Die Finkenwerder Umgehung lockt Verkehr aus dem gesamten Niederelberaum ins Alte Land, doch das Straßennetz hält das nicht aus

Mittelnkirchen/Jork. Seit die Finkenwerder Umgehungsstraße fertig ist, verändert sich die Verkehrssituation im Alten Land drastisch: Auf der Umgehung sind mehr Fahrer unterwegs, als vorher in Finkenwerder. Sie ist die Schnellstraße vom Alten Land zum Elbtunnel geworden. Insbesondere im Moment, wo die Baustellen rund um den Elbtunnel lange Staus verursachen, ist es attraktiv, direkt nach Waltershof zu fahren, statt beispielsweise über die A1 und das Buchholzer Dreieck.

Die Querverbindungen im Alten Land achzen unter dem Verkehr. Die Neuenfelder beschweren sich, die Cranzer fordern eine Ampel (Das Abendblatt berichtete) und auch in Mittelnkirchen regen sich jetzt Bürgerproteste. Die Mittelnkirchener erhielten nun Unterstützung durch die, die einst den Stein ins Rollen gebracht hatten: Zwei Mitglieder der Bürgerinitiative, die die Ortsumgehung in Finkenwerder erstritt, brachten den Mittelnkirchenern ihre gelben Schilder, mit denen sie lange das Ortsbild Finkenwerders geprägt hatten.

„Ich wohne seit meiner Geburt hier im Dorf“, sagt Joachim Streckwald. Der 57-jährige Kriminalbeamte erinnert sich noch, dass er als Kind auf der Deichstraße spielen konnte. „Bei Hochzeiten oder Beerdigungen fuhr eine Kutsche vorweg und die Leute gingen hinterher. Die paar Autos, die es damals gab, haben sich geduldet.“

Das ist heute vorbei. Knapp 12.000 Autos fahren täglich durch Mittelnkirchen, ergab die letzte Verkehrszählung im November 2013. Das sind etwa 3000 mehr, als 2010. 2012 wurde die Finkenwerder Umgehungsstraße eröffnet. Mittelnkirchen und die meisten anderen Dörfer der Samtgemeinde Lühe haben das ganz schlechte Los gezogen: Die A26, die den Verkehr von der chronisch überlasteten B73 abzieht, endet in Richtung Osten derzeit in Horneburg. Wer zum Elbtunnel oder in den Hamburger Hafen will, orientiert sich dann nicht mehr in Richtung B73 sondern zum Elbdeich in Richtung Finkenwerder und fährt über Neuenkirchen, Mittelnkirchen, Steinkirchen und Grünendeich dorthin. Etwa 4000 Menschen wohnen an der Strecke.

„Baustofflaster und die unzähligen Mülltransporte aus dem Landkreis Stade zur Müllverbrennung in Hamburg-Altenwerder sind am schlimmsten“, sagt Streckwald. „Da wackelt das Haus und man steht senkrecht im Bett.“

Selbst, wenn die A26 in einigen Monaten bis zur Anschlussstelle Jork fertig gebaut ist, wird dies am Lühedeich keine Entlastung bringen: Der Autobahnabschnitt zwischen Horneburg und Jork soll zunächst nur in Richtung Horneburg befahren werden dürfen. Die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr will es den Jorkern offenbar nicht zumuten, dem Verkehr ausgesetzt zu sein, den die Lühe-Anwohner derzeit auf ihrer Deichstraße haben. Außerdem ist die Anbindung an die B73 von der Anschlussstelle Jork aus mit Problemen verbunden: Anders als bei Horneburg, gibt es in Neukloster keine Ortsumgehung in Richtung Autobahn. Erst 2020, wenn die A26 bis Rübke geht, soll sie auch in Richtung Stade befahren werden dürfen. Von der Anschlussstelle Rübke aus würde sich der Verkehr in Richtung Neuenfelde bewegen, um von dort fast direkt auf die Finkenwerder Umgehung zu kommen. Egal, ob in Mittelnkirchen, Jork oder Neuenfelde: Keine der alten Dorfstraßen ist diesen Verkehren gewachsen. Speziell in den alten milieugeschützten Ortskernen gibt es Engstellen, die für Rückstau sorgen, sobald sich die Anzahl der Fahrzeuge merklich über den Anliegerverkehr hinaus erhöht.

In Mittelnkirchen sitzen Joachim Streckwald, Andrea Christophers und andere Einheimische mit den Finkenwerdern Peter Dierking und Wilhelm Friedrichs zusammen. Die Finkenwerder haben ihre Protestschilder mitgebracht. Fast ein Jahrzehnt lang hatten sie solche Tafeln an ihren Häusern und forderten damit die Ortsumgehung. Für die Mittelnkirchener stellten sie Kontakt zu dem Siebdrucker her, der ihnen die Schilder einst gemacht hatte. Außerdem hatten sie guten Rat für die Mittelnkirchener mitgebracht. „Letztendlich hilft es nur, penetrant zu sein“, sagt Peter Dierking. „Auf dem juristischen Weg alleine hätten wir nichts erreicht. Aber der Wirtschaftssenator wollte sich nicht ständig mit diesem Thema in der Zeitung sehen.“

Nicht nur die Zeitung wird den Senator damals genervt haben. Auch Airbus wurde wahrscheinlich in der Wirtschaftsbehörde vorstellig. Den Finkenwerder Protestlern gegenüber hatten die Flugzeugbauer auf alle Fälle geklagt, dass die Schilder ein schlechtes Licht auf die Firma würfen, vor allem, wenn man mit ausländischen Geschäftspartnern durch den Ort zum Werk führe. „Da haben wir dann auch Schilder auf französisch gemacht“, sagt Dierking. Nur juristisch hätten auch die Mittelnkirchener ein Problem: Von der Obstmarschenweg-Kreuzung in Richtung Elbe ist ihre Ortsdurchfahrt eine Landesstraße. Hier den LKW-Verkehr einzuschränken, ist an rechtlich hohe Hürden gebunden.

Auch die Verbindung von Rübke nach Neuenfelde ist eine Landesstraße, ihre Weiterführung in Richtung Elbe in Hamburg allerdings eine innerörtliche Straße. Die Straße durch Jork ist als Kreisstraße den Landesstraßen nachgeordnet. Der Weg am Elbdeich entlang in Richtung Finkenwerder Umgehung ist ebenfalls nur eine Kreisstraße und man merkt ihr jetzt schon an, dass sie dem Verkehr in Richtung Hamburg auf Dauer nicht gewachsen sein wird. An vielen Stellen zeigt sich die hohe Beanspruchung. In Spitzenzeiten ist der Verkehr so dicht, dass Anwohner Schwierigkeiten haben, über die Straße zu kommen. In Cranz verlangen die Bürger deshalb schon eine Fußgängerampel.

In Mittelnkirchen bringen Joachim Streckwald und seine Mitstreiter nun erst einmal die Schilder an den Häusern an. Und sie machen auch anders auf sich aufmerksam: „Die Leute sollen merken, dass wir uns für unseren schönen Ort einsetzen“, sagt Streckwald. „Deshalb putzen wir jetzt einmal die Woche alle gleichzeitig nachmittags unsere Höfe. Dafür müssen wir die Traktoren und Autos natürlich vom Hof bringen und an der Straße abstellen. Der Nebeneffekt des aufgeräumten Hofes ist dann, dass der Verkehr etwas ausgebremst wird.“ Ausgebremst wird der Verkehr entlang der Elbe zur Finkenwerder Ortsumgehung demnächst ohnehin: Die Hamburg Port Authority plant, den Elbdeich zu erhöhen. Dafür muss er auch verbreitert werden. In diesem Zusammenhang wird die Straße am Cranzer Hauptdeich neu geplant und möglicherweise ganz neu angelegt. Dann stauen sich Autos und Laster wieder auf dem Obstmarschenweg.