Während Experten auf Einladung von NestWerk diskutierten, verübten Unbekannte einen Anschlag auf das Auto von Senator Wersich

In seiner Eröffnungsrede nannte Reinhold Beckmann erschreckende Zahlen: "Hamburg ist ein Brennpunkt der Jugendarmut. Ein Viertel aller Hamburger Kinder lebt von Hartz IV." Und in drastischen Worten fügte der Moderator und Initiator von NestWerk hinzu: "Armut ist scheiße. Armut führt zu Perspektivlosigkeit und zu sozialer Isolation." Gemeinsam mit der "Zeit" hatte der Verein NestWerk gestern Abend zur Podiumsdiskussion "Unsere Jugend - Unsere Verantwortung. Zeit zu handeln" in die Ganztagsschule St. Pauli eingeladen.

Während drinnen angeregt diskutiert wurde, verübten unbekannte Täter einen Farbbeutelanschlag auf den draußen geparkten Dienstwagen von Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU), der ebenfalls mit auf dem Podium saß. Mehrere Personen, so bestätigte die Polizei am späten Abend, hätten sich vermummt dem Wagen genähert und Farbgeschosse auf den 5er BMW gefeuert. Mindestens eine Scheibe ging dabei zu Bruch. Die Fahndung nach den Tätern verlief bisher ergebnislos.

In der Schule sahen die Gäste derweil das Grußwort von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die ihre Teilnahme kurzfristig abgesagt hatte. "Wir können nicht akzeptieren, dass jeder zehnte junge Mensch ohne Abschluss bleibt."

Gastgeber Gerald Pump-Berthé erlebt die Armut junger Menschen jeden Tag bei seinen Schülern. "Etwa drei Viertel unserer Kinder leben auf dem Niveau von Hartz IV", sagte der Schulleiter. Und das gehe über materielle Armut hinaus: "Wenn ich frage, wer schon mal im Wald war, heben sich drei oder vier Finger." Die Buchautorin Inge Kloepfer kritisierte, dass "die Aufstiegsmöglichkeiten stark verbunden seien mit der materiellen Situation. Dietrich Wersich sagte dazu, allein mit materieller Versorgung erreiche man nicht genug: "Wir müssen stärker fördern, endlich die Integration nachholen, die Sprachförderung."

Für Pump-Berthé ist entscheidend, früh einzugreifen, "damit Armut nicht vererbbar ist". Wersich betonte, das geschehe in Hamburg, indem der Großteil der Kinder in Kitas betreut werde.

Für Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, liegt der sicherste Weg aus der Armut in der flächendeckenden Einführung von Ganztagsschulen.

Deren Bedeutung betonte auch Schulleiter Bernd Lengwenus von der Ganztagsschule Fraenkelstraße. "Was früher in Familien gelehrt wurde, versuchen wir heute als Schule zu lehren." Um das Angebot mit einer Ferienfreizeit attraktiver zu machen, brauche er noch 15 000 Euro. Doch keine Behörde fühle sich zuständig. "Wenn nur einer dieser Jugendlichen in zehn Jahren kein Auto anzündet, dann haben wir die 15 000 Euro wieder raus."