Das Wilhelmsburger Bandonion-Orchester ist eines von zehn seiner Art in Deutschland. Dass der Tango in Mode ist, hilft dem Traditionsensemble

Wilhelmsburg. Die deutsche Erfindung Bandoneon gilt heute im eigenen Land als beinahe vergessene Rarität. Dass es sich um ein Musikinstrument handelt, könnte glatt als 100.000-Euro-Frage in einem Quiz durchgehen. Den Klang aber erkennen beinahe alle Menschen sofort, geht es doch um den Bruder des Akkordeons. Tangotänzern ist das Bandoneon, ursprünglich auch Bandonion genannt, nach wie vor ein Begriff. Vor allem in Buenos Aires und Montevideo gehört es zum Tango wie die stolze Pose und der feurige Blick.

Der Tango ist zurzeit en vogue in Deutschland. Tangoschulen sprießen aus dem Boden. Menschen zelebrieren den Tanz auf öffentlichen Plätzen. „Wir können von der Tangowelle profitieren“, sagt Gerd Kaczmarek, denn mit den Tangoschulen wachse wieder das Interesse an dem Bandoneon. Der 67-Jährige leitet das Wilhelmsburger Bandonion-Orchester Freundschaft-Harmonie, eines von nur noch zehn Orchestern seiner Art in Deutschland. Am Sonntag, 25. Mai, feiert es mit einem Konzert im Bürgerhaus Wilhelmsburg seinen 85. Geburtstag.

Den Bandoneon-Orchestern geht der Nachwuchs aus. Von den 15 Musikern des Wilhelmsburger Bandonion-Orchesters von 1929 spielen lediglich acht das Bandoneon. Die übrigen spielen Akkordeon, und Gerd Kaczmarek zupft den Bass. Der älteste Musiker ist 82 Jahre alt. Mit 44 Jahren ist Nicola Kaczmarek, Enkelin des auf der Elbinsel legendären Orchestermitbegründers Hein Kaczmarek, das Küken in dem Ensemble.

Bandoneonspieler sind so selten, dass sie automatisch die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Annähernd 200, schätzt Gerd Kaczmarek, gibt es noch in Deutschland. „Wer es spielen kann, fällt auf“, sagt Thomas Schmidt. Der 54-Jährige spielt ein besonders schönes Instrument, ein Modell des nicht mehr existierenden Herstellers Alfred Arnold aus dem Jahr 1943. Alfred Arnold ist die Edelmarke unter den Bandoneons und gilt bis heute als unerreicht.

Nicola Kaczmarek hat einen 1936 gebauten „Arnold“ von ihrem Großvater geerbt. Sie hat sich in das Instrument verliebt, als sie bei einem Übungsabend der Tangomusik lauschte. Das Bandoneon spielen zu lernen, gilt als nicht gerade einfach. „Ich habe ein Jahr lang jeden Tag eine halbe Stunde geübt und konnte danach gerade einmal zweieinhalb Stücke“, sagt Nicola Kaczmarek. Ein Grund dafür sei, dass die Tastatur nicht wirklich logisch angeordnet scheint. Tiefe und hohe Töne, anders als etwa beim Klavier, stehen teilweise dicht nebeneinander. Wer knapp daneben greift, spielt elementar falsch.

Vier bis fünf Konzerte spielt das Wilhelmsburger Bandonion-Orchester pro Jahr. Der 90 Jahre alte Hans Meier kennt noch die besseren Zeiten, als es in manchen Stadtteilen mehr Bandoneonvereine als Fußballklubs gab. Das war die Zeit bis 1960, als die Menschen noch zusammen musizierten und das Fernsehen noch keine Konkurrenz um die Freizeit darstellte. Und als Tango, Jazz und Swing noch die gängige Tanzmusik waren und nicht Rock und Pop.

„Nach dem Krieg hatten die Menschen Nachholbedarf, und jeder Verein hat eine Maskerade veranstaltet“, erinnert sich Hans Meier. Die Musik dazu kam vom Bandoneon, dem „Klavier des kleinen Mannes“. Heute moderiert der 90-Jährige die Konzerte des Wilhelmsburger-Orchesters, erzählt Döntjes und sagt die Titel an.

Zu einem ausverkauften Konzert des Wilhelmsburger Bandonion-Orchesters in der damaligen Hamburger Musikhalle (heute: Laeiszhalle) kam das Publikum in Sonderzügen der Straßenbahn. In den 1950er-Jahren besuchten bis zu 800 Leute die Konzerte. Nach einer Krise um 1965 stieg die Popularität wieder: Auftritte im NDR-Radio bei „Sonntakte“ und „Talk op Platt“ folgten. Zusammen mit Jochen Wiegandt (Liederjan) hat das Bandonion Orchester eine Schallplatte aufgenommen.

85 Jahre Wilhelmsburger Bandonion-Orchester, Sonntag, 25. Mai, 15 Uhr, Bürgerhaus Wilhelmsburg, Mengestraße 20, Eintritt: 6 Euro