Harburg. Forscher des Fraunhofer-Center für Maritime Logistik entwickeln für Frachter Systeme, die das Kommando übernehmen – wenn sie dürfen.

Ein großes Containerschiff fährt über die Ozeane, und kein Mensch steht auf seiner Brücke. Was zunächst klingt wie ein Geisterschiff, ist ein Ausblick in die Zukunft. Zahlreiche Forscherteams befassen sich mit autonom fahrenden Schiffen, gesteuert von Künstlicher Intelligenz (KI). Auch das Team von Hans-Christoph Burmeister am Fraunhofer-Center für Maritime Logistik (Fraunhofer-CML) im Harburger Binnenhafen.

„Technisch ist es heute schon möglich, ein Schiff über Stunden ohne Personal auf der Brücke fahren zu lassen“, sagt Burmeister, der am CML die Abteilung Nautik und Seeverkehr leitet. „Doch es fehlt ein internationales Regelwerk, unter welchen Voraussetzungen dies geschehen darf.“ Wie das Ganze funktioniert, haben die Forscher zusammen mit mehreren Kooperationspartnern in dem dreijährigen Projekt B ZERO (für bridge zero personal, Brücke ohne Personal) getestet und vor einigen Monaten auf einer Demonstrationsfahrt vorgeführt.

Autonome Schiffe: Die Software-Systeme können mehr, als nur einer Route folgen

Florian Motz (M.) und Lilian Befort vom Fraunhofer-CML führen auf der Demonstrationsfahrt Tests und Interviews mit Crewmitgliedern durch.
Florian Motz (M.) und Lilian Befort vom Fraunhofer-CML führen auf der Demonstrationsfahrt Tests und Interviews mit Crewmitgliedern durch. © Fraunhofer CML / Manfred Constapel | Manfred Constapel

Schon heute gehört ein sogenannter Trackpilot zur Standardausrüstung der Berufsschifffahrt. Anders als ein Autopilot, der nur den eingegebenen Kurs hält, fährt der Trackpilot in einem vorgegebenen Korridor eine Route ab, kann damit zum Beispiel das seitliche Versetzen durch Strömung ausgleichen. „Außerhalb des Korridors darf er den Kurs aber nicht automatisch ändern“, sagt Burmeister. „Selbst dann nicht, wenn die Kursänderung Teil der Route ist. Es muss immer jemand auf der Brücke stehen und per Knopfdruck das Umsteuern auslösen.“

Moderne Schiffe arbeiten zudem mit Integrierten Brückensystemen (IBS). Dahinter verbergen sich Softwarelösungen, die die Daten unterschiedlicher Sensoren zusammenführen, etwa GPS, Kreiselkompass, Autopilot, Radar und elektronische Seekarten. Sie dienen als Navigationshilfen, ersetzen aber nicht den Wachhabenden Offizier, der die Entscheidungen fällt. Was während der Fahrt über das offene Meer jedoch selten nötig ist.

Acht Tage lang geradeaus – und nichts als Wasser

„Bei einer Atlantiküberquerung fahren Sie acht Tage lang nur geradeaus und sehen nur Wasser“, sagt Burmeister. „Selbst bei unseren Tests im Mittelmeer waren wir drei Tage unterwegs und hatten nur einmal eine Situation, in der ein autonomes System hätte eingreifen müssen.“ Auch wenn ereignislose Fahrten im Prinzip erwünscht sind, machen sie den Wachhabenden auf der Brücke müde und reduzieren seine Aufmerksamkeit. Das erhöht das Kollisionsrisiko.

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Automatisierte Systeme zeigen keine Ermüdungssymptome. Burmeister: „Wir brauchen im offenen Seebereich keine Person auf der Brücke. Die Systeme überwachen mittels AIS (Datenaustausch mit anderen Schiffen, die Red.), Radar sowie Kamerasystemen den Seeraum in ihrer Umgebung und können bei Kleinigkeiten, etwa bei einer Kreuzungssituation oder im Begegnungsverkehr, selbstständig ausweichen.“ Ein weiteres Problem seien die vielen Alarme an Bord, „überall piept irgendwas“. Auch damit kommt künstliche Intelligenz womöglich besser zurecht als menschliche.

KI steuert großes Containerschiff problemlos nach Portugal

Die in Harburg entwickelte Software musste sich in zahlreichen Tests am Schiffssimulator und auf realen Schiffen beweisen, bevor sie im Mai auf Demonstrationsfahrt ging: auf der Brücke des 8000-TEU-Containerfrachters „Henrika Schulte“ der Hamburger Reederei Bernhard Schulte (Schulte Group), einer der Projektpartner. Die Tour führte von Hamburg nach Sines (Portugal). Die komplizierte Fahrt elbabwärts, durch die Deutsche Bucht und den Ärmelkanal übernahm das Bordpersonal. Anschließend durfte die KI auf offener See zeigen, was sie kann.

Ein Ausblick während der Demonstrationsfahrt von der Brücke der „Henrika Schulte“.
Ein Ausblick während der Demonstrationsfahrt von der Brücke der „Henrika Schulte“. © Fraunhofer CML / Manfred Constapel | Manfred Constapel

Sie machte einen guten Job, allerdings mit einer Einschränkung: „Wir hatten keine Genehmigung, das Schiff vollständig autonom zu betreiben. Deshalb war das System nicht mit der Steuerung verdrahtet.“ Die KI-Entscheidungen wurden von Menschenhand ausgeführt. Und natürlich standen bei dieser Fahrt eher mehr Menschen auf der Brücke als im Normalbetrieb. Schließlich wollten nicht nur die Nautiker an Bord, sondern auch die Harburger Forscher die Abläufe kontrollieren.

Die CML-Systeme sind aktuell auf zwei Containerschiffen, einem Erzfrachter, einer Fähre und einem Offshore-Versorger installiert. Diese dienen als Testplattformen, denn noch sind die Steuerungssysteme Prototypen. Um den Schritt in die Anwendung gehen zu können, müsse der Betrieb einer „wachfreien Schiffsbrücke“ auf den Schiffen zugelassen und im Seeverkehr international geregelt sein, so Burmeister.

Autonom unterwegs: Noch fehlen Vorschriften für unbemannte Schiffsbrücken

Für die Zulassung einer unbemannten Steuerung auf Schiffen ist in Deutschland vor allem das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) zuständig, ebenfalls ein Projektpartner bei B ZERO. Für das Befahren der Schiffsrouten entwickelt die Weltschifffahrtsorganisation IMO gerade Regeln für die autonome Schifffahrt, die den bestehenden Rechtsrahmen ergänzen. Sie sollen ab 2025 von den Mitgliedsländern freiwillig übernommen werden können und 2028 verpflichtend werden.

Ob der Einsatz von KI die Kollision zweiter Frachter am Dienstagmorgen in der Deutschen Bucht hätte verhindern können, ist müßig zu betrachten. Nicht nur, weil die Ursache des Unfalls noch nicht geklärt ist. Burmeister: „Nach aktuellem Stand darf ein technisches System keine Ausweichmanöver durchführen. Keine Wegänderung, nicht einmal einen Geschwindigkeitswechsel.“