Manager sollten künftig Tugenden wie Weitsicht und Demut beherzigen. Dann wären sie erfolgreicher und glücklicher, meint Johann Hinrich Claussen

Hamburg. Krisenzeiten sind gute Zeiten für die Kirche, heißt es gewöhnlich. Dennoch überrascht es mich, mit welchem Nachdruck mir zurzeit gesagt wird, jetzt müsse doch die Kirche mit einem deutlichen Wort für Orientierung sorgen. Es sind nicht die üblichen Verdächtigen, die so zu mir sprechen, also fromme Gemeindechristen oder Gewerkschafter, die den Schulterschluss mit der Kirche suchen, sondern es sind Unternehmer, Rechtsanwälte, Werber und Journalisten, kirchlich Distanzierte, die eigentlich allergisch reagieren, wenn sich die Kirche in ihre inneren Angelegenheiten einmischt.

Doch ihre Verunsicherung ist anscheinend so grundlegend, dass sie sich nur von einer Institution, die auf einem ganz anderen Fundament ruht, ein neues Gefühl von Sicherheit und Vertrauen versprechen.

Ich freue mich über diese unvermutete Kirchenfreundlichkeit, aber ich frage mich auch, wie ich mit ihr umgehen soll. Ist sie doch Ausweis einer tiefen Ratlosigkeit. Selbst Verantwortungsträger und Unternehmenslenker wissen nicht, wie es weitergeht.

Vor der Finanzkrise gab es noch "Wirtschaftsweise". Heute kann man das Wort nicht aussprechen, ohne bitteres Gelächter zu ernten. Wo alle modernen Wirtschaftsweisheiten an ein Ende gelangt sind, ist es richtig, sich an alte Einsichten zu erinnern, also die ethischen Grundsätze des Christentums erneut zu bedenken. Schade ist nur, dass dafür erst eine Krise kommen musste.

Jetzt reden alle vom "Umdenken". Es wäre besser gewesen, man hätte vor der Krise, also während der großen Sause, das Denken nicht eingestellt, dann müsste man heute nicht "umdenken".

Doch will ich mich hüten, nachträglich den Klugen zu spielen. Ich habe die Krise nicht kommen sehen, nicht gewarnt und kenne die Lösungswege nicht. Deshalb fühle ich mich unwohl, wenn man ausgerechnet von mir ein wegweisendes Wort erwartet.

Ich bin doch als Kirchenmensch und Bürger ein Teil dieses Systems, habe von ihm profitiert und bin nun von seinem Niedergang betroffen. Aber natürlich ist es eine wichtige Aufgabe, auf die Fragen, welche die Wirtschaftskrise stellt, eine christliche Antwort zu geben.

Im Dialog möchte ich nach Maßstäben und Prinzipien suchen, die einer aus den Fugen geratenen Wirtschaftswelt Halt geben. Zum Glück stehen die Chancen für solch einen Dialog inzwischen wieder recht gut. Es ist nicht lange her, da waren viel zu viele Verantwortliche von Banken und großen Unternehmen auf Tauchstation gegangen.

Langsam aber melden sie sich bei öffentlichen Debatten wieder zurück. Es ist hoffentlich nicht zu spät. Denn das strapazierte Wort, dass die Krise auch eine Chance sei, ist nur dann mehr als ein tröstender Spruch, wenn die Krise genutzt wird, um sich gemeinsam über die Richtung des eigenen Handelns zu verständigen. Wie also wollen wir wirtschaften? Welchen Zielen soll unsere Wirtschaft dienen?

Nicht zu allen wirtschaftsethischen Fragen hat die Kirche etwas zu sagen. Einen zentralen Punkt müssen die Juristen und Politiker klären. Sie müssen einen neuen rechtlichen Rahmen für die Wirtschaft, insbesondere die Finanzwirtschaft, herstellen. Doch wie füllt man diesen Rahmen aus? Wenn es zu dieser Frage kommt, wird gern von "den Werten" gesprochen. Das leuchtet mir nicht recht ein. Denn dieses Wort entstammt dem ökonomischen Denken. Werte stehen nicht fest, sie werden getauscht und gehandelt. Deshalb können sie keine sichere Orientierung geben - im Unterschied zu moralischen Prinzipien, die nicht verhandelbar sind.

Solche Prinzipien sind für das Christentum: Gottes- und Nächstenliebe, Freiheit und Gerechtigkeit. Wie aber können solche Prinzipien gelebt werden? Dafür gibt es ein anderes Wort. Es klingt zunächst altbacken, besitzt aber einen eigenen Reiz. Es ist die Tugend. Sie ist die sittliche Kraft, nach moralischen Prinzipien zu leben. Sie befähigt dazu, die Mitte zwischen zwei Extremen zu finden, das rechte Maß zu treffen. Solch eine Tugendhaftigkeit hatten Wirtschaftsmenschen von jeher nötig.

Deshalb formulierte der "Ehrbare Kaufmann" schon im 16. Jahrhundert einen Tugendkatalog. Er enthielt: Redlichkeit, Ehrlichkeit, Sparsamkeit, Genügsamkeit, Fleiß, Gemütsruhe, Demut und manches mehr. Das ist ein gutes hanseatisches Erbe, vielfach bewährt im praktischen Wirtschaftsleben und zugleich von einer christlichen Grundeinstellung getragen.

Ob sich heute Kaufleute und Unternehmer noch so eine lange Liste merken können? Vielleicht reicht es, mit drei Tugenden zu beginnen:

Sei maßvoll, denn das Übermaß an Gewinn und Verdienst ist ebenso schädlich wie der exzessive Verlust, das Gute liegt in der Mitte.

Sei weitblickend, denn nur langfristiges Wirtschaften führt zu dauerhaftem Erfolg.

Sei rücksichtsvoll, denn gutes Wirtschaften gelingt nur in einer guten Gesellschaft, in der alle, auch die Leistungsschwachen und weniger Begüterten, ihren Platz haben.

Um solche Tugenden zu beherzigen und zu leben, bedarf es der Persönlichkeitsbildung. Wer im tieferen Sinn ein guter Unternehmer oder Kaufmann sein will, der braucht auch Charakterstärke und Herzensbildung.

Und die gewinnt er nur, wenn er höhere Lebensziele als den reinen Gelderwerb kennt. Dann aber kann sein Leben nicht nur erfolgreich, sondern auch sinnvoll sein. Dann wäre er als ehrbarer Kaufmann nicht nur tugendhaft, sondern in einem tieferen Sinne glücklich.