Demonstration für Toleranz durch die Innenstadt. Bürgerinitiativen, Kirchengemeinden, Gemeinde und Sportvereine setzen sich für Flüchtlinge ein

Tostedt. Tostedt heißt die der Gemeinde zugeteilten Flüchtlinge willkommen. Mit Spruchbändern und unterstützt von Trommeln der Tostedter Gruppe Sambucada zogen am Sonnabend gut 50 Menschen vom Haus der Johannis-Gemeinde zum Rathaus. Dort steht seit dem Wochenende das House of Tolerance, das sechs Männer auf einem Anhänger entlang des Himmelswegs und der Schützenstraße zogen. „Wir sind jetzt bundesweit der einzige Ort, die ein solches Haus hat“, sagte Ulli Graß, der Sprecher des Forums für Zivilcourage, einer Bürgerinitiative, die bereits seit 1998 aktiv ist und sich rechten Hetzern entgegen stellt.

„Unser Haus steht für eine Gesellschaft, die tolerant, solidarisch und vielfältig ist. Es zeigt den Flüchtlingen, hier seid Ihr richtig. Wir stehen für eine weltoffenes Tostedt und sagen allen, die gegen Asylbewerber hetzen: Unsere Stimme wird lauter sein als Eure, weil wir viele sind“, sagte Graß bei einer Kundgebung vor dem Rathaus, an der 80 Menschen teilnahmen. Vom Ruf als „Braunes Dorf in der Nordheide“ will Samtgemeinde-Bürgermeister Dirk Bostelmann nichts mehr wissen. „Auf den Wahlplakaten waren nur kleine Aufkleber gegen Ausländer, die sofort abgezogen wurden. Die Aufkleber kamen von weit her. Es gibt hier keine Einwohner, die sich so geschmacklos betätigen,“ sagt er bei der Kundgebung.

Kein Frage: Die Willkommenskultur aufzubauen, ist trotz des Engagements keine leichte Aufgabe. Derzeit leben in den beiden Containerdörfern am Elsterbogen und am Helferichheim 33 Menschen aus Syrien, Afghanistan, Mali, der Elfenbeinküste und Indien. Die ersten sind seit Anfang Mai hier. Nächste Woche kommen die nächsten. „Wir rechnen mit zehn bis 15 Personen pro Woche“, sagte Kreissprecher Johannes Freudewald. Damit dürften die 116 Plätze innerhalb von Wochen besetzt sein.

Abgesehen von den vielfältigen Aufgaben bei der Begrüßung kam es gleich zu unerwarteten Ärger. Zwei Männer aus den Reihen der Asylbewerber ließen im Supermarkt Waren mitgehen. Obwohl sie erwischt wurden und eine Anzeige kassierten, hielt das sie nicht davon ab, in zwei weiteren Geschäften zu stehlen. In beiden Fällen erfolglos. Dagegen hatten die beiden am Ende des Tages drei Anzeigen am Hals. Ohnehin waren sie beim Landkreis keine Unbekannten. Schon in der Zivildienstschule in Buchholz, wo sie zuvor untergebracht waren, hatte sich aus den mehr als 80 Flüchtlingen eine achtköpfige Gruppe formiert, die in Buchholzer Geschäften auf Diebestour ging. Zuviel kriminelle Energie entschied der Landkreis und entschloss sich, die Gruppe auf verschiedene Einrichtungen aufzuteilen. Eine Strategie, die erfolgreich war – bis auf die Männer in Tostedt haben die anderen inzwischen begriffen, dass ihr Verhalten kontraproduktiv ist.

„Die Bewohner hier haben das Thema nicht hoch gehängt. Die beiden bekommen in den Läden Hausverbot genau wie jeder Deutsche. Damit ist der Fall für uns erledigt“, sagte Bostelmann. „Es gibt überall schwarze Schafe, aber das darf nicht dazu führen, dass Ausländerfeindlichkeit zum Thema wird“, so Freudewald. Zum Vergleich: 2013 wurden im Landkreis insgesamt 400 Ladendiebstähle gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte sehr viel höher sein.

In Tostedt geht es jetzt vor allem darum, die Flüchtlinge zu beschäftigen, soweit dies gesetzlich möglich ist. Dafür kommen gemeinnützige Tätigkeiten in Frage, die sonst nicht ausgeführt würden. Angebote dafür gibt es bereits. So will die Johannesgemeinde einen der Neuankömmlinge Aufgaben anbieten. Beim Todtglüsinger Sportverein, dem größten im Landkreis Harburg, gibt es Arbeit auf dem Freizeitgelände am Baggersee etwa am Beach-Volleyballplatz. Für solche Arbeiten können sich die Flüchtlinge 1,05 Euro pro Stunde dazu verdienen. Dabei dürfen sie maximal 80 Stunden im Monat arbeiten. „Neben der Sprache und dem Sport gehört Arbeit zu den Themen, die für die Menschen hier am wichtigsten sind“, sagte der Andreas Timm, Pastor der Freikirchlichen Gemeinde im Christus Centrum in Tostedt. Zufrieden mit der gesetzlichen Lage ist Bostelmann trotz des jetzt angewendeten Modells nicht. „Die Regelungen sind eine Zumutung für die Flüchtlinge. Wir müssen hier überall versuchen, die Meinungen zu ändern und die Lage zu verbessern.“

Am Sonntag riefen nun Timm und der evangelische Pastor Gerald Meier in ihren Gottesdiensten dazu auf, Fahrräder für die Neubürger zu spenden. „Niemand kann uns zudem daran hindern, bei den Versteigerungen von herrenlosen Fund-Rädern selbst einige zu übernehmen und sie anzubieten“, sagte der Bürgermeister. Reparaturen könnten die Flüchtlinge mit den entsprechenden Ersatzteilen selbst vornehmen. Pastor Meier sucht noch Freiwillige, die beim Aufbau eines Internet-Cafés helfen und lädt für den 19. Juni zu einem weiteren Treffen im Gemeindehaus. Die von vielen Seiten in Tostedt angebotene Hilfe muss koordiniert werden.

Nächster Schritt ist am Montag die Einrichtung eines Fluchtraums für die Schüler des Gymnasiums, der Real- und Hauptschule in Tostedt. Dazu soll im Oberstufenzentrum ein Zelt des weltweiten Flüchtlingshilfswerks UNHCR aufgebaut werden. So soll der Platz für die Menschen und die Ausstattung vorgeführt werden. In dem Raum soll über die Lage der Menschen informieren, die sich entschieden haben, ihre Heimat zu verlassen. Gleichzeitig wird die Lage in Tostedt aufgezeigt. „Wir wollen von Montag auch überall unsere neuen Plakate aufhängen“, so Graß, der am Gymnasium Deutsch und Werte und Normen lehrt. „Willkommen in Tostedt“ lautet die Aufschrift. Ein Motto, das kein leeres Versprechen bleiben wird.