Interview: In 50 Jahren wird es im Landkreis Harburg keine Ackerflächen mehr geben, sagt Werner Maß vom Landvolk Niedersachsen

Winsen. Einfamilienhäuser statt einheimischer Hokkaido-Kürbisse, Straßen statt Spitzkohl, Büsche statt Bete. Der Flächenfraß hat auch in der Region südlich Hamburg längst begonnen. Die Regionalredaktion Harburg des Hamburger Abendblatts spricht darüber mit Werner Maß, Geschäftsführer des Kreisverbands Lüneburger Heide im Landvolk Niedersachsen, besser bekannt als Bauernverband. Sein Fazit: „Land ist nicht vermehrbar.“

Hamburger Abendblatt:

Herr Maß, in Stove kämpft gerade der Bauer Dirk Meyer mit Unterschriften gegen ein geplantes Neubaugebiet auf dem Acker, den er gepachtet hat. Wie stehen seine Chancen für die Zukunft?

Werner Maß:

Ein Pächter hat immer schlechte Karten. Er bekommt nur schwer neue Flächen, und wenn, zu deutlich höheren Preisen. Der Pachtmarkt ist sehr sensibel geworden. Maisflächen für Biogas und Sonderkulturen wie Salat, Erdbeeren und Weihnachtsbäume, aber auch Gartenanbaubetriebe benötigen Fläche. Jeder Landwirt ist heute bestrebt zu wachsen. Ackerland wird zunehmend knapp.

Wer sind die größten Vertilger des ländlichen Kuchens?

Maß:

Ganz vorne stehen die Naturschutzmaßnahmen als Kompensationsmaßnahmen für Versiegelungen durch Wohnbau- und Gewerbeland, dahinter natürlich auch Straßen. Für einen Quadratmeter Straße müssen Sie aber mit ungefähr fünf Quadratmetern Ausgleichsfläche rechnen, auf der nur Büsche und Hecken wachsen. In der Regel sind es Ackerflächen, die dafür genutzt werden. Ausgleichsflächen gehen stets zu Lasten der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Der Bauernverband hat dafür die Kampagne „Stoppt Landfraß“ gestartet.

Wo bleiben die Ausgleichsflächen für die Landwirte?

Maß:

Die gibt es nicht. Ist eine Fläche erst mal bebaut, ist sie für die Landwirtschaft verloren. Die sprießt nicht woanders wieder empor. Land ist nicht vermehrbar.

Welche Auswirkungen hat das auf die Preise?

Maß:

Sie sind in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen als zwischen 1970 und 1990, sowohl was die Pachtflächen angeht als auch beim Kauf.

Das wird nicht für alle Landstriche in der Region gelten.

Maß:

Richtig, im Wendland etwa finden Sie immer noch landwirtschaftliche Flächen, für etwa 80 Cent pro Quadratmeter. Hier kostet ein Quadratmeter Acker drei bis 5 Euro, Bauland 100 bis 250 Euro. Unser Luxus ist, dass wir so viele Arbeitsplätze und die Großstadt Hamburg vor der Tür haben, die Leute aber im Landkreis Harburg wohnen. Sie wollen ländlich leben mit bester Verkehrsanbindung. Beides ist hier der Fall, die Wohnqualität ist hoch.

Landschaft verändert sich über die Epochen. Wie sieht der Landkreis Harburg in 100 Jahren aus?

Maß:

Das vermag ich nicht einzuschätzen. 1914 hat sicher niemand ernsthaft sich vorstellen können, wie es 100 Jahre später im Jahr 2014 aussieht. Aktuell werden täglich rund 100 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche in Deutschland unwiederbringlich durch Bebauung versiegelt. Diese Flächen stehen nie mehr der Gewinnung von Nahrungsmitteln zur Verfügung. Wenn wir die Baugenehmigungspraxis nicht nachhaltig verändern, besteht der Landkreis Harburg bereits in 50 Jahren nur noch aus Siedlungs- und Verkehrsflächen, aus Ausgleichsflächen und Wald. Das ist eine große Herausforderung, mit der wir uns heute intensiv beschäftigen müssen.