Bei der Bezirkswahl kandidiert die zweifache Uroma Wilma Stöterau für die FDP. Sprechen kann man die Dame nicht

Hausbruch. Legt man aktuelle hamburgweite Meinungsumfragen eins zu eins auf Harburg um, wird es die FDP nicht in die nächste Bezirksversammlung schaffen. Die letzte Umfrage ist allerdings sechs Wochen alt, Harburg war schon immer anders als Hamburg und bis zur Bezirkswahl vergehen noch rund zwei Monate. Schafft die FDP dann ein Ergebnis über 19 Prozent, ziehen alle zehn Kandidaten ihrer Bezirksliste in die Bezirksversammlung ein. Dann wäre eine Familie mit drei Generationen im Harburger Rathaus vertreten: Sohn Immo von Eitzen, Vater Helmut von Eitzen und dessen Schwiegermutter Wilma Stöterau. Das wäre nicht nur vom Wahlergebnis her eine Sensation: Wilma Stöterau ist vor etwa zwei Wochen 100 Jahre alt geworden.

Bei der Aufstellung der Bezirkskandidatenliste am 17. Januar wählte die Harburger FDP Wilma Stöterau auf Platz 10. Mehr Kandidaten gibt es auf der Liste nicht. Wilma Stöterau war bei der Wahlversammlung nicht anwesend. Die jüngeren Familienmitglieder auf der Liste erklärten die Kandidatur der alten Dame und ihr Einverständnis.

Wilma Stöterau hatte bereits bei der Wahl 2008 für die FDP kandidiert. Schon damals war das Medieninteresse groß. Reporter aus Nah und Fern interviewten die 93-jährige. „Ich kandidiere, weil ich alt bin – und viel weiß. Da hab ich gedacht, ich könnte mal ein bisschen nachhelfen“, sagte sie einem der Interviewer. Lebenserfahrung bringt Wilma Stöterau in der Tat ein: Die zweifache Urgroßmutter war in der Baubranche und im Einzelhandel berufstätig, spielte Handball, betrieb Leichtathletik und setzte sich aktiv für den Erhalt der niederdeutschen Sprache ein. In die Politik ging sie allerdings erst vor wenigen Jahren. Enkel Immo hatte sie überzeugt, in die FDP einzutreten. Nach der Kandidatur 2008 pausierte sie bei der Wahl 2011, um jetzt wieder anzutreten.

Wer vor dieser Wahl allerdings ein Interview mit Wilma Stöterau wünscht, wünscht lange. Wilma Stöterau ist nicht zu fassen. Schon mit ihr in Kontakt zu kommen, ist schier unmöglich. Die Harburger FDP gibt ihre Telefonnummer nicht heraus und verweist auf Immo von Eitzen. Den wiederum erreicht man hauptsächlich über den Anrufbeantworter seines Mobiltelefons. Rückrufbitten bezüglich seiner Großmutter ignoriert er hartnäckig. Erst bei seinem Vater Helmut von Eitzen hat man etwas mehr Glück. Der allerdings gibt die Nummer seiner Schwiegermutter weder heraus, noch eine Rückrufbitte weiter: Er verweist an seine Frau Dörte, Wilma Stöteraus Tochter.

Die spricht für ihre Mutter. Nein, im Moment könne die Kandidatin nicht selbst mit der Presse sprechen, sagt Dörte von Eitzen. Manchmal sei sie dazu in der Lage, jetzt aber nicht. Überhaupt wäre es doch viel bequemer, man würde die Fragen per E-Mail einreichen, dann könne sie diese mit ihrer Mutter besprechen und die Antworten zurückmailen. Das hätten andere Zeitungen auch schon gemacht. Das klingt aber nicht nach einer souveränen Kommunalpolitikerin. „Der Gesundheitszustand meiner Mutter lässt lange Gespräche nicht immer zu“, sagt Dörte von Eitzen, „aber wenn sie gewählt wird, dann bekommt sie das hin. Sie hat ein hervorragendes Langzeitgedächtnis und erinnert sich an so viele Dinge von früher, dass sie die Politik bereichern kann.“

Die Frage, wie es bei dem hervorragenden Langzeitgedächtnis um das Kurzzeitgedächtnis bestellt ist, erreicht Frau von Eitzen daraufhin per E-Mail. Wie sie es erbat, erhält sie einen ganzen Fragenkatalog. Die Fragen betreffen Wilma Stöteraus politischen Lebenslauf, zum Beispiel Aktivitäten oder Parteiämter seit ihrem Eintritt in die FDP. Sie betreffen aber auch die Vereinbarkeit von Gesundheitszustand und Kommunalpolitik. Dörte von Eitzens Antwort: Rund um den 100. Geburtstag herum würde sie diese Fragen nicht mit Wilma Stöterau besprechen können. Es herrsche zuviel Hektik und Aufregung. Außerdem werde sie nunmehr eine Woche lang ihren Computer abbauen um Platz für die Feierlichkeiten zu schaffen. Über drei Wochen nach diesem Schreiben herrscht allerdings immer noch Funkstille.

Noch hat die FDP ihre Kandidatenliste nicht bei Bezirkswahlleiter Dierk Trispel eingereicht. Der würde wegen des Alters auch gar nicht nachfragen: „Das wäre ja sonst diskriminierend. Wir überprüfen, ob Kandidaten juristisch wählbar sind und ob sie eine Einverständniserklärung für ihre Kandidatur unterzeichnet haben. Damit ist ein Wahlvorschlag dann gültig“, sagt er. Und wenn die FDP mehr als 19 Prozent der Stimmen erhält, ist Wilma Stöterau Harburgs älteste Abgeordnete. Was wohl ihr erster Redebeitrag sein wird?