Bei den Sozialen Diensten der Hansestadt sind Stellen offen. Viele Bewerber erscheinen aber gar nicht erst, da die Bezahlung zu schlecht sei.

Hamburg. Sie sind staatliche Wächter, aber sollen keine Eindringlinge sein. Ziel des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) sei, eine "vertrauensvolle Beziehung" zu Eltern aufzubauen, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind, um "die Gefahr von Überforderung und Kindesvernachlässigung" zu verringern, heißt es in der Senatsdrucksache "Hamburg schützt seine Kinder".

Doch die Realität sieht anders aus. Im Bezirk Mitte geben sich Mitarbeiter so oft die Klinke in die Hand, dass eine langfristige Zusammenarbeit mit Eltern kaum möglich ist: 57 Fachkräfte haben seit Oktober 2007 dort eine Anstellung begonnen oder beendet, bei insgesamt 72 Stellen. Das erfuhr das Abendblatt auf Anfrage. Überhaupt fällt es schwer, neue Mitarbeiter zu gewinnen: Von 72 Stellen sind hier derzeit nur 66,5 besetzt, die Zahl der Bewerber ist laut Amtsleitung gering. Zum Bezirk Mitte gehört auch der Stadtteil Wilhelmsburg, in dem die kleine Lara starb. Anschließend waren ASD-Mitarbeiter in Kritik geraten, in eine "Routinefalle" getappt zu sein.

Zwar hat die Sozialbehörde bereits Ende 2009, also vor Laras Tod, 30 neue ASD-Stellen in ganz Hamburg eingerichtet. "Viele Bewerber erscheinen aber gar nicht erst bei uns", sagte Pia Wolters, Leiterin des Fachamts Jugend- und Familienhilfe im Bezirksamt Mitte, dem Abendblatt. Während also die Zahl der Meldungen über gefährdete Kinder seit Monaten weiter ansteigt, rückt die geplante Verstärkung nur langsam nach. Wolters sieht die Ursache auch in den tariflichen Bedingungen: Der in Hamburg geltende Abschluss ist niedriger als in angrenzenden Kommunen. "Die Hansestadt gilt vielerorts als schlechterer Arbeitgeber", sagt Wolters. So sei es für junge Fachkräfte attraktiver, etwa in Norderstedt beim Sozialen Dienst anzufangen. Hier würde eine Berufsanfängerin demnach 2500 brutto bekommen, in Hamburg sind es derzeit 2256,71 brutto. "Ohnehin wird die verantwortungsvolle Arbeit von Sozialpädagogen im ASD nicht ausreichend honoriert", sagt Wolters.

Es ist also nur die halbe Wahrheit, wenn Gewerkschaften anprangern, dass sich seit dem Tod der kleinen Lara die Situation der Sozialen Dienste nicht wesentlich verbessert habe. Erst Ende 2009 haben sie diesem Tarifvertrag der Länder zugestimmt. "Wir sind hier erst am Anfang der Verhandlungen", räumte Ver.di-Sprecherin Siegline Friess gegenüber dem Abendblatt ein. Dies bedeute, dass vor allem Neueingestellte Gehälter bezögen, die sich "auf sehr geringem Niveau befinden".

Das Personalamt der Stadt Hamburg betont, dass der Tarifvertrag "keine Hamburgensie" sei, sondern überall auf Länderebene gelte. In den Kommunen gilt hingegen der höhere Bundesvertrag. Leiter Volker Bonorden sieht dennoch einen Spielraum für bessere Vergütungen: "Innerhalb der geltenden Bestimmungen können Erfahrungsstufen unterschiedlich angerechnet werden", sagte Bonorden dem Abendblatt. Viel spricht dafür, dass die Personalprobleme im Bezirk Mitte besonders akut sind: 20 Mitarbeiter wechselten von hier seit Ende 2007 zu anderen Stellen in der Stadt. Laut Zahlen von Beginn des Jahres weisen die Bezirke Altona, Wandsbek, Bergedorf und Harburg deutlich weniger freie Stellen aus.

"Hier kommen einfach viele Problemzonen zusammen", sagte Verena De Wyl, ASD-Mitarbeiterin im Bezirk Mitte, dem Abendblatt. Neben schwierigen Stadtteilen, etwa Billstedt und Rothenburgsort, sei da auch noch die Drogen- und Prostituiertenszene in St. Georg. "Die Zusammenarbeit mit dieser schwierigen Klientel braucht ein hohes Maß an Kontinuität", sagt de Wyl. Den häufig wechselnden Kollegen fehlten zudem die nötigen Kontakte zur Polizei, in den Kitas, Schulen und anderen Hilfsträgern. Sie schätzt die nötige Zeit zur Einarbeitung neuer Kräfte auf etwa 1,5 Jahre. "Neue Kolleginnen sind oft ohne Erfahrungen beim ASD, kommen aus anderen Städten oder fachfremden Arbeitsgebieten." Unter dem Arbeitsdruck würden Fortbildungen zudem oft verkürzt werden, was auch mit gesteigerten Anforderungen zusammenhänge, die betreuten Fälle zu dokumentieren: "Etwa 60 Prozent der Arbeitszeit verbringen wir am Computer", sagt ASD-Mitarbeiterin de Wyl.

Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) äußerte sich auf Anfrage des Abendblatts nicht zur Situation beim ASD. Seine Sprecherin teilte mit, nicht die Sozialbehörde, sondern die Tarifparteien seien für die Vergütung zuständig; also die Gewerkschaften und das Personalamt der Stadt.

"Die Verantwortung trägt Senator Wersich", sagt hingegen Johannes Kahrs (SPD), Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses. "Natürlich" sei es möglich, über Zusatzleistungen eine angemessene Bezahlung zu erreichen. "Man darf nicht immer nur über den Fall Lara und Missstände beim ASD reden, sondern der Senat muss endlich handeln."