Ein großer Betrieb hat auch Vorteile, finden die Aldags aus Wennerstorf. Die Landwirte produzieren Ferkel für die Mast

Wennerstorf. Der Weg zu den Schweinen endet zunächst in der Dusche. Carmen Aldag öffnet die Badezimmertür, zeigt auf Shampoo, Handtuch und die frische Wäsche im Regal. „Da muss jeder durch“, sagt die 37-Jährige und schickt ein freundliches, aber bestimmtes Lächeln hinterher. Widerstand zwecklos. Ihr Mann Jens und sie haben sich für größtmögliche Hygiene im Stall entschieden, und dazu gehört eben auch, dass Besucher nicht einfach so hineinstapfen dürfen, sondern nur frisch geduscht und speziell gekleidet. Das Ehepaar selbst ist davon nicht ausgenommen, einmal vor und einmal nach ihrem Gang in den Stall brausen sie sich ab – wobei die Dusche hinterher eher freiwillig ist, der Geruch der Tiere erübrigt jede Frage nach dem Warum.

Das Ehepaar aus Wennerstorf in der Samtgemeinde Hollenstedt ist in einer Branche tätig, die den eher unschönen Namen Ferkelproduktion trägt. Auch an ihnen ist die allgemeine Abneigung der Bevölkerung gegen diese Art der Landwirtschaft nicht spurlos vorübergegangen. Der Fall der Familie Becker aus Buchholz-Meilsen, die einen Schweinemaststall für 1000 Tiere bauen wollte, den Gegenwind der Nachbarschaft zu spüren bekam, und letztlich am Veto des Landkreises scheiterte, ist nur das jüngste Beispiel. Aber ist die Ferkelproduktion tatsächlich gleichbedeutend mit Industrie, kaltem Stahl und wenig Tierliebe? Und ist das Negativ-Image, das an der Landwirtschaft klebt und nur vor Ökobetrieben haltzumachen scheint, wirklich berechtigt?

Wer mit den Aldags über ihre Arbeit sprechen will, stößt deshalb zuallererst auf die Sorge, missverstanden zu werden. Und so ist eine Geschichte über ihren Hof für sie in erster Linie eine Geschichte der Rechtfertigungen und Erklärungen, die immer wieder auf zwei Kernfragen zurückkommt: Wo liegt die Grenze zwischen konventioneller Landwirtschaft und Massentierhaltung? Und wie geht es den Tieren in welcher Produktionsform wirklich? Für das Ehepaar ist klar, dass ihr Betrieb, in dem Sauen regelmäßig Ferkel zur Welt bringen, die im Alter von drei Monaten an Schweinemastbetriebe weiterverkauft werden, nicht zur Massentierhaltung zählt. Außerdem habe die Größe eines Stalls bis zu einem gewissen Grad viele Vorteile, sagt Jens Aldag. „Wenn die Sau mit ihren Ferkeln in einer Box liegt und neben ihr liegen 200 weitere Tiere, merkt sie das gar nicht.“ Wichtig sei nur, wie die Tiere gehalten und gepflegt werden.

Im Stall der Aldags leben 700 Sauen auf insgesamt 2500 Quadratmetern. Darunter sind etwa 70 Tiere, die alle 14 Tage „abferkeln“, wie das Gebären in der Fachsprache bezeichnet wird. Die Entscheidung, auf Schweine umzusteigen, fiel im Jahr 1998. Der ausgebildete Landwirt Jens, heute 38, und seine Frau Carmen, gelernte Steuerfachangestellte, fingen damals mit zehn Sauen in Außenhaltung an, um so den Hof in die Zukunft zu führen, der seit 1847 in Aldagscher Hand liegt. Zuvor hatte sich die Familie eher auf Ackerbau konzentriert, den sie auch heute noch auf 150 Hektar betreibt.

„Die Schweine draußen zu halten war für uns finanziell das einfachste und auch zum Lernen sehr gut“, sagt Carmen Aldag. Auf einer zehn Hektar großen Weide stockten sie ihren Bestand bis zum Jahr 2008 kontinuierlich auf 200 Sauen auf. Für jede Sau und ihre zehn bis zwölf Ferkel stand ein 500-Quadratmeter-Areal inklusive eigener Hütte zur Verfügung, in die sie sich im Winter oder bei Hitze zurückziehen konnte. Was sich für Außenstehende vielleicht nach purer Schweine-Idylle unter blauem Himmel anhört, hatte jedoch viele Nachteile.

Zum einen war die Arbeit für die Aldags körperlich sehr anstrengend. Jeden Tag mussten sie die riesige Weide ablaufen, um nach ihren Schützlingen zu sehen. Da kamen so einige Kilometer zusammen. Zum anderen ging es den Tieren selbst nicht unbedingt besser als in einem Stall. Im Winter machte ihnen die Kälte zu schaffen, also suchten sie Schutz in der Hütte. Im Sommer machte ihnen die Hitze zu schaffen, wieder war es die Hütte, die Schutz bot. Das Gleiche bei Regen, der für die kleinen Ferkel mit der Gefahr des Verklammens einherging. Unterm Strich bewegten sich die Tiere, die generell eher träge sind, in der Außenhaltung fast genauso wenig wie im Stall.

Zudem gab es ein weiteres Problem. Bei der Außenhaltung bestand permanent die Gefahr, dass sich die Sau versehentlich auf ihren Nachwuchs setzt, was in einem Stall durch den sogenannten Ferkelschutzkorb verhindert wird. „Der Verlust an Tieren war viel größer“, fasst Carmen Aldag zusammen. Ihnen fiel es somit nicht schwer, im Jahr 2007 mit dem Bau ihres Schweinestalls zu beginnen. Aufgeteilt auf drei Bereiche, durchlaufen die Tiere jetzt bei konstanten 21 Grad Celsius die unterschiedlichen Stufen der Ferkelproduktion und können im Sommer per Wasserdüse eine leichte Kühlung erhalten. Denn vor allem Hitze bereitet den Schweinen puren Stress.

Ein Zurück zur Außenhaltung käme für Carmen Aldag niemals in Frage. „Man würde ja auch nicht von der Spülmaschine wieder auf Handwäsche umsteigen“, stellt sie einen Vergleich auf, der vor allem die praktische Seite berücksichtigt. Selbst für das Wohl der Tiere, so die Überzeugung ihres Mannes, brächte dieser Schritt keinen Wandel zum Positiven. „Im Stall können wir uns viel intensiver um sie kümmern.“ Auch abends um 22 Uhr fährt einer von ihnen noch los, um im Notfall nach den Sauen und Ferkeln zu sehen. Fünf Angestellte in Voll- und Teilzeit, darunter eine Auszubildende, gehören zum Team. Die Ganztagsbetreuung, die die Aldags ihren Tieren geben, ist aber nur möglich, sprich: wirtschaftlich, weil der Bestand mit 700 Sauen relativ hoch ist und sie sich voll auf die Tiere konzentrieren können.

Das Ehepaar sieht sich als ganz normale Landwirte, die in engem Kontakt zu ihren Tieren stehen. „Bei Außenstehenden herrscht eine große Unwissenheit über die Verhältnisse in der Landwirtschaft“, sagt Carmen Aldag. Nach ihrer Erfahrung seien beispielsweise die Tiere in Außenhaltung keinesfalls gesünder als die in Stallhaltung. Im Stall gebe es eventuell sogar mehr Möglichkeiten, sie vor Krankheiten wie die Schweinepest zu schützen.

Die Größe des Schweinebestands hat außerdem den Vorteil, dass die Aldags den Abnehmern ihrer Ferkel – bei ihnen sind das fünf Mastbetriebe in der Region, mit denen sie seit Jahren zusammenarbeiten – auf einen Schlag 500 Ferkel liefern können. Ein 1000-Tiere-Maststall kann somit in zwei Durchgängen versorgt werden. „Wenn wir weniger Tiere hätten, müsste der Bauer Ferkel aus anderen Beständen dazukaufen“, sagt Jens Aldag. Dieser Mix wiederum birgt die Gefahr, dass die Tiere anfälliger für Krankheiten werden als wenn sie aus einem einzigen Stall stammen.

Vielleicht ist es die Gewissheit, dass sie ihre Tiere gut behandeln, die der Landwirtsfamilie wenig Anlass für einen sorgenvollen Blick in die Zukunft gibt. „Ich gehe davon aus, dass wir unseren Betrieb auch in 20 Jahren noch so führen können“, sagt er. Seinen drei Kindern im Alter von vier bis elf Jahren würde er dennoch nicht bedingungslos raten, den Betrieb zu übernehmen und die Familientradition fortzuführen. „Das müssen sie selbst sehen.“ Er könnte es aber verstehen, wenn sie sich dagegen entscheiden.

In unserer morgigen Ausgabe stellen wir den ökologischen Betrieb Arpshof in Dierstorf vor