Haus liegt ideal für die Täter. Erhöhter Schutz wirkt nicht. Polizei spricht von Ausnahme

Die ersten beiden Einbrüche kann Birgit Evers noch verkraften. Als die Diebe 2001 eindringen, ist es ein Klassiker. Weder die Sekretärin noch ihr Mann, Kaufmann, beide heute 50 Jahre alt, sind zu Hause. Damals wohnt Birgit Evers noch gar nicht in dem Haus. Ihr Mann übernachtet bei ihr, sie hatten sich gerade erst kennen gelernt. Die Diebe gelangen ins Haus, indem sie die Terrassentür aufhebeln. Sie reißen aus den Schränken, was sie greifen können und nehmen alles mit, was Geld einbringt: Spardose, Kamera, sogar festliche Abendgarderobe.

Zwei Jahre später das zweite Mal. Überrascht stellt Birgit Evers – die eigentlich anders heißt, aber nicht ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen möchte – fest, dass sie und ihr Mann offenbar einen festen Schlaf haben. Die Täter brechen direkt vor dem Schlafzimmerfenster den Audi Coupé auf. Ein altes Fahrzeug, ein Lieblingsstück ihres Mannes. Autoradio weg, CDs weg. Alles der Versicherung nachzuweisen, ist zwar mühselig. „Aber damit konnte ich noch umgehen“, sagt Birgit Evers.

Doch das ist erst der Anfang. Das Einfamilienhaus bietet das, was Ruhesuchende – und Einbrecher – sich nur wünschen können. Es liegt am Ende einer Sackgasse im Landkreis Harburg. Die Autobahnauffahrt ist ganz in der Nähe, so dass man schnell nach Hamburg gelangt. Hinter dem Haus Felder und Wiesen. Hecken machen den Garten schwer einsehbar. Für Birgit Evers war ihr Zuhause so etwas wie eine Burg. Ein Ort, in dem sie sich wohl fühlte. So sehr, dass sie sich immer freute, wenn sie das Haus ganz allein für sich hatte. Ein schöner Rückzugsort, aber eben auch ein Haus mit Idealbedingungen für Einbrecher.

„Es ist nicht unbedingt die Prunkvilla, die die Einbrecher anzieht. Abgelegene Objekte mit hohem Bewuchs sind beliebt“, sagt Jan Krüger, Pressesprecher der Polizeiinspektion Harburg. Der größte Teil der Täter reist aus dem Raum Hamburg über die Autobahnen in den Landkreis und fährt in Wohngebiete mit Einzelhäusern. In der Regel suchen die Täter sich Häuser aus, in denen sich gerade keiner aufhält.

Es geht aber auch anders – wie der dritte Einbruch zeigt. Als die Diebe im Jahr 2006 zuschlagen, ist das Haus der Familie Evers voll belegt. Die drei Kinder – die Tochter, 16, der Sohn, 14, und der jüngste Bruder, damals zwei, schlafen oben, Birgit Evers und ihr Mann unten. Nichts ahnend wacht die Familie am nächsten Morgen auf, ihnen fällt nichts Ungewöhnliches auf. Erst als ihr Mann vergeblich sein Handy sucht, stutzen sie. Dann der Schock: Der Glastisch im Flur, auf dem alle Hausbewohner ihren Kleinkram wie Handy und Schlüssel ablegen, ist leer. Birgit Evers bemerkt das offene Fenster im Treppenflur. Damit ist alles klar.

Diesmal bohrten die Diebe mit einem Holzbohrer ein Loch ins Fenster und entriegelten es mit einem Henkel, den sie von einem Garteneimer abgerissen hatten. Erst nach und nach stellt das Ehepaar fest, was fehlt. Manches wird ihnen Monate später klar. Die Diebe stahlen auch den Schmuck der Kinder aus dem Bad. Das heißt: Sie waren im ganzen Haus und haben offenbar auch in die einzelnen Zimmer geschaut, in denen die Kinder schliefen. „Das war nicht einfach zu verarbeiten“, sagt Birgit Evers. „Was wäre gewesen, wenn der Kleine aufgewacht wäre? Hätten sie ihm etwas angetan?“

Ihr Mann indes versucht, es positiv zu sehen, dass keinem etwas passiert ist. Karl-Heinz Wagner, Leiter der Opferorganisation Weisser Ring im Landkreis Harburg, der sich um die Familie kümmert, kennt das schon. „Frauen leiden unter den Einbrüchen meistens deutlich mehr als Männer“, sagt er. Ihnen wird das meiste genommen. Sie sind es, die in der Regel den Schmuck trugen, der gestohlen wird. Das Schmerzhafte daran: An den Ketten und Ringen hängen Geschichten und Erinnerungen.

Besonders traurig ist Birgit Evers über den Verlust einer Perlenkette. Ein Verlobungsgeschenk, das ihre Großmutter an sie vererbt hat. Jede einzelne Perle hatte der Verlobte, ein Seemann, der Großmutter aus der Südsee mitgebracht. Eigentlich sollte ihre Tochter die Kette einmal erhalten.

Das Diebesgut wieder zurück zu bekommen, ist so gut wie aussichtslos, wenn man nicht von einzelnen Schmuckstücken Fotos angefertigt hat. Birgit Evers will das aber nicht so ohne weiteres hinnehmen. Sie zeichnet. Die Uhr ihres Mannes, die sie ihm wenige Wochen vor dem Einbruch zum Geburtstag geschenkt hat. Den silbernen Ring, den ihr Mann aus der Türkei mitgebracht hat. Es hilft. Ein Polizeibeamter kommt mit einem ganzen Korb voller Diebesbeute zu ihr. Von 80 Teilen soll sie ihre eigenen Dinge identifizieren. Volltreffer. Die Uhr ist darunter. Auch ihre Kamera. Die Diebe waren dumm genug, sich selbst damit zu filmen. So hat die Polizei ein leichtes Spiel. Eine Einbrecherbande fliegt dadurch auf.

Die Familie verschanzt sich danach, so gut es geht. Eisen vor das Fenster, abschließbare Griffe. Etwas zu unternehmen – in den Baumarkt zu gehen, Eisenriegel anzubringen, Fenster und Terrassentür mit Pilzzapfen- und Pilzkopfverriegelung nachzurüsten, fühlt sich gut an für Birgit Evers. Ansonsten: verdrängen.

Acht Jahre ist Ruhe. Bis September 2014. Birgit Evers und ihr Mann gehen aus, kochen mit Freunden und kehren mit ihrem zehnjährigen Sohn gegen 23 Uhr nach Hause zurück. Birgit Evers führt nur noch kurz den Hund aus, bevor sie das Haus betritt. Nur wenige Minuten später läuft ihr schon der Sohn entgegen: „Mama, die haben bei uns eingebrochen.“

In mühseliger Kleinarbeit hatten die Einbrecher alle 15 Pilzköpfe aus der Terrassentür mit einem Kuhfuß gebröckelt, so dass das Holz platzte. „Die muss man richtig herauskrümeln“, sagt Karl-Heinz Langner. Der Mann weiß, wovon er spricht. Er war viele Jahre Chef der Tostedter Polizeistation. Die zerfetzte Terrassentür, die Klamotten auf dem Boden, das Chaos im Haus, die mehrstündige Spurensicherung brennen sich ins Hirn des zehnjährigen Sohnes. I-Pad, Handys, Laptops, Bargeld, Goldschmuck der Tochter, den sie zur Konfirmation bekommen hatte – alles geklaut.

Doch was den Jungen noch mehr schockt, ist die Entdeckung am nächsten Tag. Als sich die Eltern mit ihm zu einem Fußballspiel aufmachen, sieht er achtlos hingeworfene Dinge der Familie auf dem Feld. Die Schmuckschatulle und der Probenkoffer der Schwester, Ikea-Taschen – Dinge, die die Einbrecher nicht zu Geld machen können. „Das war für ihn eine Katastrophe. Es machte ihn fassungslos“, erzählt die Mutter, „dass die einfach die Sachen mitnehmen und dann achtlos aufs Feld schmeißen.“

Und ihr gingen die Worte aus. Wie sollte sie ein solches Verhalten auch ihrem Sohn erklären? Birgit Evers ist eine, die sich nicht so schnell beeindrucken lässt. Wenn sie etwas langweilig findet, nennt sie es „Schwachstrom“, statt schlagen sagt sie „auf den Latz hauen“. Wie eine energische, hartgesottene Frau eben spricht. Doch was drei Wochen nach dem letzten Einbruch passiert, ist selbst für sie zu viel. Zuerst sieht sie die Glassplitter auf dem Boden, dann das Loch im Küchenfenster, als sie mit ihrem Sohn das Haus betritt. Diesmal haben die Täter Pflastersteine aus dem Garten gegen die Fensterscheibe geworfen. Auf einbruchsicheres Glas hatte Birgit Evers verzichtet. Die Polizei hatte erläutert, dass nur ein kleiner Teil der Diebstähle mit Glasbruch verbunden sei. Einbruch Nummer fünf. Wieder sind Laptop, Bargeld und Schmuck weg. Es ist das erste Mal, dass sich Birgit Evers auf die Treppe setzt und weint.

„Eine arg gebeutelte Familie“, sagt Heinz-Walter Johanßon, Präventionsbeauftragter der Polizeiinspektion Harburg. Er betont aber, dass ein fünfmaliger Einbruch die große Ausnahme sei. Gleichwohl räumt er ein: „Es gibt keine Garantie und auch keinen Königsweg. Die Täter gehen überall ran, wo sie schnelle Beute machen können.“ Selbst 30 Euro seien für die Einbrecher schon ein Erfolg, sagt Karl-Heinz Langner vom Weissen Ring. Die Masse machts.

Der Sohn von Birgit Evers muss in psychiatrische Behandlung und verbringt jetzt die Nächte im Bett der Eltern. Er hat Angst, alleine zu Hause zu bleiben. Birgit Evers kann nicht mal mehr alleine zum Einkaufen gehen. Der Vater hat einen Boxsack im Keller aufgehängt, an dem der Sohn seine Wut so richtig auslassen kann. Er ist oft unten im Keller.

Auch Birgit Evers leidet unter schlaflosen Nächten. Magenkrämpfe plagen sie. Mit jedem Einbruch verschwand ein bisschen mehr von ihrer Unbeschwertheit. Heute begegnet Birgit Evers Menschen aus Osteuropa mit Argwohn, weil sie weiß, dass die meisten Einbrecher aus dieser Region stammen. „Ich mag das gar nicht an mir. Es gibt so viele Leute mit Vorurteilen. Das braucht kein Mensch“, sagt sie. Sie ist nicht mehr die Frau, die sie einmal war. Die Unsicherheit dominiert. Für sie steht fest: Sie will das Haus verkaufen.