Maschen. Eine unscheinbare, im Gewerbegebiet in Maschen angemietete Halle. Dunkelroter Klinker, über dem Haupteingang ein Name: Multidos. So unspektakulär der Firmensitz wirkt: Mit der Firma arbeitet im Seevetaler-Ortsteil nicht weniger als der bundesweite Marktführer unter den 25 Blisterzentren für Medikamente. Die Experten aus Seevetal versorgen 80 Apotheken mit ihren Verpackungsschläuchen, in denen für Patienten abgezählt der Tabletten-Bedarf zumeist für eine Woche verpackt und in einer Reihe nach den Einnahmeterminen eingeordnet ist. 400 Alten- und Pflegeheime sowie Privatpersonen, zusammen 16.000 Patienten, vertrauen den 50 Mitarbeitern am Hittfelder Kirchweg ihre Gesundheit an – und manchmal sogar ihr Leben.
Die Produktion läuft zumeist in Reinräumen über 1,5 Schichten
Die Produktion am Rande von Maschen läuft von fünf bis 19 Uhr, über 1,5 Schichten. Zumeist in Reinräumen, in denen der höhere Druck Keime draußen hält. 4500 verschiedene Medikamente werden verteilt. Die meisten von ihnen zuvor mühsam aus handelsüblichen Packungen ausgelesen. „Wir würden uns wünschen, dass die Industrie mehr in Dosen und in größeren Stückzahlen verpackt. Das würde uns nicht nur die Arbeit erleichtern, sondern zudem deutlich weniger Müll verursachen“, sagt Multidos-Geschäftsführerin Inge Zöller (42), eine promovierte Apothekerin und diplomierte Wirtschafts-Pharmazeutin.
Der Weg der Tabletten in die durchsichtigen, mit den Patientennamen versehenen Tütchen und Schläuche führt vorbei an Scannern, durch digitale Kontrollen mit Barcodes und zudem unter den geschulten Augen der Belegschaft aus Apothekern, Pharmazeutisch-technischen Assistenten oder Chemikanten. Treten Fehler auf oder ist eine Tablette auch nur leicht angekratzt, wird der Schlauch aus der Produktion gezogen, vorsichtig mit dem Skalpell aufgeschnitten und nachgebessert. „Wir sind da überaus pingelig“, sagt Zöller.
Nur „sachkundige Personen“ dürfen Chargen für den Verkehr freigeben
Das gilt ebenso für die gesetzlichen Vorschriften. Denn rechtlich wird das Umpacken von Medikamenten mit der Herstellung gleichgesetzt. Nur sogenannte „sachkundige Personen“ dürfen Chargen für den Verkehr freigeben. Als solche sind Zöller und der promovierte Apotheker Alexander Schmitz, der mit seiner Frau zudem fünf Apotheken betreibt, zu Multidos gestoßen und inzwischen Gesellschafter.
Gegründet hatten das Unternehmen 2009 vier Apotheker aus dem Hamburger Raum. Sie waren mit der Idee, Heime, Pflegedienste und private Patienten per maschineller Produktion mit Medikamenten zu versorgen, früh auf dem Markt. Denn erst seit 2006 dürfen Blister-Zentren Medikamente bereitstellen. Per Hand zu sortieren wird jedoch immer mehr zu einer schwer zu meisternden Konzentrationsübung. „Das Angebot ist durch Präparate mit gleichen Wirkungen aber unterschiedlichen Namen ohnehin schon unübersichtlich“, erklärt Schmitz. Zudem ändern sich ständig Namen, Verpackungen oder die Farben von Tabletten. Leicht kann es da zu Fehlern kommen.
Der Umsatz ist 2018 auf neun Millionen Euro gestiegen
Kein Wunder, dass vor diesem Hintergrund die Zahl der Kunden für das digital gesteuerte, maschinelle Angebot des Dienstleisters in den vergangenen zehn Jahren stetig gewachsen ist. Ein entscheidender Grund dafür ist die zunehmende Zahl alter und pflegebedürftiger Menschen, die versorgt werden müssen. „Zudem bestehen Ketten und Konzerne, die neue Einrichtungen bauen, häufig auf Qualitätsstandards. Die garantieren wir“, versichert Schmitz.
Von zehn Mitarbeitern im ersten Jahr stieg die Belegschaft in Maschen inzwischen auf 50. Aus weniger als einer Million Euro Umsatz wurden neun Millionen. Geliefert wird über Nacht, um sofort auf Medikamenten-Umstellungen von Ärzten reagieren zu können. Mit dem Anfang Mai eröffneten zweiten Standort in Bad Camberg bei Frankfurt und weiteren 40 Mitarbeitern kann die Reichweite für Lieferungen an Apotheken nun über Norddeutschland ausgeweitet werden.
In den Standort sind mehr als fünf Millionen Euro an Investitionen geflossen
Immer wieder haben sich die Gesellschafter über die Jahre für die Expansion und für neue Investitionen entschieden. Mehr als fünf Millionen Euro sind bislang in den Hauptstandort Maschen geflossen. „Schon deshalb hat es bis 2018 gedauert bis Multidos, Investitionen eingeschlossen, schwarze Zahlen erreicht hat“, weiß Schmitz. „Koordiniert“ soll das Wachstum weiter gehen. „Wir suchen neue Mitarbeiter“, sagt Zöller. „Oftmals haben wir gute Erfahrungen mit Frauen gemacht, die in Pharmaberufen oder als Laborantinnen ausgebildet waren und nach der Elternzeit wieder in den Beruf eingestiegen sind.“
Weniger als 100.000 Patienten werden derzeit mit Tabletten aus Blistern versorgt
Das Potenzial für Medikamente in Blisterschläuchen scheint dabei noch längst nicht ausgereizt. Denn bundesweit versorgen alle Blisterzentren derzeit wohl weniger als 100.000 Patienten. 820.000 Menschen lebten dagegen Ende 2017 allein in Pflegeheimen und diese Zahl dürfte weiter gestiegen sein. „Wenn die Versorgung über Blister deutlich ausgeweitet werden könnte, würde das das Problem Fachkräftemangel in den Einrichtungen entschärfen“, ist der 42-jährige Multidos-Gesellschafter Schmitz sicher. Denn mit der Versorgung durch Blisterschläuchen könnten in den einzelnen Häusern etliche Stunden Arbeitszeit eingespart werden. „Das bringt Zeit für die Pflege, weil die Mitarbeiter von Heimen oder ambulanten Diensten vom mechanischen und zeitaufwendigen Auspacken und Zusammenstellen entlastet werden.“
Verpackungen werden nach dem Gebrauch geschreddert
Diese Arbeiten haben Zöller und Schmitz in die Reinräume bei Multidos verlagert. Ihre Mitarbeiter öffnen die Packungen der 50 meistgenutzten Medikamente zwar noch von Hand. Die Inhalte gelangen dann aber ebenso in kleine Kanister im zentralen Produktionsraum wie die 750 nicht mehr ganz so oft verwandten Sorten. Die Kanister für alle 800 Markenpräparate finden wiederum ihren Platz in derzeit neun von Multidos eingesetzten Maschinen für die Verarbeitung. Sie setzen die Tabletten an der für sie vorgesehenen Stelle in die Verpackung und werfen den Blisterschlauch danach aus.
Für die Packungen der weiteren 3750 nachgefragten Marken gibt es das Karussell im Reinraum. „Unsere Mitarbeiter legen die aussortierten einzelnen Medikamente auf ein Tablett der Produktionsmaschine. Dort werden sie registriert, fallen zu den aus den Kanistern eingelegten Tabletten und werden so dem jeweiligen Blisterschlauch zugeordnet“, erklärt Zöller, die jetzt von außen durch die Scheiben in den Reinraum blickt.
Arbeitsabläufe erinnern an Bilder von Operationen in Krankenhäusern
Drinnen tragen die Multidos-Beschäftigten grüne Kittel und Hauben, dazu Handschuhe und über die gesetzlichen Vorschriften hinaus einen Mundschutz gegen den Staub, der bei Tabletten anfällt. Die Arbeitsabläufe erinnern an Bilder von Operationen in Krankenhäusern – nur die Patienten fehlen.
Jeden Tag verlassen so 3000 Blisterschläuche mit jeweils rund 30 Tütchen mit Medikamenten die Halle in Maschen. Zusammengerechnet ergibt das eine Länge von 7200 Metern. „Unsere Blister sind vor allem aus Zellulose, müssen aber beschichtet und daher fachmännisch entsorgt werden“, räumt Schmitz ein. Doch im Gegenzug wird die Zahl der Tabletten auf die Patienten abgestimmt, so dass keine überzähligen Packungen im Müll landen. Die Blister seien nach seiner Auffassung die ökologisch bessere Lösung.
Aus den Blistern wird schließlich Datenschutzmüll
Weil auf den Blisterfächern die Namen der Patienten stehen, werden sie nach Gebrauch zu Datenschutzmüll. Die Apotheken müssen sie zurücknehmen. Die Schläuche werden von Spezialisten oder in Eigenregie geschreddert. Die zweite Variante gilt für die fünf Apotheken der Familie Schmitz. Die Schnipsel landen dann in einem gelben Abfallsack.
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