Der Nabu bat zur Wintervogelzählung in Gärten und Parks. Gar kein leichtes Unterfangen, wie Abendblatt-Autorin Anne Dewitz feststellte

Landkreis Harburg. Da sitze ich nun mitten in der Grünanlage. Und schaue in die Luft. Ein Jogger bleibt kurz stehen, folgt meinem Blick ins Leere. Schüttelt den Kopf und läuft weiter. Vermutlich glaubt er, ich habe eine Meise. Habe ich aber nicht – zumindest noch nicht. Erst ein paar uninteressante Stadttauben und zwei dicke Amseln. Aber ich fange ja auch gerade erst an. Mit Tausenden anderen naturverbundenen Menschen liege ich auf der Lauer. Wir zählen eine Stunde lang für den Naturschutzbund (Nabu) an Futterhäuschen, im Garten, auf dem Balkon oder im Park Wintervögel. Der Nabu führt die deutschlandweite Aktion zum vierten Mal durch.

Ziel ist es, sowohl deutschlandweit als auch regional ein möglichst genaues Bild von der Vogelwelt in Städten und Dörfern zu erhalten. Wo kommen welche Arten vor? Wo treten sie häufig auf, wo selten? Es geht nicht um exakte Bestandszahlen, sondern darum, Häufigkeiten und Trends bei Vogel-Populationen zu ermitteln. Die Populationsdaten werden über mehrere Jahre verglichen. So erhalten die Zahlen Aussagekraft. Der Nabu hofft zudem, mehr über die Auswirkungen unterschiedlicher Winter auf die Bestände der Vogelwelt zu erfahren. Vor einem Jahr beteiligten sich bundesweit fast 93.000 Naturfreunde an der Zählaktion. Gemessen an der Einwohnerzahl waren laut Nabu in Bayern, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern die meisten Vogelbeobachter dabei.

Ornithologe muss dafür niemand sein, heißt auf der Internetseite des Nabu. Das bezweifele ich nach einer halben Stunde doch stark. Was sitzt da nur im Gebüsch? Auf die Entfernung einen Baumpieper von einem Haussperling zu unterscheiden, geschweige denn von einem Wiesenpieper, fällt mir schwer. Bei einer ganzen Reihe von Arten kommt es auf die Details an, um sie korrekt zu identifizieren. Wer ein Bestimmungsbuch besitzt, ist klar im Vorteil. Später lese ich im Internet, dass der Baumpieper zu den Zugvögeln gehört und bei uns nur zwischen April und September anzutreffen ist. Ein Baumpieper war es also nicht.

Vielleicht konzentriere ich mich doch besser auf die vom Nabu vorgegebenen Beispiele auf der Zählhilfe. Kohl- und Blaumeise sind einfach, Elster und Amsel auch. Das Rotkehlchen kennt jedes Kind, und auch die Bestimmung des Kleibers traue ich mir zu. Schließlich ist er der einzige heimische Vogel, der einen Baum mit dem Kopf nach unten herabklettert. Allerdings ist schon etwas Konzentration erforderlich, wenn es darum geht, Haus- und Feldsperling oder Buch- und Bergfink voneinander zu unterscheiden. Dabei habe ich mir heute morgen noch extra frische Kontaktlinsen eingesetzt. Ein Fernglas wäre jetzt hilfreich.

Am häufigsten wurde 2013 der Haussperling gezählt, gefolgt von der Kohlmeise. Feldsperling, Grünfink und Blaumeise kamen auf die Plätze drei bis fünf. Kein Wunder. Wer kennt schon Braunkehlchen, Girlitz und Fitis? Und dann noch die sogenannten Invasionsvögel, die aus Sibirien und Skandinavien bei uns überwintern. Zu den Wintergästen gehören Seidenschwanz, Bergfink oder Erlenzeisig. In manchen Jahren, wenn die Nahrung knapp wird, tauchen sie bei uns in großer Zahl auf.

Ich werfe einen ratlosen Blick auf die Vogelbilder meiner Zählhilfe. Über meinem Kopf schweben Fragezeichen, so unsichtbar, wie der Specht, dessen Hämmern ich zwar höre, den mein Auge aber nicht lokalisieren kann. Ob das ein Grünspecht ist, den der Nabu zum Vogel des Jahres 2014 gekürt hat?

Eine Gruppe mit Krippenkindern kommt vorbei. Eines der Kinder glaubt im trüben Tümpel ein Krokodil ausmachen zu können. Ich halte das für ein Gerücht. Außerdem soll ich Vögel zählen, nicht Reptilien. Dann wird die Lage unübersichtlich: Ein Schwarm Möwen zieht über den Park hinweg. Am Boden balzt eine Taube um die Gunst der anderen. Milde Temperaturen sorgen für Frühlingsgefühle. Aus einiger Entfernung dringt ein seltsames Quietschen an mein Ohr.

Welcher Vogel gibt denn solche schrägen Laute von sich? Die Amseln, die durchs Gras hüpfen, sind es jedenfalls nicht. Habe ich die nun schon gezählt oder sind sie frisch eingeflogen? Im Geäst der Eiche sitzt ein Schwarm kleiner ... tja, wenn ich das wüsste! Die Federbäusche sind zu acht unterwegs und so klein wie Zaunkönige, allerdings ist die Schwanzfeder viel länger. Dorngrasmücken oder Schwanzmeisen? Die haben einen relativ langen Schwanz und sind sehr lebhaft. Bevor ich mich entscheiden kann, sind sie auch schon wieder fort. Ich notiere: acht unbekannte Flugobjekte. Ein Hund kommt um die Ecke, zwischen seinen Zähnen quietscht ein Ball.

Das Klopfen ist plötzlich ganz nah. Es ist ein Buntspecht, der um den Stamm hüpft und unter der Rinde nach Insekten sucht. Mein Blick wird von einem flinken Huschen im Geäst abgelenkt. Ein Eichhörnchen flitzt die Zweige entlang, springt auf den benachbarten Baum, hält kurz inne, spitzt die Ohren, wuselt weiter. Erstaunt stelle ich fest, dass die Stunde verflogen ist. Erst jetzt sehe ich auf meiner ausgedruckten Nabu-Zählhilfe den dezenten Hinweis, von jeder Art lediglich die höchste Anzahl zeitgleich anwesender Tiere zu notieren und nicht die absolute.

Naja, im Mai zur Stunde der Gartenvögel weiß ich dann, wie es richtig geht.