Hier wohnt man beschaulich und kann trotzdem alles einkaufen, was man zum täglichen Leben braucht ...

Hamburg. Zum Dorfklatsch trifft man sich in der Apotheke oder im Café. Wer das Glück hat, hier eine freie Wohnung zu ergattern, kauft sie am liebsten sofort. Weg will hier nur selten jemand. Die Zeit an der Beselerstraße vergeht an diesem Spätsommermorgen so wie fast immer. Ruhig, beschaulich, unaufgeregt. Mütter schieben ihre Kinderwagen von Geschäft zu Geschäft. Aus einem Familienvan vor der Zahnarztpraxis Pielcke & Pielcke springen drei Kinder und ein brauner Labrador. Vor der Reinigung Kleiderbad parkt ein BMW-5er-Van, aus dessen Kofferraum ein Familienvater einen Berg schmutziger Hemden zum Waschen zusammensammelt. Seine Ehefrau verzieht sich in der Zwischenzeit ins beliebte Café Stay, Beselerstraße 27.

Denn dort sitzen bei schönstem Biergartenwetter schon andere Mütter im idyllischen Garten in zwei Strandkörben auf Kieselsteinen. Sie trinken ihren Kaffee und genießen ein Croissant-Frühstück, das mittags von leckerer Bistroküche abgelöst wird. An Marianne Kreymborg und Lars Wullenwebers Treffpunkt kommt in Othmarschen und Flottbek keiner vorbei. Denn hier sitzen nicht nur die Latte-macchiato-Mütter und die Gäste des darüber liegenden Boarding-Houses, das vom Hotel Landhaus Flottbek geführt wird. Hier ist auch der erste Treffpunkt für den Dorfklatsch.

Den kennt auch Ulrike Pekrun, deren gegenüber liegende Apotheke an der Beselerstraße 46 gerade 50. Jubiläum feierte. "Unsere Straße ist eigentlich ein ganzer Stadtteil. Hier gibt es alle notwendigen Geschäfte wie Blumenladen, Bank, Bäcker, eine Reinigung, einen Juwelier und ein Kosmetikstudio. Und unsere Apotheke ist so'n bisschen der Ditsche-Imbiss von Flottmarschen", sagt die herzliche Apothekerin. Sie kennt den Pastor im Ruhestand, Karl-Heinz Pfefferkorn, der sich jeden Morgen seine Brötchen bei Bäcker Körner holt genauso wie die Bäckerei-Verkaufshilfe. Diese reist jeden Morgen aus Mecklenburg an und bringt manchmal Eier aus dem hauseigenen Hühnerstall für die Nachbar-Geschäftsleute und Stammkunden mit.

Und Ulrike Pekrun erinnert noch das ehemalige Dorfkino Liliencron in Haus Nr. 21, wo nach dem Ende der Lichtspielzeit in den 70er-Jahren erst ein Heuriger, dann ein Italiener, schließlich ein Chinese und zuletzt ein Spanier eingezogen waren. Zurzeit ist das ehemals reetgedeckte Gasthaus mal wieder geschlossen. Dafür isst man heute bei Nino d' Ischia (Nr. 19) oder etwas weiter nordwestlich im Restaurant Champus (Nr. 35) oder in den Beselerstuben (Nr. 39). Hier serviert der Nienstedtner Klaus Koopmann (68) seit mehr als vierzig Jahren Spiegeleier mit Bratkartoffeln, Wurstsalat und Eintöpfe, aber auch eine Rarität wie die Portion Dosen-Erbsen und -Wurzeln. Seine Gäste: langjährige Stammkunden und Freunde aus Nienstedten, die Bewohner der Seniorenresidenz Senator (Nr. 12) oder die Mitarbeiter des Lotto-Kiosks, des Schneiderateliers Samt und Seide und vom Friseur Aldo im mittleren Teil der Beselerstraße. "Unsere Straße ist heute ein modernes Dorf, das früher 15 Kneipen hatte und von dem noch heute schöne alte, reetgedeckte Bauernhäuser stehen", sagt Klaus Koopmann, der hier nie mehr weg möchte. Dem Nienstedtner gehört eines der ältesten Häuser an der Beselerstraße. Allerdings ohne Reet, dafür in leuchtendem Blau gestrichen.

"Das Schöne an dieser Straße ist, das sie traditionell, rege und vor allem unheimlich kollegial ist. Bei uns arbeiten von zwölf Mitarbeiterinnen schon zwei von Beginn an mit. Wichtig bei allem Dorfklatsch ist aber die Diskretion und natürlich Schweigepflicht", sagt Ulrike Pekrun und serviert drei Müllmännern in orangen Latzhosen einen Kaffee vor der Tür. Sie ist die gute Seele der Beselerstraße. Bei ihr funktioniert der Spagat zwischen Alteingessenen, Dienstleistern, Gästen und "Elbbletten", wie die aufgehübschten Damen dieses Stadtteils gern spöttisch genannt werden. Ulrike Pekrun war es auch, die mit benachbarten Geschäftsleuten die Idee für regelmäßige gemeinsame Straßen-veranstaltungen wie das herbstliche Apfelfest, eine Art Verkaufsbasar auf der Straße oder den weihnachtlichen Apfelpunsch-Trunk umsetzte. "Wir wollen uns bewusst vom Beselerplatz und der etwas mondäneren Waitzstraße im Süden absetzen", sagen die Bewohner der Beselerstraße.

Diese weit über Hamburgs Westen hinaus bekannte rot geteerte Einkaufsstraße mit schicken Geschäften grenzt an den Wohnteil der Beselerstraße. Hier stehen die zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Bauunternehmer Butenschön erbauten, dreigeschossigen Stadtvillen wie das Haus Nr. 1. Wer hier eine der großzügigen Hamburger Wohnungen mit langem Flur, Stuckdecken und Parkettböden ergattert, kauft sie möglichst gleich. Viele werden ohnehin von Generation zu Generation des wohlhabenden Bürgertums vererbt. Kaum eine dieser schönen Stadtvillen hat noch Mietwohnungen. Dieser südöstliche Teil der Beselerstraße entstand nach der Eröffnung der S-Bahn-Linie Othmarschen Ende des 19. Jahrhunderts.

Heute lebt man an der Beselerstraße im Hier und Jetzt und vor allem miteinander. Das zählt ohnehin mehr als Geld. Wenngleich Letzteres in diesem Stadtteil durchaus vorhanden ist. Nicht zuletzt zur großen Freude der Geschenke-Boutique Cadeaux und dem liebevoll geführten Hamburger Kinderzimmer von Saskia von Deelen (Nr. 29), die skandinavische Kindermöbel und nostalgisches Spielzeug mit Hang zur Nostalgie verkauft. Bis Ladenschluss, und der beginnt fast einheitlich um 18 Uhr.