe sie eine genaue Untersuchung veranlasst.

Nach der Serie von Selbstmorden im Justizvollzug hatte es bereits in den vergangenen zwei Jahren einige Veränderungen im Bereich der Suizidprävention gegeben. So sind etwa in den Justizvollzugsanstalten Billwerder, Fuhlsbüttel, Hahnöfersand und der Untersuchungshaftanstalt je zwei sogenannte gefährdungsarme Hafträume eingerichtet worden. Zudem wurde das "Vier-Augen-Prinzip" eingeführt, um eine eventuelle Suizid-Gefährdung zu beurteilen. Darüber hinaus sei die Erreichbarkeit des psychologischen Dienstes erweitert, um Gefangene in Krisen auch an Wochenenden und Feiertagen psychologisch betreuen zu können, heißt es bei der Behörde.