Nelson-Mandela-Schule hat es beim Deutschen Schulpreis unter die 20 Besten geschafft. Lernklima beeindruckt Jury

Kirchdorf . Aus 50 Nationen stammen die 1100 Jungen und Mädchen an der Nelson-Mandela-Schule in Hamburg-Kirchdorf. Mehr als 800 von ihnen haben eine andere Muttersprache als Deutsch. Und Kirchdorf, vor allem die Hochhaussiedlung für 6000 Menschen im Süden des Ortsteils, gilt nicht gerade als Diplomatenviertel. „Wir sind zur Vielfalt verdammt“, sagt der didaktische Leiter der Schule, Markus Stobrawe, „und wir haben das Urteil angenommen.“

Wie besonders die Nelson-Mandela- Schule in dem Kulturenschmelztiegel wirkt und Jugendliche mit schwierigen Startbedingungen erfolgreich in die Spur bringt, ist auch den Juroren des Deutschen Schulpreises nicht entgangen. Die Jury hat die Stadtteilschule mit gymnasialer Oberstufe in diesem Jahr zu den 20 besten Schulen in Deutschland nominiert. Damit rücke die noch junge Schulform der Stadtteilschule in den bundesweiten Fokus, sagt Schulleiter Bodo Giese. Die Stadtteilschule ist eine Hamburger Erfindung und ersetzt seit 2010 Hauptschule, Realschule und Gesamtschule. Der deutsche Schulpreis ist nicht irgendeine Auszeichnung. Er ist der größte und mit insgesamt 243.000 Euro höchst dotierte Preis seiner Art in Deutschland. Der Sieger allein erhält 100.000 Euro.

Kirchdorf-Süd auf der Elbinsel Wilhelmsburg: vielleicht kein sozialer Brennpunkt mehr, aber sicher nicht gerade das, was man einen privilegierten Stadtteil nennt. Seine Schüler hätten schlechtere Stadtbedingungen als in den meisten anderen Stadtteilen, sagt Bodo Giese. Was die Nelson-Mandela- Schule so besonders mache, erklärt er so: „Wir sehen die Vielfalt als Schatz an.“ Der Namensgeber, der weltberühmte Anti-Apartheid-Kämpfer Nelson Mandela, könnte nicht passender gewählt sein.

Wie die Stadtteilschule in Kirchdorf mit einem Bündel aus bildenden, pädagogischen und sozialen Angeboten für 1100 Jungen und Mädchen aus 50 Nationen ein lernförderndes Klima schafft, das dürfte die Jury des Deutschen Schulpreises neugierig gemacht haben. Aus 116 Bewerbern hatten zunächst pädagogische Experten der Robert- Bosch-Stiftung eine Vorauswahl mit 50 Kandidaten ausgewählt. Davon wurden noch einmal 30 gestrichen. Jurys besuchen bis März die verbliebenen 20 Kandidaten. Zwei Tage lang beobachteten Bildungsexperten aus Potsdam, Bremen, Stuttgart und Sachsen den Alltag an der Nelson-Mandela- Schule. Sie bewerten die sechs Kriterien Leistung, Umgang mit Vielfalt, Unterrichtsqualität, Verantwortung, Schulleben und Schule als lernende Institution. So haben die Juroren beobachtet, wie in Kirchdorf 16 und 17 Jahre alte Schüler, die ohne Deutschkenntnisse in das Land gekommen waren, in den internationalen Vorbereitungsklassen innerhalb von zwei Jahren für den Eintritt in die gymnasiale Oberstufe vorbereitet werden. Sie haben erfahren, dass Türkisch in Kirchdorf schriftliches Abiturprüfungsfach sein kann. Die Nelson- Mandela-Schule hat ein Profil mit den eigenwilligen Namen „Hadi-Tschüß – Deutschtürken bilden Brücken“ geschaffen, das die Sprachenvielfalt identitätsstiftend hervorhebt.

Teams aus Lehrern, Erziehern, Sonderpädagogen und Sozialpädagogen entwickeln neue Lernangebote. Die Juroren dürfte interessiert haben, wie besonders sprachinteressierte Jungen und Mädchen in Kirchdorf in allen Fächern mit Ausnahme des Faches Deutsch in Englisch unterrichtet werden. Das gemeinsame Projekt zur „Verkehrssprache Englisch“ mit der benachbarten Grundschule ist in Hamburg einzigartig.

Viele Jungen und Mädchen an der Nelson-Mandela-Schule stammen aus schwierigen Verhältnissen. Beinahe jeder Lehrer und Erzieher an der Schule kann Geschichten erzählen, die weit über die bloße Lernvermittlung hinausgehen. Wie die von dem Hausbesuch bei einer Mutter, die verzweifelt war, weil sie fürchtete, ihr würde der Sohn weggenommen. Und wie der Junge schließlich auf Initiative der Schule in psychosoziale Behandlung kam und wieder in die Spur zurückfand. Schulleiter Giese ist überzeugt, dass sein Kollegium mehr Aufwand investiere als anderswo, die Schüler nicht nur beim Lernen, sondern auch beim Leben zu begleiten. Bevor die Jury nicht alle 20 Kandidaten inspiziert hat, gibt sie sich bedeckt. Malte Gregorzewski von der Robert-Bosch- Stiftung verrät aber, was ihm bei dem Besuch der Nelson-Mandela-Schule beeindruckte: „Die wertschätzende Art der Schüler untereinander und den Lehrern gegenüber“, sagt er. Am 28. März wird Gregorzewski den Schulleiter anrufen und mitteilen, ob es die Nelson- Mandela-Schule unter die besten 15 Schulen Deutschlands geschafft hat und nach Berlin fahren darf. Bodo Giese: „Ich sitze ab 7.40 Uhr im Büro!“