Wölfe sind streng geschützt und finden zunehmend neue Lebensräume in Niedersachsen

Stade/Cuxhaven//Rotenburg. Ihr Heulen hallt wieder durch die Nächte, ihre Spuren lassen sich anhand von Film- und Fotodokumenten, gerissenen Wild- und Nutztieren, Haarproben und DNA-Untersuchungen belegen. Gut 150 Jahre nach ihrer Ausrottung durch die Menschen kehren die Wölfe zurück – inzwischen auch in den Elbe-Weser-Raum.

Mehrere Hinweise sowie amtlich bestätigte Wolfsrisse im Landkreis Cuxhaven lassen die Anwesenheit von mindestens einem „Canis lupus“, wie der Wolf wissenschaftlich heißt, stark vermuten, so Dr. Britta Habbe, Wolfsbeauftragte der Landesjägerschaft Niedersachsen.

„Die aktuellste Begegnung mit einem Wolf hatten Treiber bei einer Drückjagd auf Schalenwild und Sauen im Beverner Wald bei Byhusen, wenige Kilometer vor der Stader Kreisgrenze“, sagt Stades Kreisjägermeister Günter Bube. Das Tier war aus dem Wald getrieben worden und flüchtete dann.

Die Tiere wandern aus Rumänien und Bulgarien in unsere Wälder ein

„Es ist für mich nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Rudel samt Nachwuchs auch im Raum Stade/Cuxhaven/Rotenburg ihre Reviere haben werden“, sagt Helmut Dammann-Tamke, Präsident der Landesjägerschaft, überzeugt. Derzeit gibt es etwa 25 Wolfsrudel in Deutschland, so der Jagdexperte. „Rechnet man den Familienverbänden jeweils fünf Welpen zu, wachsen die Rudel um rund 125 Jungtiere pro Jahrgang.“ Zudem glaubt Dammann-Tamke, dass das Tempo der Rückkehr der Wölfe unterschätzt werde. Viele Aspekte gelte es daher im Auge zu behalten. Aus Rumänien oder Bulgarien kommende Tiere könnten durchaus wieder Tollwut einschleppen. Unvernünftiges Anfüttern könnte den Tieren die natürliche Scheu vor dem Menschen und seinen Siedlungen nehmen und Übergriffe verursachen. Neben den rechtlichen werden auch politische Lösungen gefragt sein, so Dammann-Tamke.

Dass Niedersachsen wieder zunehmend Lebensraum für die in Deutschland und Europa streng geschützten Raubtiere wird, belegen die Nachweise zum sogenannten „Wolfsmonitoring“ der Landesjägerschaft Niedersachsen. Von Juli bis Ende September 2013 gab es 115 Meldungen zu Wolfsvorkommen in Niedersachsen. Den größten Anteil haben in diesem Quartal 40 Nachweise per Fotofalle, dazu gab es 38 Sichtungen, so die Wolfsbeauftragte Habbe. Von den derzeit in Niedersachsen lebenden drei Rudeln lebt jeweils eins auf den Truppenübungsplätzen Munster und Bergen, ein weiteres im Wendland bei Gartow. „Alle drei Wolfsfamilien hatten in diesem Jahr Nachwuchs“, sagt Britta Habbe.

Außerdem streifen 60 Einzeltiere durch Niedersachsen, von denen es Nachweise im nördlichen Landkreis Gifhorn, im Naturschutzpark Lüneburger Heide im Heidekreis und im Landkreis Lüneburg bei Radegast gibt. Vereinzelte Hinweise, wie etwa ein Wildtierriss bei Kirchwiestedt (Kreis Cuxhaven), Sichtungen und Fährten bei Vollersode (Kreis Osterholz) und Hipstedt (Kreis Rotenburg) deuten an, dass sich mindestens ein Wolf in dieser Region aufhält. Zudem wurden zwei Nutztierrisse nahe Wanna und Bederkesa amtlich vom zuständigen NLWKN (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz) als Wolfsrisse bestätigt. „Das zeigt, dass diese Gebiete geeignet sind, den Wolf wieder heimisch zu machen“, so Britta Habbes Fazit.

Die Landesjägerschaft will mit Mythen und Märchen zum Wolf aufräumen

„Haarproben aus dem Kreis Cuxhaven konnten einer Fähe (Weiblicher Wolf) aus dem rund 270 Kilometer entfernten Altengrabow in Sachsen-Anhalt zugeordnet werden.“ Das belege die Zuwanderung der Raubtiere von Osten nach Westen. Sowohl für die Wolfsbeauftragte, wie auch die Landesjägerschaft ist diese Entwicklung spannend und ein Erfolg konsequenter Schutzprogramme. „Sie erfordert aber auch umfassende Aufklärungsarbeit über das Verhalten der Wölfe und wie man Nutztiere schützt“, sagt Habbe. Inzwischen sind in Niedersachsen dafür rund 50 Wolfsberater im Einsatz, weitere Ehrenamtliche werden noch gesucht. Das Umweltministerium entwickelt die „Förderrichtlinie Wolf“, die auch „freiwillige Ersatzregelungen“ für Schäden, die Wölfe an Nutztierbeständen verursachen regulieren sollen.

Auch Dammann-Tamke sieht es als „missionarische Aufgabe“, bei den rund 60.000 Jägern sowie bei der Bevölkerung mit alten Wolfs-Mythen und tiefverwurzelten Ängsten aufzuräumen. „Die Niedersächsische Landesjägerschaft ist seit 1979 ein anerkannter Naturschutzverband, der mit der Sonderstellung des Wolfes einen Paradigmenwechsel erlebt“, sagt Dammann-Tamke. „Wir müssen aufklären und um Akzeptanz werben.“ Denn weitverbreitet gelte noch die Auffassung, Wölfe könnten Wildbestände unmäßig dezimieren. Klar ist, das große Raubtier wird Rehe und Hirsche jagen, aber in vertretbaren Maßen, so der Präsident der Landesjägerschaft. Auch bei Wildschweinen sieht er nur Bruchteile als Wolfsbeute. Bevorzugte Beute werden eher geschwächtes, altes Wild oder unerfahrene Jungtiere sein. Gesunde, kräftige Tiere lassen sich selten erbeuten.

Erfahrungsgemäß sei die Größe eines Wolfsrudels abhängig von der Angebotsdichte der Beutetiere. Statistisch jagt ein achtköpfiges Wolfsrudel, von dem die Hälfte Welpen sind, in einem Gebiet von rund 300 Quadratkilometern je 100 Hektar 1,2 Rehe, 0,3 Wildschweine und 0,2 Rothirsche pro Jahr, so die Wissenschaftler. Wölfe könnten sogar regulierend helfen, von Wild verursachte Verbissschäden in Land- und Forstwirtschaft zu reduzieren und zur Erhaltung des Ökosystems beizutragen. Dass der Wolf nach seiner Ausrottung – der letzte wurde in Niedersachsen 1872 bei Soltau getötet – seit 2006 zurückkommt, sollte jeden Naturfreund freuen, so Dammann-Tamke. Er ist überzeugt, dass trotz illegaler Abschüsse, wie jüngst wieder in Sachsen, die Mehrheit der Jäger die Rückkehr des Raubtieres positiv sieht. Das Töten der streng geschützten Tiere kann vom Gesetzgeber mit bis zu fünf Jahren Haft oder bis 50.000 Euro Geldstrafe geahndet werden.

Dass der Mensch absolut nicht zum Beuteschema des Wolfes gehört, rüttelt kaum an alten Mythen und gruseligen Märchenüberlieferungen, weiß auch Dammann-Tamke. „Noch vor 100 Jahren war der Biss eines tollwütigen Wolfes das Todesurteil. Und wenn im Mittelalter den Bettelarmen die einzige Ziege oder Kuh gerissen wurde, drohte die Familie zu verhungern.“ So sitze die Abneigung bei Menschen, die wenig über das Verhalten der Tiere wissen, noch tief, so Britta Habbe.

Damit stellt sich auch der NABU auf neue Etappen bei seinen Schutzprogrammen ein. Wolfsexperte Markus Bathen, NABU-Projektleiter „Willkommen Wolf“, sagte dem Abendblatt: „Bei unseren Informationstouren in den alten und neuen Bundesländern wollen wir verdeutlichen, dass die scheuen Wölfe nicht die Nähe der Menschen suchen. Natürlich nehmen wir die Ängste ernst und die Sicherheit der Menschen hat Priorität, aber nicht ein einziger Übergriff ist bislang aktenkundig.“

Wölfe laufen nachts zwischen 40 und 70 Kilometer, ihre Reviere können etwa 200 Quadratkilometer umfassen, so Bathen. Bei der dichten Besiedelung käme es deshalb durchaus vor, dass die Tiere in der Stille der Nacht durch Dörfer streifen, wie jüngst in Sachsen. Anders als allesfressende Wildschweine suchen sie dort jedoch keine Nahrung. „Ein weit größeres Problem ist die Verwechslung mit streunenden Hunden“, sagt Bathen, daher sei es wichtig stets exakte Nachweise zu erbringen, ob es tatsächlich ein Wolf oder ein Hund war.