Die HiPsy gGmbH bietet umfangreiche gemeindepsychiatrische Arbeit im Landkreis Harburg

Putensen. Er war ein mutiger Mann, ein Mediziner, der neue Wege ging, unabhängig von gesellschaftlichen Normen. Bereits in den 60er Jahren verfolgte Dr. Emil Thiemann, Psychiater aus Lüneburg, die für die konservative Zeit revolutionäre Idee von einem offenen Haus für psychisch Kranke. Dort waren weder die Pforte noch Zimmertüren verschlossen und Patienten wurden zu einer Mit-Verantwortung für ihr Tun und ihre Genesung herangezogen. Die unkonventionelle Behandlungsweise, die Thiemann im Alexander-Möllering-Haus in Häcklingen begonnen hatte, wollte er wenige Jahre später radikalisiert fortführen: Thiemann plante, gemeinsam mit seinen Patienten auszusteigen aus einem gesellschaftlichen System, dem er eine Mitschuld an den Erkrankungen seiner Schützlinge gab. 1974 gründete er den „Verein Hilfe für psychisch Behinderte e.V.“ und mietete die alte Schule in Putensen/Salzhausen. Argwöhnisch beäugt von den Dorfbewohnern lebte er dort bis zu seinem Tod 1995 mit 20 Patienten, um sie „vor der Gesellschaft zu schützen“ und sie mit Respekt, gleichberechtigt und weitestgehend ohne Medikamente zu therapieren.

Lange war dieses Inseldasein ein guter Weg. Ein damals therapeutisch richtiger Weg, sagt Holger Maack, neben Stefanie Oertzen Geschäftsführer der gemeinnützigen HiPsy gGmbH, Sozialpsychiatrische Hilfen im LK Harburg, die sich 2006 aus dem von Thiemann gegründeten Verein entwickelt hat. Der heute 56-Jährige war noch Schüler, als er Anfang der 70er-Jahre Emil Thiemann kennen lernte. Maack war sofort fasziniert von dem charismatischen Arzt und von dessen Idee, in einer für die Zeit alternativen Wohngemeinschaft mit den Patienten zu leben. Seit 31 Jahren ist er dort als Sozialpädagoge tätig, erst in dem Verein, dann bei HiPsy, und hat einen Großteil der Entwicklung von der therapeutischen Wohngemeinschaft zum gemeindepsychiatrischen Anbieter begleitet und mit angeschoben. Bis zu seinem Tod hatte Thiemann sich geweigert, das Heim zu öffnen und sich der Gesellschaft wieder zuzuwenden. „Doch der Schritt in die Öffentlichkeit war nötig für unsere sozialpsychiatrische Arbeit“, sagt Holger Maack. 1995 wurden Pläne für eine ambulante Versorgung erstellt und in kürzester Zeit umgesetzt. 1997 entstand eine zweite Wohngemeinschaft in Putensen, parallel dazu ein Büro für die ambulante Hilfe sowie eine Tagesstätte in Winsen.

Heute hat die HiPsy gGmbH Büros in Winsen und Buchholz, eine weitere Tagesstätte in Salzhausen, neben den beiden Wohnheimen in Putensen eine Wohngruppe in Meckelfeld und eine für Frauen in Winsen. Darüber hinaus gibt es ein medizinisch-therapeutisches Angebot wie Ergotherapie sowie verschiedene tagesstrukturierende Maßnahmen. Dazu zählt die Luhe-Werkstatt mit HiPsydruck in Buchholz, den Gartenfreunden Putensen, einer Textil- und einer Holzwerkstatt. All das sind Einrichtungen, in denen die Klienten in einer geschützten Umgebung einer Arbeit nachgehen können und sich auf einen möglichen Schritt in die Arbeitswelt vorbereiten können.

Die Menschen, die sich an HiPsy wenden oder von einem behandelnden Arzt dorthin empfohlen werden, gehören zu dem einen Drittel psychisch kranker Menschen, die zumindest zu Beginn ihrer Therapie dauerhafte Hilfe benötigen, die ihren Alltag nicht allein strukturieren können. Die Gründe dafür liegen meist im Verborgenen. Emotionaler oder sexueller Missbrauch, Vernachlässigung, Traumata – die Liste ist lang, sagt Stefanie Oertzen. Und auch wenn sich Symptome ähneln können – jede Biografie ist anders. So individuell wie die anschließende Betreuung, die auf jede Persönlichkeit gesondert abgestimmt wird. Besorgt berichtet sie, dass der Altersschnitt derjenigen, die Unterstützung suchen, tendenziell sinkt. „Immer öfter kommen junge Erwachsene, die nicht mehr allein und ohne professionelle Hilfe zurecht kommen.“ Aber egal welches Alter der kranke Mensch hat - der Wunsch aller sei, ein normales Leben führen zu können, eine Partnerschaft zu haben, einen Job zu finden. „Das kleinschrittige Zurückführen in ein eigenständiges Leben ist das Ziel unserer Arbeit“, erklärt die 42-Jährige. „Wir verbuchen es bereits als Erfolg, wenn es einer geschafft hat, aus einem Wohnheim in eine eigene Wohnung zu ziehen und seinen Tag weitestgehend allein zu bewältigen.“

So wie bei Rainer M. Vor rund zehn Jahren kam er zu HiPsy. Mitte 30 war er da, mit einer diagnostizierten schweren Psychose. Sehr in sich zurückgezogen, litt Rainer M. unter anderem unter Grübelzwang, was ihn hinderte, sein Leben aktiv zu gestalten. „Er benötigte anfangs engmaschige stationäre Betreuung“, erinnert sich Holger Maack. Sechs Jahre lang lebte Rainer M. in Putensen. Durch Einzel-und Gruppengespräche, Psychoedukation und tagesstrukturierende Maßnahmen hat er sich immer mehr stabilisiert, bis er so weit war, in eine kleine, ambulant betreute WG umzuziehen. „Heute lebt er mit einem Freund in Salzhausen, arbeitet in der HiPsy-Werkstatt, macht Musik bei uns in der Band, trifft sich abends mit Freunden“, sagt Maack. Fast ein normaler Alltag. Auch wenn er durch einen ambulanten Betreuer dabei unterstützt wird – ein toller Erfolg, sind sich die beiden Geschäftsführer einig.

Stefanie Oertzen und Holger Maack sind stolz auf das Versorgungsnetz, das im Landkreis Harburg in den vergangenen Jahren aufgebaut worden ist. Stillstand? Gibt es nicht. „Unsere Arbeit und unsere Einrichtungen entwickeln sich immer weiter“, sagt Maack mit Blick auf das kommende Jahr, in dem die die Wohngemeinschaft I in Putensen, wo mit Dr. Emil Thiemanns Verein alles seinen Anfang nahm, ihren 40. Geburtstag feiern wird.

Mehr Informationen, auch zu Aufnahmemodalitäten und Finanzierungsmöglichkeiten, gibt es bei der HiPsy gGmbH, Telefon 04171/ 84 88 40, Rote-Kreuz-Straße 6, 21423 Winsen sowie unter www.hipsy.de im Internet.