Die Polizei setzt auf Prävention – und appeliert an den „gesunden Menschenverstand“

Für immer mehr Menschen gehört das Internet zum Alltag, ob beruflich oder in der Freizeit. Doch längst tummeln sich dort auch jede Menge Kriminelle. Die fischen persönliche Daten ab, um sie zu Diebstahl und Betrug zu nutzen. Opfer sind immer öfter auch Kinder, wenn sie sich unkontrolliert im Netz bewegen. Ein Mann, der Straftaten im World Wide Web nachspürt, ist Kriminalhauptkommissar Carsten Bünger. Das Abendblatt sprach mit ihm über Cybercrime und Cybermobbing, die Gefahren beim Nutzen sozialer Netzwerke und wie sich Jeder selbst besser schützen kann.

Hamburger Abendblatt:

Nutzen Sie selbst eigentlich noch unbefangen das Internet?

Carsten Bünger:

Klar, es ist ja ein unverzichtbares Medium, ich verteufel es keinesfalls. Wie beim Straßenverkehr sollte man sich allerdings auch hier an Sicherheitsregeln halten. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es aber auch im Internet nicht.

Welche Arten von Kriminalität im Internet gibt es überhaupt?

Bünger:

Wir unterscheiden zwischen Cybercrime und Cybermobbing. Zu Ersterem zählt alles, was mit Online-Betrug oder Datenklau durch Phishing zu tun hat. Zu Letzterem rechnen wir Beleidigungen, üble Nachrede oder Bedrohungen im Internet. Cybermobbing selbst ist allerdings kein eigener Straftatbestand.

Wie sehen da die Zahlen aus?

Bünger:

In Niedersachsen gab es im Jahr 2012 insgesamt 31.217 Straftaten mit dem Merkmal „Tatmittel Internet“, das sind 5,6 Prozent der Gesamtstraftaten. Im Jahr 2006 waren es noch 14.935 Fälle und 2,47 Prozent. In ganz Deutschland wie in Niedersachsen sind rund 80 Prozent der Delikte im Internet Betrugsdelikte. Was Cybermobbing angeht, haben wir kaum Zahlen. Es gibt dort eine große Dunkelziffer, weil sich viele Opfer schämen und die Fälle nicht anzeigen.

Was sind denn die größten Sicherheitsfehler, die man mit Blick auf Internetbetrug machen kann?

Bünger:

Bei Privatverkäufen können wir nur raten, sich ein gesundes Misstrauen zu bewahren. Wenn etwas sehr günstig ist, sollte man sich fragen, warum das so ist, wie die Bewertungen für den Verkäufer ausfallen und ob sie glaubwürdig sind. Als Kunde sollte man außerdem bedenken, dass man sich der Hehlerei strafbar machen kann. Und dass man nicht auf angebliche Mails von Banken antworten soll, sollte eigentlich mittlerweile jeder wissen. Banken verschicken nie derartige Mails.

Und was raten Sie Eltern, wenn ihre minderjährigen Kinder im Internet bei sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder WhatsApp unterwegs sind?

Bünger:

Da können wir als Polizei nur an den klassischen Datenschutz erinnern. Wenn man sich bei Facebook anmelden will, sind viele Daten wie Adresse oder Telefonnummer gar nicht nötig. Wir weisen außerdem darauf hin, dass insbesondere das Hochladen von privaten Bildern eine Gefahr darstellen kann. Wir hatten erst in den vergangenen Wochen drei, vier Fälle, bei denen Nacktfotos von 13- bis 15-jährigen Mädchen herumgeschickt wurden. In einem Fall hatte ein junger Mann sein Handy an einen Kumpel verliehen und auf dem Handy war ein Nacktfoto seiner Freundin. Dieses Foto hat der Kumpel ohne das Wissen des jungen Mannes weiter verbreitet. Für uns als Polizei gibt es dann leider überhaupt keine Möglichkeit, das Foto wieder aus dem Netz zu bekommen.

Heißt das, Eltern sollten ihren Kindern am besten gar kein eigenes Smartphone erlauben?

Bünger:

Mit Verboten wird man meines Wissens nicht viel bewirken. Vielmehr sollten Eltern ihre Kinder schon vor der Pubertät über mögliche Gefahren aufklären und einen Überblick darüber behalten, was sie im Internet tun.

Ab welchem Alter sollte ein Kind denn ein eigenes Smartphone besitzen?

Bünger:

Das ist schwierig,. Vieles entscheidet sich über den Freundeskreis und die Schulklasse. Wenn alle ein Smartphone haben und Nachrichten austauschen, aber ein Kind ist da außen vor, kann das problematisch sein. Viele Kinder werden heute ja schon in der vierten Klasse von ihren Eltern mit Smartphones ausgestattet, das ist meiner Meinung nach sehr früh. Generell kann man aber sagen, dass die Medienprävention mit der Alkoholprävention vergleichbar ist. Kinder sollten rechtzeitig den Umgang damit lernen.

Welche Rolle können Sie als Beauftragter für Jugendsachen dabei spielen?

Bünger:

Wir werden präventiv tätig. Aber das Problem ist, dass man Prävention nur schwer messen kann. Sie ist ein langwieriger Prozess, deren Ergebnisse sich erst später zeigen. Dass Prävention wirkt, sieht man aber am Beispiel Alkohol und Rauchen, wo die Zahlen bei Jugendlichen sinken. Wir als Polizei sind aber nur ein Teil dieses Präventionsprozesses. Dazu gehören im Landkreis noch der Kinderschutzbund, die Reso-Fabrik und die Schulen. Allein könnten wir nicht viel ausrichten.

Wurden die Gefahren, die das Internet birgt, zu lange unterschätzt?

Bünger:

Das glaube ich nicht. Vieles hat sich ja tatsächlich erst in den vergangenen Jahren entwickelt. Noch Anfang der 2000er-Jahre war es mit den alten Modems zum Beispiel gar nicht möglich, so schnell und unkompliziert wie heute Videos hochzuladen. Auch der Onlinehandel existierte in der heutigen Form noch nicht. Der Fortschritt ist gewaltig und wir müssen darauf immer wieder reagieren.

Glauben Sie, dass man mit härteren Strafen für Täter eine bessere Sicherheit im Internet durchsetzen könnte?

Bünger:

Für uns steht die Opferseite im Vordergrund, oder anders gesagt: Wir wollen Leute davor schützen, überhaupt Opfer zu werden. Das geht eigentlich am besten, indem wir immer wieder an ihren gesunden Menschenverstand appellieren, mit der Herausgabe von privaten Daten – ob Fotos, Adressen oder Bankdaten – vorsichtig zu sein. Gerade bei Jugendlichen, die andere zum Beispiel im Internet mobben, sollten wir verstärkt auf erzieherische Maßnahmen und nicht auf Strafen setzen. Auch die oftmals große Gruppe der Unbeteiligten, die zwar weiß, dass jemand einen anderen mobbt, aber nicht eingreift, wollen wir erreichen. Das hat viel mit Zivilcourage zu tun.