Harburg. Dass dieses Schiff schon einiges erlebt hat, glaubt man sofort. Gut 50 Jahre hat der ehemalige 26-er Kutter „Sternhai“ , jetzt „Sea Eye“ auf dem Kiel, fischte Jahrzehnte lang in Ostsee, Nordsee und Atlantik. Zuletzt wurde das Schiff zum Menschenfischer: 11.800 Schiffbrüchigeretteten die Besatzungsmitglieder der „Sea Eye“ zwischen 2015 und 2018 mit diesem Schiff. Aufgehört haben sie nicht, nur das Schiff gewechselt. Die „Sea Eye“ geht in den Ruhestand, und das – zumindest vorübergehend – im Museumshafen Harburg. Am Montag machte sie am Kanalplatz fest.
„Wir wollen der Konsens sein!“
Einfach so herumliegen soll die „Sea Eye“ hier nicht. An Bord will der Verein Sea Eye über Seenotrettung im Mittelmeer informieren und diskutieren. „Vor allem diskutieren“, sagt der Vereinsvorsitzende Michael Buschheuer. „Denn eine Diskussion muss in Deutschland geführt werden. Derzeit spaltet die Frage der Seenotrettung das Land und die Menschen reden nicht miteinander darüber. Auf der einen Seite stehen Menschen, die die Seenotrettung verbieten wollen, weil sie denken, dass man so die Migration unterbindet. Auf der anderen Seite sind Menschen, die am liebsten alle Grenzen abschaffen wollen und Organisationen wie uns gerne für sich instrumentalisieren wollen. Dazwischen steckt die Seenotrettung wie ein Keil. Das wollen wir aber nicht – im Gegenteil, wir wollen der Konsens sein!“
Streit auf dem Rücken der Schiffbrüchigen
Würde man Menschen fragen, ob man Schiffbrüchige retten soll, würden 95 Prozent ohne Zögern zustimmen. „Fragt man sie, ob man Grenzen schützen soll, sagen wieder 95 Prozent Ja – ich übrigens grundsätzlich auch“, sagt Buschheuer. Über diesen Zwiespalt könne und müsse man diskutieren. „Was aber nicht geht, ist diesen Streit auf dem Rücken von Menschen auszutragen, die gerade im Mittelmeer in Lebensgefahr sind“, so Buschheuer.
Die Lebensgefahr beginne im Moment des Ablegens der Flüchtlingsboote an der libyschen Küste – und zwar auch dann, wenn das jeweilige Boot tatsächlich seetauglich ist. „Die Flüchtlingsboote sind in der Regel mit 120 bis 200 Menschen vollgestopft“, sagt Buschheuer. Ausgelegt sind sie für höchstens 30. Die Menschen an Bord haben keine See-Erfahrung und meistens nicht einmal Wasser bei sich. Die Dehydration beginnt beim nächtlichen Ablegen und spätestens mittags in der prallen Sonne sterben die ersten. Dabei sind es zumeist robuste Menschen, die den Weg bis Libyen schon geschafft haben.“
Jeweils 12 Tage Patrouille
Alle zwei Wochen fuhr die Sea Eye von Malta aus in Richtung der libyschen Küste. Nach eineinhalb Tagen Anfahrt begannen 12 Tage Patrouille, dann eineinhalb Tage Rückfahrt. Auf Malta wechselte die Besatzung und es wurde neu gebunkert, dann ging es wieder raus.
Fanden die Helfer Boote, versorgten sie die Insassen mit Wasser und Schwimmwesten. Waren die Boote leck, gab es Rettungsinseln in der früheren Fischlast, dem Laderaum des Schiffes. Kranke, Kinder, Schwangere und Schwache wurden an Bord genommen. Alle Insassen eines Boots nur selten. „Das kann dies Schiff nicht“, sagt Buschheuer. „Dafür ist es zu klein. Wir waren mit diesem Schiff darauf angewiesen, dass andere Schiffe die Geflüchteten aufnahmen, wenn wir sie entdeckt hatten.“
Die Crew trifft die Entscheidung
Nur acht Mal kam die Besatzung in die Notlage, entscheiden zu müssen, ob alle Flüchtlinge an Bord kommen oder man den Untergang ihres Boots riskiert. „Die jeweilige Crew trifft die Entscheidung“, sagt Buschheuer. „Und jedes Mal hat sich die Crew gegen die eigene Sicherheit und für das Anbordnehmen entschieden. Das macht mich etwas stolz.“
Jeden Sonnabend soll das Schiff zur Besichtigung offen und Personal vor Ort sein. Zwei Fotoausstellungen sind in Planung, ebenso Vortrags-und Diskussionsabende. Auch an anderen Tagen kann man bei der Bordwache – derzeit Manuela Arthaus – anfragen, ob man an Bord darf. „Wir fangen auch schon an, uns mit den Vereinen und Initiativen im Binnenhafen zu vernetzen“, sagt Michael Buschheuer. „Denn mittelfristig bleiben wir erst einmal hier. Langfristig ist geplant, das Schiff vor den Auswandererhallen an der Ballinstadt auf dem Trockenen auszustellen und in das Konzept des Auswanderermuseums einzubinden. „Aber bis dahin muss noch einiges geschehen und so lange würden wir gerne in Harburg bleiben.“
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