Bei der konstituierenden Fraktionssitzung entscheidet sich nicht nur die Zukunft von Jürgen Heimath

Harburg. Schlechter könnten die Vorzeichen für die konstituierende Sitzung der neuen SPD-Fraktion in der Bezirksversammlung (BV) Harburg am Freitagabend im Sitzungssaal des Sozialen Dienstleistungszentrums an der Knoopstraße kaum stehen. Nicht nur, dass die Sozialdemokraten bei der jüngsten Bezirkswahl einen desaströsen Stimmenverlust von 9,4 Prozent hinnehmen mussten und dadurch sechs ihrer ursprünglich 26 Sitze verloren, was sie zugleich die absolute Mehrheit kostete. Kaum war das offizielle Ergebnis verkündet, da entbrannte hinter den Kulissen der alte Machtkampf mit neuer Intensität.

Jürgen Heimath, der die Fraktion nun seit 13 Jahren führt und bei der Bezirkswahl 2011 mit 20.000 Personenstimmen maßgeblichen Anteil daran hatte, dass die SPD Harburg drei Jahre lang sogar allein regieren durfte, soll plötzlich die Hauptverantwortung für das aktuelle Wahl-Debakel zugewiesen werden – und seinen Posten räumen. Dabei hat der 67-Jährige mit 7559 Stimmen erneut mehr als jeder andere Genosse geholt.

Als neuen starken Mann präsentierte die innerparteiliche Opposition Arend Wiese. Dieser Personalvorschlag sorgte nicht nur in der SPD, auch in den anderen Parteien für Verwunderung. Zwar ist der 52-Jährige Vorsitzender des einflussreichen SPD-Distrikts Neugraben-Fischbek, der sieben Abgeordnete in die neue Bezirksversammlung schickt. Seinen eigenen Wahlkreis 8 gewinnen konnte er aber nicht. Deutliche 732 Stimmen lag er hinter Siegerin Brit-Meike Fischer-Pinz von der CDU, die hier erstmals überhaupt kandidierte.

Kaum verwunderlich, wird Wiese doch wahlweise als „profilloser Hinterbänkler“ oder „Strohpuppe eines mafiösen Zirkels“ wahrgenommen, wie es CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer unlängst markig formulierte. „Durch engagierte und fundierte Redebeiträge in der BV ist er jedenfalls nicht aufgefallen“, sagt selbst ein namhafter Sozialdemokrat, der lieber anonym bleiben will. Wiese selbst ist der Ansicht, „jeder soll nach seiner Qualifikation berücksichtigt werden“, wie er unlängst das Blatt „Der neue Ruf“ wissen ließ.

Dass er „nicht in Lagern“ denke, wie er gern betont, bezweifeln nicht nur viele SPD-Mitglieder. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass sich Wiese dem Lager um den Bundestagsabgeordneten Metin Hakverdi, den bei dieser Bezirkswahl grandios gescheiterten Muammer Kazanci, den früheren Bezirksamtsleiter Michael Ulrich und den Bürgerschaftsabgeordneten Matthias Czech zugehörig fühlt. Letzterer verteidigte Wieses Kandidatur für den Fraktionsvorsitz in einer wütenden Rundmail als „demokratischen Vorgang“, der „der Partei in keinem Fall“ schade. Nur wer sich über diese Kandidatur „abwertend äußere“ schade den eigenen Reihen. Das sehen nicht wenige Genossen gänzlich anders. Und haben Wieses Vorstoß sogar als „Straftat“ gewertet.

Am vergangenen Sonnabend teilte SPD-Kreischef Frank Richter, der sich im Vorfeld der Wahl dieses Amtes selbst einer Kampfkandidatur Czechs ausgesetzt sah, in einer dürren Verlautbarung mit, Wiese werde nun doch nicht gegen Jürgen Heimath antreten, „sondern diesen bei dieser Wahl unterstützen“. Was zum plötzlichen Sinneswandel des Revoluzzers Wiese führte, der noch wenige Tage zuvor von einer sicheren Mehrheit von 12 bis 14 zu vergebenen Stimmen für ihn schwadroniert hatte, teilte Richter nicht mit. Nach Abendblatt-Informationen dürfte aber kurioserweise erheblicher Druck von Parteifreunden aus Wieses eigenem Distrikt eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Unverhohlen sollen ihm etliche Mitglieder jegliche Eignung für den schwierigen Job als Fraktionschef abgesprochen haben. Samt der Drohung, ihn bei nächster Gelegenheit „auf den Boden der Tatsachen“ zurückzuholen.

Umso unverständlicher ist, dass die Kreisleitung sich offenbar bemüßigt sah, Wiese als Belohnung für seinen Rückzug eine „andere leitende Funktion“ anzubieten. So war ernsthaft erwogen worden, ihn als neuen Vorsitzenden der Bezirksversammlung vorzuschlagen. Im Gegenzug sollte der bisherige Amtsinhaber, Manfred Schulz, Vorsitzender des wichtigen Stadtplanungsausschusses werden. Das will er aber nicht. „Ich habe mich ernsthaft mit dieses Rochade beschäftigt“, sagte Schulz dem Abendblatt. „Aus verschiedenen, auch persönlichen Gründen, würde ich aber gern als BV-Vorsitzender weiter machen.“

So scheint momentan sehr viel wahrscheinlicher, dass Wiese als stellvertretender Fraktionsvorsitzender den ausgeschiedenen Süderelbe-Vertreter Heinz Beeken ersetzt, der nicht mehr kandidiert hat.

Keine Entscheidung fällt auf der Sitzung heute Abend ab 18 Uhr dem Vernehmen nach in der Frage, mit wem die SPD-Fraktion Koalitionsverhandlungen aufnehmen soll. Der Kreisvorstand favorisiert zwar nach wie vor die Grünen. Doch es wachse der Anteil von Abgeordneten, die wegen der klareren rechnerischen Mehrheit von dann 34 Mandaten auf eine große Koalition mit der CDU setzen, so ein Insider. Damit hätte die neue SPD-Fraktion dann noch ein Problem mehr.