Museum Lüneburg

„Beim Malen kann ich rauslassen, was in mir festsitzt“

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Lena Thiele
Der studierte Kunstmaler Samer Samra (57) aus Syrien malt seit einem Jahr im Museum Lüneburg vor den Augen der Besucher. Inspiration findet er in und um das Museum herum, den Eisvogel hat er aus der Ausstellung abgemalt. 

Der studierte Kunstmaler Samer Samra (57) aus Syrien malt seit einem Jahr im Museum Lüneburg vor den Augen der Besucher. Inspiration findet er in und um das Museum herum, den Eisvogel hat er aus der Ausstellung abgemalt. 

Foto: Lena Thiele

Samer Samra aus Syrien malt im Museum Lüneburg vor den Augen der Besucher Stadtansichten und Stücke aus der Sammlung.

Lüneburg.  Der Eisvogel ist sein Lieblingsbild, Samer Samra ist fasziniert von diesem zarten Wesen mit dem außergewöhnlichen Gefieder. „Der Vogel ist so klein, aber stark“, sagt der Künstler und fügt hinzu: „Außerdem ist er liebevoll. Er fängt Fische und füttert damit seine Frau.“ Das Bild hängt im Museum Lüneburg, als Vorlage diente ein präparierter Eisvogel aus der Sammlung. Samer Samra ist seit rund einem Jahr hier als Kunstmaler tätig. Der 57-Jährige, der vor fast fünf Jahren aus Syrien flüchten musste, hatte selbst nach einer Beschäftigung im Museum gefragt.

„Herr Samra ist studierter Kunstmaler und Designer, für Hausmeisterarbeiten kam er nicht infrage“, sagt Museumsleiterin Prof. Dr. Heike Düselder. „Er soll hier das tun, was er gut kann: Malen.“ Erst war es ein Praktikum, dann eine vom Jobcenter finanzierte Stelle. Viermal in der Woche ist der Künstler für jeweils fünf Stunden im Haus, wegen der coronabedingten Schließung des Museums muss er zurzeit allerdings eine Pause einlegen. Um seine Deutschkenntnisse zu verbessern, malt Samer Samra im öffentlichen Raum, die Besucher des Museums können im Foyer oder in einem der Ausstellungsräume dabei mit ihm ins Gespräch kommen. Manche machen Selfies mit dem Künstler, viele stellen ihm Fragen zu seinen Bildern.

Zur Vorbereitung streift er durchs Museum, liest in alten Büchern

Dann erklärt er zum Beispiel, aus welchem Blickwinkel heraus die kleine skurrile Figur, die er vom alten Lunabrunnen abgemalt hat, im selben Lichte erscheint, wie er sie bei der Arbeit gesehen hat. Er weist auf die Farben hin, die einen bestimmten Effekt bewirken. Und manchmal erzählt er etwas über die Hintergründe, die ihn bewegt haben, genau dieses Bild zu malen. Zur Vorbereitung wandert er durch das Museum, blättert in alten Büchern und guckt sich die Ausstellungsstücke genau an, um zu verstehen, wie sein Bild davon lebendig werden kann. „Wenn ich dann aber anfange zu malen, kommt das Bild einfach aus mir heraus“, sagt der Kunstmaler, der über die Arbeit auch mal seinen Tee vergisst, den er sich immer neben die Staffelei stellt. Für ein Bild braucht er meistens nur wenige Tage, manchmal ist es auch schon nach einem Tag fertig.

So sind Ansichten der Kirchen St. Johannis und St. Nicolai entstanden, Bilder vom Museumsgebäude und von Ausstellungsstücken, wie einem Glas aus der archäologischen Sammlung und dem Eisvogel. Außerdem hat Samer Samra mehrere Mitarbeiter des Museums porträtiert. Er nutzt dafür fast immer Acrylfarben, damit kann er schneller arbeiten als mit Öl. Farben sind im sehr wichtig, Rot, Gelb und Blau finden sich auf allen seinen Bilder, häufig auch Grün.

Seine Stelle läuft zum Jahresende aus

Seine Stelle im Museum war auf ein Jahr befristet, der Antrag für ein weiteres Jahr ist gestellt. Der Künstler gehöre bereits fest zu den Kollegen, betont die Museumsleiterin. Samer Samra hofft sehr, dass er noch bleiben kann. „Es fühlt sich hier wie eine Familie an, ich merke, dass alle für mich da sind“, sagt er. „Beim Malen kann ich rauslassen, was in mir festsitzt.“

Der in Damaskus geborene Künstler lebte bis zur Flucht mit seiner Familie in Latakia. Als seine Heimat bezeichnet er jedoch Palästina, das Land, aus dem seine Großeltern 1948 flüchten mussten. Schon als Sechsjähriger griff der Junge zu Stift und Pinsel, für sein erstes Bild porträtierte er Polizisten. Ob er sich an weitere Bilder erinnere, die er im Laufe seines Lebens gemalt hat? An jedes einzelne, sagt Samer Samra. Ende 2015 kam die Familie in Deutschland an, seitdem wohnt der Maler mit seiner Frau und beiden Kindern Rita und Karam – heute 18 und 21 Jahre alt – in Dahlenburg.

Sorge und Angst lassen Künstler entstehen, sagt Samer Samra

Auch in seinem dortigen Atelier entstehen viele Bilder, besonders jetzt, wo das Leben draußen durch die Corona-Pandemie stark eingeschränkt ist. „Die Umstände wie Sorge und Angst oder der Entzug von Land, Heimat und Zugehörigkeit sind ein Garant, um Künstler entstehen zu lassen“, sagt Samer Samra, der sich keiner speziellen künstlerischen Schule zuordnet. Das sei auch nicht notwendig. „Der heutige Künstler ist abstrakt, stilistisch, impressionistisch und aktualisierend zugleich, um das gewünschte Ziel zu erreichen.“ Die bildende Kunst ist für ihn ein Gesicht der menschlichen Zivilisation und ein Ausdruck von Schönheit, die man den Menschen nicht vorenthalten solle. Deshalb solle auch Besuch von Kunstausstellungen eine Selbstverständlichkeit sein.

Viele seiner Werke sind deutlich größer als der kleine Eisvogel. Wie das Bild, dass Samer Samra anlässlich der großen Pilgerausstellung in diesem Jahr im Museum gemalt hat. Fast fünf Meter lang und 1,90 Meter hoch entstand es im Fenster des Ausstellungsraums an der Wandrahmstraße, 45 Tage arbeitete er daran. Am Ende baute er einen passenden Rahmen für das Bild, auf dem – nach einer sehr viel kleineren Vorlage aus der Ausstellung – Pilger auf der Heimfahrt von Santiago des Compostela in einem Boot zu sehen sind. Das große Format bringe ihn den Menschen auf seinen Bildern nahe, sagt der Künstler. „Ich habe das Gefühl bei ihnen zu sein.“

Zwei Bilder konnte der Künstler aus Syrien mitnehmen

Das Pilgerbild wird vorerst an diesem Platz bleiben – um es zu entfernen, müsste es zusammengerollt werden. So wie die beiden Leinwände, die Samer Samra aus Syrien mitnehmen konnte, ebenfalls großformatige Werke. Der Künstler zeigt Fotos davon auf seinem Smartphone. Eines bildet eine Szene mit vielen Details ab, in der aus Blüten Parfüm gewonnen wird. Auf dem anderen ist eine junge Frau mit dunklen Haaren zu sehen, sie lehnt unter freiem Himmel an einer hellen Steinwand.

Das sei ihr Lieblingsbild, sagt seine Tochter Rita, die ihrem Vater für das Gespräch immer wieder übersetzend zur Seite steht. Wie er ist sie künstlerisch talentiert, am liebsten fertigt sie Bleistiftzeichnungen an. „Die Frau auf dem Bild sieht mir ähnlich. Er hat es im Jahr meiner Geburt gemalt.“

Der Museumsshop ist geöffnet

Die Ausstellung, die mit Samer Samras Bildern für diese Wochen geplant war, ist ins Jahr 2021 verschoben. Sie wird die Exponate aus dem Museum und weitere Werke des Künstlers zeigen.

Im Museumsshop gibt es schon jetzt eine Kunstpostkarte zu kaufen, die ein Werk des Malers zeigt: eine Ansicht der Nicolaikirche bei Nacht. Zum Sortiment des Shops im Eingangsbereich des Museums zählen auch Lüneburger Hansesalz, Bücher, Spiele, Dekoartikel, Schmuck und Glasrepliken.

Jahreskarten können ebenfalls dort erworben werden. Neu ist das Kombi-Jahresticket für das Salzmuseum und das Museum Lüneburg. Für eine Person kostet es 60 Euro, für jeweils 75 Euro gibt es das Kombiticket Paar für ein festgelegtes Paar und das Kombiticket Duo für eine Person mit wechselnden Begleitpersonen.

Der Shop des Museum Lüneburg, Willy-Brandt-Straße 1, ist dienstags bis sonnabends von 15 bis 18 Uhr geöffnet und ist dann auch unter Telefon 04131/720 65 80 erreichbar. Der Shop des Salzmuseums, Sülfmeisterstraße 1, Telefon 04131/720 65 13, ist dienstags bis freitags von 10 bis 13 Uhr geöffnet.

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