Wie Marco Neumann seine Karpfenzucht im Kreis aufbaute. An Weihnachten und Silvester ist für ihn Hochsaison

Unter den Spiegelkarpfen gehört das Männchen zu den Großen. Gut fünf Jahre alt und sechs Kilogramm schwer bewegt sich der Fisch so stark, dass die Wellen im Transportbecken hochschlagen. Züchter Marco Neumann bekommt die Spritzer ab. Dabei hat der Karpfen gar keinen Grund unruhig zu sein. Als Laich-Fisch soll er noch jahrelang für Nachwuchs für Neumanns Zucht sorgen. Ansonsten aber sind schon dreijährige Fische zwischen 1,5 und 2,5 Kilogramm Kandidaten für Schlachtmesser und Räucheröfen. Vor Weihnachten arbeitet Neumann mit Freunden zwei Tage und Nächte fast ununterbrochen, damit seine Kunden die frische Ware bei ihm abholen können. Bis zu 400 Karpfen sollen in diesem Jahr verkauft werden. „Denn Kunden vor dem Fest nicht beliefern zu können“, sagt Neumann. „Das geht gar nicht.“

An diesem Vormittag hebt sich gerade der Nebel über dem Verkaufsstandort der Fischzucht in Moisburg. Zwischen dem 3,5 Hektar großen Teich, den anschließenden Becken zum Halten der Fische und gut 20 Behältern plätschert das Wasser. 70 Kubikmeter drücken die Pumpen pro Stunde durch das System mit angeschlossenen Filtern. Das trägt nicht nur zum Wohlbefinden der Tiere bei, sondern soll beim Verzehr einen bei Karpfen mitunter auftretenden erdigen Geschmack verhindern.

„Er entsteht durch Grünalgen und stehendes Wasser in zu flachen Teichen, wenn Fische zu eng gehalten werden“, weiß Neumann zu berichten. Seine 27 Teiche rund um Moisburg jedoch werden durch Quellen und Bäche gespeist, die immer wieder frisches Wasser nachliefern. Dort finden die Fische Insekten, Würmer, Schnecken oder Wasserpflanzen. Zugefüttert wird nur für den Winter sowie im Spätsommer mit Weizen. „Über den Geschmack meiner Fische hat sich so noch niemand beschwert“, sagt Neumann.

Im Gegenteil. Seit der Gründung seine Unternehmens 2008 hat er stets erweitert, investiert und bewirtschaftet inzwischen 35 Hektar Wasserflächen. Insgesamt kommt er auf einen Jahresertrag von 20 Tonnen. Dabei kommt der 30-Jährige erst auf Umwegen dazu, seine Leidenschaft für die Natur zum Beruf zu machen. Gelernt hat Neumann, der aus Cranz stammt, Zentralheizungs- und Lüftungsbauer sowie Gas- und Wasser-Installateur. Danach fährt er zwei Jahre lang bei Beiersdorf in Hamburg eine Produktionsanlage, die Aftershaves und Deoroller abfüllt und drückt erneut die Schulbank, Neumann erkämpft sich das Fachabitur für Stahl- und Maschinenbau, will aber nach der Paukerei seine Vorliebe für die Natur zum Beruf machen. „Tiere und Pflanzen haben mich schon immer begeistert“, sagt er. Schon mit 15 Jahren angelt er leidenschaftlich gern und macht den Jagdschein.

Da liegt es nahe, sich als Fischwirt zu bewerben. Mit seiner Handwerkslehre, dem bei der Feuerwehr erworbene Lkw-Führerschein und seinen Erfahrungen als Jäger nimmt ihn ein Arbeitgeber in der Nähe von Plön sofort. Schließlich müssen sich die Schleswig-Holsteiner der Kormorane erwehren, die ihrer Zucht im Sturzflug zu Leibe rücken. Nach der Ausbildung und einem Jahr als Geselle wagt er 2008 den Sprung in die Selbstständigkeit: Mit ein paar gepachteten Teichen, einigen Fischen und einem Minus von 1000 Euro auf der Bank. Seine Idee trägt. Bis auf 2010, wo ihm offenbar organisierte Kriminelle über Nacht Forellen für 10.000 Euro aus zwei Teichen stehlen und noch dazu sein Transporter liegen bleibt, schreibt Neumann stets schwarze Zahlen. Aus dem Handwerker ist ein Unternehmer geworden. Zu seiner Zentrale in Moisburg, ehemals ein Sumpf, kommen heute Kunden zu Räuchernachmittagen.

Neumanns Fischzucht steht auf mehreren Beinen. Vier Fünftel der Einnahmen stammen von Angel-Vereine, die sich bei ihm im Frühjahr und Herbst ihre Fische aussuchen. „Die Nachfrage wird immer größer. Angeln wird immer populärer, weil die Menschen so zur Ruhe kommen“, sagt er. In den Karpfenteichen wachsen zudem Hechte, Zander und Welse auf und Rotaugen und Rotfedern. Jedenfalls solange wie ihnen die Raubfische nicht gefährlich werden. In den Forellenteichen schwimmen Störe, die das Futter besser verwerten als die Forellen.

Damit aber nicht genug. Für den Einsatz in Biotopen züchtet Neumann seltene Kleinfische wie Stichlinge oder Bitterlinge, die ihm Naturschutzorganisationen oder Kommunen abnehmen. „So etwas macht sonst in der Region niemand.“ Beliebt ist der Moisburger inzwischen auch bei den Obstbauern aus dem Alten Land. Der Grund: Seine Graskarpfen fressen Kräuter aus den Becken, in denen das Wasser für die Beregnung der Bäume aufgefangen wird. Das erspart den Landwirten Kosten für den Einsatz von schwerem Gerät, um die Sohlen der Teiche frei zu halten. „Die Karpfen sind eine Geheimwaffe, die von immer mehr Betrieben entdeckt wird“, sagt Neumann. Inzwischen hat er Formeln entwickelt, mit denen sich die Zahl der notwendigen Fische nach der Größe der Teiche berechnen lässt. Auch Gemeinden haben die Karpfen für ihre Regenrückhaltebecken entdeckt. „Die Tiere gelten als Unterwasserschafe.“

Neumann startet jetzt seinen Geländewagen und macht sich auf zum Appelbecker Teich. Dort hat er seinen bisher größten Marketing-Coup gelandet: Das Abfischfest. Seit 2009 wird jedes Jahr am letzen Sonnabend im Oktober das Wasser aus dem 8,5 Hektar großen Teich gelassen und die Fische, die durch ein Schott in der Schleuse auf Gitter fallen nach Größe sortiert und dann in die angrenzenden Teiche gesetzt. Wichtig für Neumann: Die Veranstaltung, längst ein Volksfest, lassen sich jedes Jahr mehrere tausend Menschen nicht entgehen. Viele von ihnen, die den frischen Fisch probieren, werden zu Kunden. Das angrenzende Restaurant hat sich Neumann schon gesichert. An diesem Nachmittag treffen nach und nach Busse am Appelbecker See ein, deren Insassen zum Mittagessen einkehren. Auf den Tellern liegen – natürlich – Karpfen.

Neumann kommt jetzt vom Ufer zurück und geht zu seinem Wagen. Bisher kann der Junggeselle von seiner Zucht, immerhin wohl der größten für Karpfen im Kreis, nur seinen Lebensunterhalt bestreiten. Damit will er sich nicht begnügen. „Ich will die Produktion steigern, weil ich immer mehr Kunden erreichen kann, die bleiben“, sagt Neumann. Im kommenden Jahr sollen fünf bis zehn Hektar Wasserflächen zusätzlich gepachtet werden. „Mein Ziel“, sagt der Jungunternehmer, „habe ich noch lange nicht erreicht.“