Vierter Teil der Gesundheitsserie. Krebspatienten werden immer häufiger zusätzlich mit Naturheilmethoden als “körperliche, seelische und geistige Einheit“ behandelt.

Hamburg. Viele Krebspatienten, denen laut Prognose wahrscheinlich nur noch wenig Lebenszeit vergönnt ist, wollen sich nicht aufgeben. Häufig versuchen sie, parallel zur schulmedizinischen Behandlung - Operation, Strahlen- und Chemotherapie - im überbordenden Angebot von Naturheilkundlern und Heilpraktikern einen zusätzlichen Therapieansatz zu finden, der ihnen vor allem ein Mehr an Lebensqualität ermöglichen soll.

Dies trifft einer Studie des Neurochirurgen Oliver Heese vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) zum Beispiel auch auf etwa 40 Prozent aller Glioblastom-Patienten zu, eines besonders schwer zu behandelnden Hirntumors. Die meisten Patienten überleben durchschnittlich nur das erste Jahr nach der Diagnose. "Häufig sind es junge, gebildete Frauen, die offen sind für alternative Heilmethoden", sagt Heese. Die setzten dabei vorwiegend auf Homöopathie, Mistelpräparate, Vitamine oder Akupunktur. "Darauf müssen wir in den Aufklärungsgesprächen eingehen, auch um Patienten über mögliche Gefahren aufzuklären."

Studien zu komplementären Heilverfahren sind sehr widersprüchlich: "Oft werden bloß Hoffnungen verbreitet", mahnt Edzard Ernst, Professor für Komplementärmedizin im englischen Exeter. Es sei bislang kein einziges alternatives Mittel bekannt, das Krebs heilen könne. "Manche kriminellen Anbieter ziehen den bangenden Krebspatienten bloß das Geld aus der Tasche." Einige Verfahren könnten jedoch das Wohlbefinden der Patienten verbessern und Nebenwirkungen vermindern. Hierzu gehörten die Akupunktur sowie Massage- und Entspannungstechniken, wie sie etwa im Mammazentrum Hamburg am Jerusalem-Krankenhaus angewendet werden.

Einen Wegweiser durch den Dschungel der komplementären Heilmethoden bietet die Deutsche Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr, die in Hamburg eine Beratungsstelle betreibt. "Viele Patienten fühlen sich unter Druck und glauben, sich ganz schnell für eine Behandlung entscheiden zu müssen", sagt die Beraterin Jutta Trautmann. Sie empfiehlt Patienten, sich trotz der Krebsdiagnose genügend Zeit zu nehmen, um sich für eine naturheilkundlich orientierte Komplementärtherapie zu entscheiden.

Ob Hyperthermie, Selen, Thymusextrakte, Immuntherapien oder Tumorimpfungen: Auch die Onkologen am UKE wollen sich dem Aufklärungsbedarf und den Wünschen ihrer Patienten in Zukunft intensiver widmen. Das Hubertus-Wald-Tumorzentrum (das auch Nicht-UKE-Patienten offen steht!) bietet unter der Leitung des Onkologen und Naturheilmediziners Matthias Rostock komplementärmedizinische Beratung an.

Rostock hat sich intensiv mit Studien zur Misteltherapie befasst, die auf den Anthroposophen Rudolf Steiner zurückgeht und wobei sich die Patienten in der Regel selbst spritzen können. Viele berichten darüber, dass sie diese Mittel vor allem auch psychisch stabilisieren. "Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die meisten Studien positive Effekte auf die Lebensqualität gezeigt haben." Darüber hinaus störe die Misteltherapie nach derzeitigen Kenntnissen eine schulmedizinische Behandlung nicht - im Gegensatz beispielsweise zu bestimmten hoch dosierten Johanniskrautpräparaten. Diese werden nach Erfahrungen von Carsten Bokemeyer, Chefarzt der Onkologischen Klinik am UKE, oft als Stimmungsaufheller eingenommen. "Sie beschleunigen den Stoffwechsel in der Leber und damit den Abbau mancher Krebstherapien, doch sie sollten nicht gleichzeitig mit einer Chemotherapie eingenommen werden." Beispiele von Naturstoffen, die neuerdings auch in der schulmedizinischen Krebstherapie angewandt werden, seien das Zytostatikum Vincristin aus Immergrün-Extrakten und die Taxane, deren Wirkstoffe aus Eiben stammen. "Schon daran wird deutlich", so Rostock, "dass natürliche Medizin und Medikamente aus der Chemiefabrik nicht immer einen Gegensatz darstellen müssen."

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