Harburg. Viel Teilzeit-Arbeit und ein familienfreundliches Umfeld: Das weibliche Führungstrio im Mariahilf geht neue Wege – mit Erfolg.

  • Vor zehn Jahren wäre dieses Modell wahrscheinlich unvorstellbar gewesen: Dass eine Frau ein Krankenhaus leitet und monatelang von zu Hause arbeitet.
  • Im Mariahilf Krankenhaus in Harburg ist dieses Modell aber völlig normal.
  • Klinikchefin Lena Radtke hat gerade ihr zweites Kind bekommen. Und auch sonst dreht sich hier viel um das Thema Familie und Vereinbarkeit.

In der Mariahilf Klinik in Harburg haben Frauen die Oberhand. „Von insgesamt 517 festangestellten Mitarbeitenden sind 425 Frauen“, sagt Klinikgeschäftsführerin Lena Radtke. Das entspreche einem Frauenanteil von 82 Prozent – wobei zu bedenken sei, dass der Frauenanteil in Pflegeberufen grundsätzlich sehr hoch ist. Doch das Besondere in dieser Klinik: Hier betrifft die starke Frauen-Repräsentanz auch die Führungsebene. Auf schmale 17 Prozent beläuft sich der weibliche Anteil im Top-Management des Gesundheitswesens nämlich.

Die zweifache Mutter Lena Radtke ist beim Abendblatt-Gespräch mit den drei weiblichen Führungskräften via Bildschirm dabei. Das ist bemerkenswert für eine Branche, die per se dem Homeoffice trotzt – einer Form des Arbeitens, die vor allem Frauen und Mütter kleiner Kinder entgegenkommt: Noch immer sind sie es, die zu großen Teilen die Care Arbeit in der Familie übernehmen.

Klinikchefin mit Säugling im Home Office – in Harburg kein Ding der Unmöglichkeit

Auch Lena Radtke hätte mit der erneuten Mutterschaft ein Karriereknick drohen können. Die Klinikgeschäftsführerin hat vor vier Monaten ihr zweites Kind bekommen, war im Mutterschutz und ist seit dem 1. Oktober wieder im Job. Bis Ende November wird Radtke – seit Mai 2022 Geschäftsführerin bei Helios Mariahilf – überwiegend von zu Hause arbeiten. Ab Dezember ist sie dann wieder in Präsenz in der Harburger Klinik anzutreffen.

Lena Radtke, neue Geschäftsführerin der Helios Mariahilf Klinik Hamburg, will in der Harburger Konzern-Dependance einiges bewegen.
Lena Radtke, neue Geschäftsführerin der Helios Mariahilf Klinik Hamburg, will in der Harburger Konzern-Dependance einiges bewegen. © HA | Hanna Kastendieck

Wäre der Helios-Konzern zu einer solchen Regelung nicht bereit gewesen – Radtke hätte ihren Plan von Familie und Karriere wohl in den Wind schreiben können. „Insgesamt verändert sich etwas. Die Arbeitgeber müssen auf allen Ebenen mehr Rücksicht auf die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Karriere nehmen“, sagt die Geschäftsführerin. Das Stichwort sei der vielzitierte Fachkräftemangel.

Ornela Dukic koordiniert als alleinerziehende Mutter den gesamten Pflegebereich

Die beiden anderen Helios-Mitarbeiterinnen am Gesprächstisch sind ebenfalls Mütter und haben unabhängig davon in der Helios Mariahilf Klinik Karriere gemacht. Ornela Dukic koordiniert als alleinerziehende zweifache Mutter den gesamten Pflegebereich der Klinik.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Instagram, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Und Dr. Annika Steinbrink hat ebenfalls zwei Kinder und ist Chefärztin der Kinderchirurgie – einem wichtigen Zweig in dem allgemeinen Krankenhaus, das die einzige Geburtsklinik im Hamburger Süden mit mehr als 1500 Geburten im Jahr ist und einen Schwerpunkt auf die medizinische Versorgung von Kindern, Frauen und Mütter legt.

Alle Väter und Mütter der Kinderchirurgie arbeiten in Teilzeit

Im Hinblick auf das Mutter-Kind-Zentrum verzeichnet Helios Mariahilf laut Geschäftsführung einen signifikanten Anstieg der Behandlungszahlen in der Pädiatrie und in der Kinderchirurgie. Mit Blick auf die beiden vergangenen Kalenderjahre steht für die Kinderchirurgie ein Plus von 15 Prozent und in der Pädiatrie von 21 Prozent.

Annika Steinbrink ist seit acht Jahren Chefärztin und hat während dieser Zeit parallel dazu ihre Kinder großgezogen. „Ich wusste, dass das Mariahilf ein familiäres Krankenhaus ist und dass hier einiges möglich gemacht wird“, sagt die Chirurgin. Sie wünschte sich bei ihrem Amtsantritt als Chefärztin eine Arbeitszeit von 80 Prozent, worauf sich die damalige Geschäftsführung einließ. Noch heute ist Steinbrink mit dieser Regelung glücklich – und andere Kollegen und Kolleginnen auch: „Alle Väter und Mütter in der Kinderchirurgie arbeiten in Teilzeit – das Modell funktioniert für sie, für mich und für den Arbeitgeber. Es erfordert lediglich eine gute Organisation und etwas Flexibilität“, sagt die Ärztin.

Die Rückkehr der Mütter in den Beruf hängt von der Betreuungssituation ab

Kinder und Karriere – das sei auch eine Sache der Selbstorganisation, sagt Pflegedirektorin Ornela Dukic. Die Alleinerziehende spricht möglichst bereits im Vorfeld mit werdenden Müttern im Pflegepersonal, wie sie sich eine Rückkehr in den Job mit Kind vorstellen könnten, denn besonders in der Pflege wird jede Hand gebraucht.

Die Helios Kinderklinik Harburg. 80 Prozent aller Väter und Mütter in der Kinderchirurgie arbeiten hier Teilzeit.
Die Helios Kinderklinik Harburg. 80 Prozent aller Väter und Mütter in der Kinderchirurgie arbeiten hier Teilzeit. © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Allerdings müssten für eine Rückkehr auch die Rahmenbedingungen außerhalb des Einflussbereichs der Klinik stimmen, sagt Dukic. „Sobald es einen Betreuungsplatz für ihr Kind gibt, steigen die meisten Mütter wieder ein.“ Doch an Betreuungsplätzen mangele es in Harburg wie überall in Hamburg. Die Klinik selbst verfügt über keinen eigenen Hort oder Kindergarten.

Maximale Flexibilität für die Mitarbeitenden, damit sie im Klinikum bleiben

Die drei weiblichen Führungskräfte schätzen ihren Arbeitgeber: „Helios möchte Frauen fördern und ihnen auch Führungspositionen ermöglichen“, sagt Klinikgeschäftsführerin Lena Radtke. Frauen würden Karriereperspektiven und die Möglichkeit der Mitgestaltung geboten. „Das ist aber allgemein wichtig, denn sonst hält man die Mitarbeitenden heutzutage nicht. Man muss individuelle Regelungen innerhalb der bestehenden Leitplanken ermöglichen, um möglichst viele Fachkräfte zurück ins System und ans Pflegebett zu bringen“, sagt Radtke.

Der Ehrgeiz kommt dabei nicht zu kurz: Die Klinik, die mit ihrer über 100 Jahre alten Tradition als Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung tief im Hamburger Süden verwurzelt ist, deckt mit zehn Fachbereichen einen Großteil des medizinischen Spektrums ab, möchte aber besonders bei ihren Schwerpunkten besser werden.

Weibliches Führungstrio: „Wir setzen auf Vertrauen und Augenhöhe“

Aktuell strebt sie die Zertifizierung als Perinatalzentrum der Stufe II an. Dann könnten bei Mariahilf wieder nahezu alle Schwangeren entbunden werden – ausgenommen wären lediglich extreme Frühgeburten. Die Zertifizierung setzt bestimmte Personalstrukturen und Qualifikationen voraus. „Daran arbeiten wir“, sagt Radtke. Aktuell ist die Klinik aufgrund von personellen Engpässen der Kinderklinik vorübergehend nur noch Perinataler Schwerpunkt mit der Versorgungsstufe III. Dies bedeutet, dass dort Kinder ab der 32. Schwangerschaftswoche und einem Schätzgewicht von 1500 Gramm geboren werden dürfen.

Mehr zum Thema

Eine Verbesserung der Zertifizierung steht und fällt mit dem Personal – das ist den drei weiblichen Führungskräften bewusst. „Wir setzen auf Vertrauen und Augenhöhe. Ein hierarchischer Führungsstil führt nicht selten dazu, dass die Leute einknicken und krank werden“, sagt Dr. Steinbrink.

Mariahilf Klinik Harburg: Möglichkeit zur Teilzeit-Arbeit überaus beliebt

Es gebe bei Helios Mariahilf einen geringen Krankenstand, bestätigt Geschäftsführerin Radtke: „Dazu trägt sicher auch bei, dass wir Vollzeitstellen gern auf mehrere Köpfe verteilen.“ Die Möglichkeit zur Teilzeit helfe zudem allgemein dabei, Personal zu generieren.

„Bei uns muss keine Mutter und kein Vater ein schlechtes Gewissen haben, wenn das Kind mal krank wird und ein Kollege oder eine Kollegin den Dienst übernehmen muss. Dafür hat wohl jeder Verständnis, der in der gleichen Situation steckt“, sagt Chefärztin Steinbrink. Auch im täglichen Umgang mit den Patienten sei der weibliche Blick oft sehr nützlich, meint Ornela Dukic: „Als Frauen und Mütter können wir viele Sorgen vielleicht besser nachvollziehen.“