Der Bundespräsident zeichnet Elisabeth Can am 6. Oktober im Schloss Bellevue mit dem Bundesverdienstkreuz aus

Harburg. Was Elisabeth Can so nebenbei in der Sprechstunde in ihrem Büro im Harburger Phoenix-Viertel von einer aus der Ukraine stammenden Muslimin hört, bringt die Vorsitzende des Migranten Elternbundes Hamburg in Rage. Die Tochter der Muslimin sei von einer Grundschule abgelehnt worden, weil das Mädchen ein Kopftuch trage. Inzwischen besucht die Erstklässlerin eine andere Schule und die Episode gilt für die Mutter als erledigt. Elisabeth Can ist dennoch verärgert: „Das es so was trotz 50 Jahren Migranten in Hamburg gibt“, sagt sie.

Elisabeth Can hilft ehrenamtlich Einwanderern, ihren Platz in Hamburg zu finden. Dabei ist sie nicht nur Fürsprecherin der Migranten, sondern auch Mahnerin. Es sei enttäuschend, sagt die deutsche Muslimin, wenn erwachsene Türken sich nach 20 Jahren in Deutschland immer noch nicht richtig in Deutsch artikulieren könnten. Wie sehr sich die 76 Jahre alte Harburgerin für das Zusammenleben in Hamburg einsetzt, hat jetzt auch das Bundespräsidialamt imponiert: Bundespräsident Joachim Gauck wird Elisabeth Can am 6. Oktober in Berlin mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnen.

Die Einladung ins Schloss Bellevue ist eine besondere Ehre. Der Bundespräsident verleiht zwar den Verdienstorden, händigt ihn aber nur selten persönlich aus. Normalerweise delegiert der Präsident diese Aufgabe an die Bürgermeister und Landräte. Der Tag der Deutschen Einheit, an dem Elisabeth Can nach Berlin eingeladen ist, bildet eine Ausnahme.

Wer sie beim Bundespräsidenten ins Gespräch gebracht hat, weiß Elisabeth Can bis heute nicht. Ob es der Hamburger Innensenator war? Michael Neumann (SPD), vier Jahre als Berufssoldat tätig, hatte zusammen mit ihrem Sohn den Wehrdienst geleistet.

Genauso gut könnte es einer der vielen Menschen gewesen sein, denen Elisabeth Can in ihrer Freizeit geholfen hat. Die frühere Fremdsprachensekretärin, die als Englisch-Dolmetscherin in der Hamburger Wirtschaftsbehörde gearbeitet hat, gibt Migrantenkindern aus dem Nationenschmelztiegel Phoenix-Viertel an fünf Tagen in der Woche Nachhilfeunterricht und findet dabei offenbar die richtige Ansprache: „Warum verstehen Sie uns und nicht unsere Eltern, die viel jünger sind?“ fragen Kinder sie häufiger.

Als Zukunftslotsin hilft Elisabeth Can zudem erwachsenen Migranten bei den deutschen Behörden, damit Neuankömmlinge nicht im Strudel der Bürokratie untergehen. Wie dem Airbus-Mitarbeiter aus Italien, der für seine Tochter eine Schule sucht.

Elisabeth Can weiß, was es bedeutet, als Fremde in ein anderes Land zu kommen. Als junge Deutsche war sie nach Kanada ausgewandert. Später lebte sie zehn Jahre lang mit ihrem Mann, einem Anwalt, in der Türkei. „Türkisch habe ich mir selbst beigebracht“, sagt sie. 1980 kehrte Elisabeth Can nach Harburg zurück. Bereits 1948 war sie in den Stadtteil gekommen, damals aus ihrem Geburtsort Marienburg in Westpreußen.

Zu dem Nachhilfeunterricht für Kinder am Nachmittag ist Deutschunterricht für vietnamesische Frauen am frühen Morgen ab 7.45 Uhr hinzu gekommen. Die Asiatinnen würden meist in Kosmetik-und Nagelstudios bis abends arbeiten und könnten nicht die Volkshochschule besuchen, erklärt Elisabeth Can und springt in die Bresche.

Elisabeth Can hat den deutschen und den türkischen Pass. Damals war das noch erlaubt. Vehement spricht sie sich für die Zweistaatlichkeit aus. Das sei ein Thema bei den Migranten im Phoenix-Viertel. Dafür solle sich die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, mal einsetzen, sagt Elisabeth Can. Vielleicht wird sie das dem dem Bundespräsidenten sagen, sollte sie eine Minute Zeit mit Joachim Gauck erhalten. Die Forderung nach muttersprachlichen Unterricht für Migranten an deutschen Schulen könnte ein anderes Thema sein

Zwei Begleiter darf Elisabeth Can zu der Festveranstaltung im Schloss Bellevue mitnehmen. Joachim Gauck darf sich auf eine türkische und persische Migrantin freuen. Letztere habe 25 Jahre gewartet, bis sie als Flüchtling endlich anerkannt war.