Harburg

Kind stirbt – Polizei-Gutachten belastet Supermarkt

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André Zand-Vakili

Tod des vierjährigen Jungen wird Fall für Staatsanwalt. Im Kassenbereich des Harburger Lebensmittelhandels soll Strom geflossen sein.

Hamburg.  Es war kein leichter Fall für die Ermittler der Mordkommission. Es ging um den Tod eines kleinen Jungen. Vier Jahre alt war er, als er Ende Mai zusammenbrach – in einem Supermarkt in der Seevepassage in Harburg. Kurze Zeit später starb das Kind. Die Mordkommission übernahm den Fall, da der Verdacht bestand, der kleine Junge könnte an der Kasse einen Stromschlag erlitten haben. Jetzt gibt es erste Ergebnisse: Es soll tatsächlich Strom im Kassenbereich geflossen sein.

Zu diesem Schluss kommt nach Informationen des Abendblatts ein „abschließendes Gutachten“, das die Ermittler in Auftrag gegeben hatten. Jetzt wird sich die Staatsanwaltschaft mit dem Fall befassen. Der Nachweis, dass Strom geflossen ist, war Dreh- und Angelpunkt der Ermittlungen. Zudem liegen medizinische Gutachten vor.

Es sollen offenbar unfachmännisch durchgeführte Arbeiten gewesen sein, die zur Folge hatten, dass im Bereich einer Kasse Metallteile zeitweise unter Strom gestanden hätten. Für den kleinen Jonathan, der am 31. Mai kurz nach 18 Uhr mit seinem Vater in dem Supermarkt einkaufen war, könnte das nach jetzigem Stand der Ermittlungen fatal gewesen sein. Das Kind brach plötzlich im Bereich einer Kasse zusammen und blieb leblos liegen. Ein kurz darauf alarmierter Notarzt versorgte das Kind, ­holte es ins Leben zurück. Am Abend des 1. Juni verstarb der Junge dennoch im Krankenhaus.

Zunächst war man von einer plötzlichen Erkrankung ausgegangen. Der Vater konnte nicht gleich vom Kriminaldauerdienst, der zu dem Supermarkt ausgerückt war, befragt werden. Später sagte der Vater des toten Jungen aus, dass er an dem Abend, als er an der Kasse angekommen war, seine Lebensmittel auf das Kassenband gelegt habe. Sein Sohn wollte ihm, wie so oft, dabei helfen. Als der Junge um den Einkaufswagen ging, griff er nach einer Stange, die parallel am Gang als Abgrenzung diente. Der Vater sagte bei der Polizei aus, dass die Augen des kleinen Jungen plötzlich weit geöffnet gewesen waren und Jonathan keinen Laut von sich gegeben habe. Er habe dann auch selbst an die Stange gegriffen und dabei ebenfalls einen Stromschlag erlitten, so der Vater.

Die Mordkommission übernahm am 1. Juni den Fall, leitete ein Todesermittlungsverfahren ein und informierte die Staatsanwaltschaft. Am 2. Juni durchsuchte die Polizei den Supermarkt. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss erwirkt. Bei der Aktion wurden auch Bilder aus Überwachungskameras sichergestellt. Bilder, die den Kassenbereich im entscheidenden Moment zeigten, konnte die Polizei jedoch nicht mehr finden.

Verdacht der fahrlässigen Tötung

Jetzt stand nach Angaben der Polizei der Verdacht der fahrlässigen Tötung im Raum. Bei den Ermittlungen nahmen die Behörden gleich mehrere Personen ins Visier. „Es gibt verschiedene Verantwortlichkeiten“, sagte ein Behördenmitarbeiter.

Der Supermarkt in Harburg ist der erste von drei Adese-Märkten, die es mittlerweile in Hamburg gibt. Nach der Eröffnung 2006 wurden weitere Märkte nach dem gleichen Muster in Wilhelmsburg und Nettelnburg eröffnet, die als eigene GmbH zusammengefasst sind. Das Konzept sieht vor, ausländische Lebensmittel anzubieten. Das Sortiment kommt aus rund 40 Ländern.

Die Ermittlungen zogen sich nach der Übernahme des Falls durch die Mordkommission hin. Bei der Obduktion des Vierjährigen sollen zwar bereits Stellen am Körper entdeckt worden sein, die darauf hinwiesen, dass Strom geflossen sein kann. Genauen Aufschluss sollten aber feingewebliche Untersuchungen geben, die Wochen in Anspruch nahmen. Ähnlich umfangreich sollen auch die technischen Gutachten gewesen sein, die durch Sachverständige durchgeführt wurden.

Nach Bekanntwerden des Falls hatte sich auch die Politik mit dem Tod des kleinen Jungen beschäftigt. Durch eine Kleine Anfrage hatte der Bürgerschaftsabgeordnete David Erkalp (CDU) die Rolle des zuständigen Ordnungsamts unter die Lupe nehmen wollen. In der Antwort des Senats wurden die Termine der Lebensmittelkontrollen aufgelistet, die zweimal im Jahr durchgeführt wurden. Danach gab es seit Januar 2013 sieben routinemäßige Überprüfungen, bei denen es in fünf Fällen zu Beanstandungen kam. In vier Fällen gab es Nachkon­trollen. Auch bei der letzten Kontrolle Anfang Mai hatten die Prüfer etwas zu bemängeln. Es ging um Beanstandungen bei der Betriebshygiene. Die Nachkon­trolle, bei der die Beseitigung der Mängel überprüft werden sollte, hatte bis zu dem Vorfall am 31. Mai nicht stattgefunden. Kontrollen, bei denen es um die Überprüfung der eingebauten Technik ging, sind in der Antwort nicht aufgeführt.

Laut Senat hatten die Behörden vor dem 31. Mai auch keine Hinweise auf mögliche technische Mängel in dem Markt erhalten, durch die Kunden einen Stromschlag erlitten hätten. Mittlerweile habe sich, so hieß es aus der Polizei, eine Frau gemeldet, die dort auch einen Stromschlag erlitten haben will.

Die Staatsanwaltschaft wird jetzt die Ermittlungsakte auswerten. Dann wird entschieden, ob und gegen wen Anklage wegen des Todes des kleinen Jonathan erhoben wird.

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