Jürgen A. Schulz dreht einen Film über Winsens berühmtesten Sohn, den Schriftsteller Johann Peter Eckermann

Es ist ein schöner Nachmittag in diesem Sommer 1802 in Winsen. An der Hand seiner Mutter geht ein zehnjähriger Junge den Weg hinauf zum Schloss, wo er Jahre später als Schreiber tätig sein wird. In diesen Tagen aber hat Johann Peter Eckermann etwas Anderes im Kopf als das Lernen. Er versäumt häufig die Schule und sitzt mit einer einfachen Angel an der Luhe, fischt für das Abendessen der Familie. Denn die Eckermanns sind keine reichen Leute. Der Vater verdient sein Geld als Krämer, die Mutter muss als Wollspinnerin mitarbeiten. Der Junge durchstreift Wiesen und Wälder und hütet die Kuh der Familie. Bis zu seinem 14. Lebensjahr lernt er so nur notdürftig lesen und schreiben.

Zweifellos: die Voraussetzungen für die Karriere von Eckermann sind in seiner Jugend mehr als dürftig. Dennoch schreibt er mit den „Gesprächen mit Goethe“ Bücher, die heute zur Weltliteratur zählen. Goethe setzt ihn 1831, kurz vor seinem Tod, als Herausgeber seines literarischen Nachlasses ein. Für den Philosophen Friedrich Nietzsche ist das Werk schlicht das beste deutsche Buch. Vor allem in Norddeutschland, nicht nur in Winsen, auch in Northeim, Göttingen, Hannover oder Bleckede an der Elbe und natürlich in Weimar erinnern nach Eckermann benannte Straßen, Parks und Tafeln an den Schriftsteller. Sein Name ist unvergessen. Doch zu seinen Lebzeiten half ihm das wenig. Eckermann bleibt ständig in Geldnot, wird für sein Werk von Heinrich Heine bekrittelt und verlacht und muss mit Schicksalsschlägen fertig werden.

Bücher gibt es viele über den Weg des Schriftstellers aus Winsen. Doch jetzt hat Produzent Jürgen A. Schulz aus Asendorf erstmals das Leben Eckermanns, sein Wirken und Leiden in einem Film beschrieben. In ruhigen Bildern, teilweise von einem Ballon auf die Innenstadt hinab, beschreibt Schulz die 62 Lebensjahre des gebürtigen Winseners und bringt dabei immer wieder Experten vor die Kamera, die von authentischen Standorten berichten. Fachlicher Rat kam zudem vom Heimat- und Museumsverein Winsen, dem Weimarer Literaturhistoriker Dr. Egon Freitag und den Naturfreunden des Grünen Kreises Stelle. So entstand innerhalb von 18 Monaten ein Film, der im Winsener Marstall am 10. März Premiere haben wird.

Weil der Landkreis das Projekt finanziell unterstützt hat, fungiert Landrat Joachim Bordt (FDP) als Schirmherr. Schulz schließt mit dem Film, der als lebendiger Geschichtsunterricht an alle Schulen im Hamburger Süden verteilt werden wird, eine Dreier-Serie ab. Zu ihr gehören bereits Produktionen über den Heidepastor Wilhelm Bode und die in Winsen etwa für ihre Hexenprozesse bekannte Herzogin Dorothea von Braunschweig-Lüneburg, die einst auf dem Schloss residierte. Alle drei Filme werden in einer Kassette gebündelt und sind auch einzeln zu haben. „Eine journalistisch angelegte Reportage“ nennt Schulz seine Arbeit, die er chronologisch geordnet hat. Der Film vollzieht die Reisen Eckermann zu Fuß und mit einer von Werner Herrig aus Bendestorf ausgeliehenen vierspännigen Kutsche nach.

Alles beginnt, als der Winsener Amtmann Johann Friedrich Meyer und Superintendent Johann Christian Parisius das Talent des Jungen entdecken. Noch in seiner Heimatstadt erhält er Privatunterricht. Er wird Amtsschreiber, später Soldat im Kampf gegen Napoleon, besucht das Gymnasium Hohe Schule auf der Leine-Insel in Hannover und studiert später zwei Semester Jura in Göttingen. Beeindruckt von den Werken Goethes schreibt er 1822 die „Beiträge zur Poesie mit Hinweis auf Goethe“ und trifft ihn schließlich in Weimar. Nach einem Fußmarsch über Göttingen nach Weimar sitzt Eckermann am 10. Juni 1823 pünktlich um 12 Uhr mittags bei dem Dichterfürsten auf dem Sofa. Der liest das Werk nicht nur, sondern sorgt dafür, dass es gedruckt wird.

Es folgen fast 1000 weitere Gespräche zwischen den beiden Männern. Immer wieder kommt Eckermann die knarrende Holztreppe zur Stube Goethes hinauf, setzt sich, stellt Fragen, lässt sich erklären. Goethe schreibt: „Eckermann schleppt wie eine Ameise meine Werke zusammen.“ Mehr noch. Der junge Mann drängt Goethe, seinen „Faust 2“ zu Ende zu schreiben. Ihr Verhältnis wird immer enger. So eng, dass der Dichterfürst, der damals mit Napoleon und Beethoven Kontakt hatte, ihm seinen Sohn August 1830 für eine Italien- Reise anvertraut. Sie endet tragisch. August von Goethe stirbt unterwegs, nachdem Eckermann die Reise bereits aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen hat. Doch an der Wertschätzung Eckermanns ändert dies bei Goethe nichts.

Die Begegnungen und Gespräche mit dem Dichter sind zwar die entscheidende Wende in Eckermanns Leben. Aber aus seinen schwierigen finanziellen Verhältnissen befreien sie ihn nicht. Über zwölf Jahre hinweg zögert er nach seiner Verlobung mit der Heirat. Zwar heiratet er dann 1831 Johanna Bertram in Northeim. Doch sie stirbt drei Jahre später nach der Geburt seines Sohnes Karl in Weimar, wo die Familie inzwischen auf Wunsch Goethes lebt. Nach Goethes Tod und der Veröffentlichung seiner „Gespräche“ wird Eckermann nicht nur scharf kritisiert, sondern ist immer wieder auf die Unterstützung der Großherzöge von Sachsen-Weimar- Eisenach angewiesen. Nach seine Flucht vor seinen Gläubigern aus Weimar 1844 beichtet er Herzog Carl Alexander seine Not. Der übernimmt zwar seine Schulden, sorgt für die Ausbildung von Eckermanns Sohn Karl, der später ein anerkannter Kunstmaler wird und zahlt sogar für Erholungsreisen. Aber Eckermann darf nicht zurück in seine so geliebte Elbmarsch. Denn die Hilfe, 300 Taler jährlich, gibt es nur, solange er in Weimar bleibt.

Dafür ist fast 200 Jahre später Schulz in die Kreisstadt unterwegs. Er besucht die Historikerin Ilona Johannsen, die die Filmproduktion ebenfalls wissenschaftlich begleitet hat. Die Leiterin des Museums im Marstall beherbergt in ihren Räumen die einzige deutsche Dauerausstellung über Eckermann (siehe auch nebenstehenden Kasten). Johannsen und Schulz sind sich nach ihren Recherchen heute einig, dass der berühmteste Sohn der Stadt nie ein Sekretär von Goethe war. Der Dichter bezahlte ihn nicht, auch wenn er seine Dienste schätzte. „Die Beziehung war nicht so eng, dass man von einer Freundschaft sprechen kann“, sagt die 47-Jährige. „Ich glaube aber, man kann von einem Vertrauten sprechen.“

Welches Verhältnis die beiden auch immer hatten: Eckermann ist für Winsen nicht nur ein berühmter Sohn. Er gehört auch zu den wenigen, die im 19. Jahrhundert schon Privates aus dem täglichen Leben aufgeschrieben haben. Solche Informationen sind sonst rar in der Stadt. Bekannt ist zudem, dass Eckermann die Pflanzen und Tiere an den Flüssen Luhe, Ilmenau und Elbe liebte. Selbst Goethe staunte, wenn die beiden in Weimar zu seinem Gartenhaus unterwegs waren und Eckermann ihm die Vogelwelt erklärte.

Johannsen und Schulz gehen jetzt zur nahen Innenstadt, unter dem Turm der St. Marienkirche hindurch. In ihrem Kirchenbuch ist die Geburt Eckermanns am 21. September 1792 verzeichnet und zwei Tage später seine Taufe. Vor dem Gotteshaus steht das Denkmal, das an ihn erinnert. Dort legen die Kinder der Eckermann Realschule jedes Jahr Heidekränze nieder. Begraben aber ist der Schriftsteller in Weimar, wo er am 3. Dezember 1854 stirbt. Herzog Carl Alexander, der als Kind sein Schüler war, sorgt für eine würdige Grabstätte auf dem Historischen Friedhof. Ganz nah an der Fürstengruft, in der der Mann seine Ruhe fand, den er bewunderte: Johann-Wolfgang von Goethe.